Kommentar

kontertext: Streit um Service public

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Die Auseinandersetzung um die öffentlich-rechtlichen Medien der Schweiz ist in vollem Gange. Die NZZ dient dabei als Megaphon.

Tapfere Mannen – ganz wenige Frauen – streiten mit Kampf- und Kriegsvokabular um den Service public. Soll der Service public reduziert und abgeschafft, oder erhalten und sogar per Gesetz aufs Internet ausgedehnt werden? Die Fronten sind oft nicht auf Anhieb klar zu erkennen. Daher als Erstes mal eine vereinfachte Übersicht übers Getümmel.

Der Bundesrat und das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) wollen den «Service public» als gebührenbasiertes öffentlich-rechtliches System erhalten und sogar auf das Internet ausweiten. Diese grundsätzliche Position hat der Bundesrat in einem umfangreichen Bericht vom Juni 2016 festgehalten. Eine Kurzform davon ist als «Faktenblatt» vom 17.06.2016 auf der Webseite des Bakom einsehbar. Dort heisst es: «Weil sich die Mediennutzung zusehends ins Internet verlagert, sollten künftig auch reine Online-Angebote als Service public anerkannt werden können.» Da private Medien der SRG vor allem die Unterhaltung streitig machen, betont das BAKOM auch, dass der Verfassungsauftrag für den Service public «Bildung, kulturelle Entfaltung, freie Meinungsbildung und Unterhaltung» umfasse. «Es handelt sich hier um einen eigentlichen Dienst an der Gesellschaft – nicht um ein rein subsidiäres Angebot für den Fall von Marktversagen – welcher für den nationalen Zusammenhalt und für eine funktionierende direkte Demokratie unerlässlich ist.» Bundesrat und SRG spielen auch die nationale Karte: Insbesondere die französisch, italienisch und rätoromanisch sprechenden Landesteile könnten sich ohne SRG keine schweizerischen elektronischen Medien leisten, sagen sie.

Ein Mediengesetz polarisiert

Da die SRG-Konzession Ende 2017 und die Konzessionen des regionalen Service public Ende 2019 auslaufen, möchte der Bundesrat die Gelegenheit beim Schopfe packen und das RTVG, das Radio- und Fernsehgesetz, zu einem Gesetz über elektronische Medien weiterentwickeln.

Wer neoliberal denkt, will natürlich genau das nicht. SVP, die «Aktion Medienfreiheit», Verlegerverband, Teile von FDP, Teile von GLP und andere haben sich zu einer Anti-SRG- und Anti-Service-public-Lobby zusammengefunden. Sie bekämpfen die Absicht, ein neues Gesetz über elektronische Medien zu entwickeln. «Deregulierung und mehr Marktwirtschaft tun not», sagt SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Er bezeichnet sich als langjährigen Weggefährten von Natalie Rickli. Sie ist ebenfalls SVP-Mitglied, auch AUNS-Mitglied und Präsidentin der Aktion Medienfreiheit. Beruflich arbeitet sie für die Goldbach Group, die Werbung in privaten elektronischen Medien vermarktet und vermittelt. Von daher dürfte sie ein erklärbares Interesse haben, Gebühren zurückzufahren und den Werbemarkt auszuweiten. Im SRF-«Medienclub»vom 10.1.17 sagte sie denn auch: «Nun könnten bzw. müssten staatliche Leistungen abgebaut und die Gebühren gesenkt werden. Es ist Deregulierung angezeigt – und nicht ein weiterer Ausbau der SRG».

