Corona

Mit Corona-Schlagzeilen sichern sich die Medien Aufmerksamkeit. © Engin Akyurt (Pixabay)

Vorschnelle Urteile über eine «unmenschliche» Schweiz

Rainer Stadler /  Im Kampf gegen die Epidemie bezeichnen Kritiker den Schweizer Weg als unmenschlich. Gar von Eugenik ist die Rede. Das ist grotesk.

Die Corona-Epidemie dominiert – wie kaum je ein Ereignis in jüngster Zeit – die Medienbühnen. Das