Eigentor der SVP

Wo immer es geht, führen SVPler täglichen Kleinkreig gegen kritische Berichterstattung in den SRG-Medien. Gregor Rutz erklärte auf Facebook am 10.02.2017 in Gutsherrenmanier: «Einfach zur Information: Der Autorin, gegen welche auch aus unseren Kreisen leider schon Beschwerden erhoben werden mussten, habe ich Zutrittsverbot zu den Vorbereitungssitzungen der SVP-Delegation erteilt.» Gemeint ist die Dok-Filmerin Karin Bauer. Ihr hervorragender Film «Inside Bundeshaus» über die Umsetzung der Initiative «gegen Masseneinwanderung» ist auf der SRF-Webseite noch zu sehen und sei wärmstens empfohlen. Er macht verständlich, warum Rutz schlechter Laune ist: Während FDP, SP und CVP der Filmerin erlaubten, ihre Strategie- und Vorbereitungssitzungen zu filmen, hat die SVP eben dies verboten – was sich als Bumerang erwies, denn SVP-Nationalrat Andreas Glarner sollte die hinter verschlossenen Türen erarbeiteten, ständig wechselnden Positionen der Partei vor der Kamera von Karin Bauer erklären und war dazu absolut unfähig. Die Interviews mit ihm gerieten zum lustig anzuschauenden Kommunikations-Gau. Rutz’ Wut zeigt, was die Anti-SRG-Lobby an der SRG besonders stört: Die Reste von kritischem Geist, die der SRG noch geblieben sind.

Zwei Kommissionen, zwei Mehrheiten

Für die Medienpolitik sind in Bundes-Bern zwei Kommissionen zuständig: Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) des Ständerats und die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrats. Der SRG und dem Service public ist die eine Kommission mehrheitlich eher freundlich gesinnt, die andere dezidiert feindlich. Das verwundert nicht, wenn man die Zusammensetzung der beiden Kommissionen anschaut. In der ständerätlichen KVF sitzen 4 CVPler, 4 FDPler, 4 SPler (u.a. Paul Rechsteiner und Claude Janiak) und 1 SVPler. Insgesamt 13 Mitglieder – die vier Sozialdemokraten brauchen also nur noch drei FDPler oder CVPler, um die Mehrheit zu haben. Kein Wunder, dass die Mehrheit dieser Kommission den bundesrätlichen Medienplänen eher Sympathie entgegen bringt.

Die nationalrätliche Schwesterkommission hat 25 Sitze: 5 SP, 4 CVP, 4 FDP, 1 GLP, 1 BDP, 8 SVP, 1 Lega, 1GPS. Hier 13 Leute für eine rechtsbürgerliche Mehrheit zusammenzukriegen, ist nicht schwer. Mitglieder dieser Kommission sind z.B. Natalie Rickli (siehe oben) und Gregor Rutz (siehe oben). Auf diese Kommission berufen sich alle SRG-Gegner. Aus dieser Kommission kamen jüngst die Vorschläge, die SRG auf «Open Content», d.h. auf kostenlose Weitergabe ihrer Produkte an die Privaten, zu verpflichten oder auf Reduzierung der Spartenradios (NZZ 14.2.17, Tagesanzeiger 14.2.17). Aus dieser Kommission hört man auch, «Service public» sei doch genau so gut von Privaten leistbar.

Die NZZ als Megaphon

Verlässlicher Verstärker der Anti-SRG- und Anti-Service-public-Lobby ist der NZZ-Journalist Jan Flückiger (flj.). Er ist Mitglied der Bundeshausredaktion seines Blattes und war zuvor u.a. zwei Jahre lang Generalsekretär der Grünliberalen Partei der Schweiz. Die Idee des BAKOM, sich von einem sogenannten «Sounding Board», einem Gremium von 15 Leuten aus der Wissenschaft, den Medien, der Kultur, der Ausbildung und dem Technologiesektor, beraten zu lassen, nahm Flückiger, längst bevor die Zusammensetzung des Gremiums bekannt gegeben wurde (dies soll erst diese Woche erfolgen), zum Anlass, eine Philippika zu reiten gegen alle Studien und Gutachten, die das BAKOM in Auftrag gegeben hat. Titel: «Leuthards Stosstrupp für den Service public». Untertitel: «Das Bundesamt für Kommunikation zementiert mit Studien die Vormachtstellung der SRG.» Flückiger wiederholt die in rechten Kreisen gängige Auffassung, das Bakom dürfe erst aktiv werden, wenn das Parlament seine Grundsatzdebatte über die Medien abgeschlossen habe – wenn mithin alle Weichen gestellt wären. Gegen die Vorarbeiten für ein Gesetz über elektronische Medien «regt sich bereits Widerstand», verkündet Flückiger. Und wer leistet da Widerstand? Flückiger zitiert zuerst und vor allem Gregor Rutz (siehe oben), er zitiert sodann Jürg Grossen (GLP) und Thierry Burkart (FDP) – alle drei Mitglied der rechtsbürgerlich dominierten nationalrätlichen Verkehrs- und Fernmeldekommission (siehe oben…). Gregor Rutz seinerseits verweist auf Facebook begeistert auf den NZZ-Artikel von Flückiger (Eintrag vom 14.02.2017): «…mehr Wettbewerb, eine grössere Angebotsvielfalt und weniger Staatsinterventionen – es ist erfreulich, dass sich die Medienkommission des Nationalrats (deren Mitglied er selbst ist – FS) eine liberalere Medienordnung wünscht!» In dem NZZ-Artikel, auf den Rutz verweist, lobt Flückiger die Fernmeldekommission des Nationalrats – deren Mitglied Rutz eben ist… («Bundesrat soll SRG einschränken», NZZ 14.02.2017). So schliessen sich die Kreise.

Förderung der NZZ?

Es ist das gute Recht von Flückiger und der NZZ, die Ruinierung des öffentlich-rechtlichen Service public und der SRG zu verlangen. Problematisch ist nur, dass Berichterstattung und Meinung in diesen Artikeln so gar nicht getrennt werden, dass die Argumente für den Service public so gar nicht vorkommen und dass der Widerstand gegen Bundesrat und Bakom immer und immer wieder aus den paar SVP- oder SVP-nahen Köpfen besteht. Kurzsichtig ist das, weil es durchaus sein könnte, dass die NZZ bald einmal Förderung – und sei sie, horribile dictu, staatlich – dringend nötig hätte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Felix Schneider Geboren 1948 in Basel. Studium Deutsch, Französisch, Geschichte. Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber „Schwob“.

  • Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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6 Meinungen

  • am 24.02.2017 um 13:58 Uhr
    Permalink

    No-Billag Initiative: NEIN, aber Programmrevision nötig!

    Nach dem vernünftigen Gebührenentscheid im revidierten Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) muss als zweiter Schritt die Überprüfung der SRG-Programme folgen. Es stellen sich insbesondere folgende Fragen:

    1. Warum gehören das permanente Ausstrahlen von Kriminal-, Gewalt- oder Horrorfilmen und die Raser-Animation Formel-1 zum Service public?
    2. Warum kann man die Ausstrahlung von Klamauk-Formaten (zum Beispiel Reality-TV) und von seichten, synchronisierten US-Unterhaltungsfilmen nicht einfach den privaten Fernsehkanälen überlassen werden?
    3. Wo liegt die Schmerzgrenze bei Sendungen für kleinste Minderheiten? Sollte man solche Minderheiteninteressen nicht besser durch Printmedien abdecken lassen?
    4. Warum brauchen wir mehrere Vollprogramme von 6 bis 24 Uhr? Könnte man nicht mehr Wiederholungen ausstrahlen?

    Mit Sparmassnahmen an der richtigen Stelle könnten Gebühren gesenkt, die Werbefenster verkleinert oder mehr und bessere eigenständige Sendungen produziert werden.

    Übrigens: Die Politik hätte sich schon lange um den konkreten Programmauftrag kümmern können, tat sie aber nicht.

  • am 24.02.2017 um 15:16 Uhr
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    Ich hab schon in einem Land gelebt wo alle Sender privat sind, da ist der Informationsgehalt gleich NULL.
    Auch hier in der Schweiz sind die privaten Sender alle auf BOULEVARD NIVEAU.
    Die besten TV Sender sind ARTE und 3 SAT.

  • am 24.02.2017 um 17:08 Uhr
    Permalink

    Dass es die privaten Medien im heutigen wirtschaftlichen Umfeld nicht mehr leicht haben, unabhängigen Qualitätsjournalismus zu liefern, ist wohl eine Tatsache. Dass Sie sich mit Händen und Füssen gegen die staatlich subventionierte Konkurrenz wehren, ist verständlich.
    Dass es aber Ihren politischen Vorkämpfern nicht möglich zu sein scheint, ihre Buchhalteroptik in der gesellschaftlich wichtigen Diskussion zum Service Public für einen Moment etwas zu erweitern, ist blamabel.
    Eine grundlegende Diskussion ist nötig und snnvoll – aber bitte nicht auf diesem Niveau!

  • am 24.02.2017 um 17:52 Uhr
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    Ein paar Anmerkungen (so viel, wie Platz hat):

    SVP, die «Aktion Medienfreiheit», Verlegerverband, Teile von FDP, Teile von GLP und andere haben sich zu einer Anti-SRG- und Anti-Service-public-Lobby zusammengefunden. Sie bekämpfen die Absicht, ein neues Gesetz über elektronische Medien zu entwickeln.
    Diese Parteien und Gruppen vertreten ihre Interessen. Das nennt sich Politik.

    Die nationalrätliche Schwesterkommission hat 25 Sitze: 5 SP, 4 CVP, 4 FDP, 1 GLP, 1 BDP, 8 SVP, 1 Lega, 1GPS. Hier 13 Leute für eine rechtsbürgerliche Mehrheit zusammenzukriegen, ist nicht schwer.
    Die Kommissionen werden gemäss der Fraktionsstärke zusammengesetzt. Im Ständerat bilden sie also das Übergewicht der kleinen, ländlichen Kantone ab, die am Service public hängen, im Nationalrat den Volkswillen.

    Verlässlicher Verstärker der Anti-SRG- und Anti-Service-public-Lobby ist der NZZ-Journalist Jan Flückiger (flj.).
    Jan Flückiger ist ein gescheiter liberaler Kopf, wie es bei der NZZ erwartet werden darf. Er schreibt über Bundespolitik mit einer «freisinnig-demokratischen Grundhaltung». Diesen Service public leistet die NZZ seit 1780, ohne Zwangsgebühren.

    Flückiger wiederholt die in rechten Kreisen gängige Auffassung, das Bakom dürfe erst aktiv werden, wenn das Parlament seine Grundsatzdebatte über die Medien abgeschlossen habe – wenn mithin alle Weichen gestellt wären.
    Die Gesetze macht nicht der Bundesrat und schon gar nicht die Bundesverwaltung, sondern das Parlament. Es heisst darum Legislative.

  • am 24.02.2017 um 20:45 Uhr
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    Es tut mir leid. Aber wenn man den service public damit verteidigt, er sei die letzte Bastion der Linken, weil die sich auf dem freien Markt nicht behaupten können – ja, dann kann man nicht gleichzeitig erzählen, wie toll der service public einem überparteilichen konsensuellen Wertesystem dient. Die Botschaften vertragen sich nicht.

  • am 4.03.2017 um 20:55 Uhr
    Permalink

    Es ist nicht nur die NZZ, die NoBillag eine Plattform gibt. Auch Pietro Supino hat schon mehrmals signalisiert, dass ihm die SRG ein Dorn im Auge ist. Man schaue nur mal, wie rege 20 Minuten über NoBillag berichtet. Wenn man dort in den Kommentarforen eine Gegenposition plazieren will, wird sie gar nicht erst freigeschaltet. Dafür werden reihenweise SRG-kritische Kommentare publiziert. Das wiederum zeigt aber, nach welcher perfiden Logik die Privatmedien funktionieren und warum unabhängige Medien umso notwendiger sind.

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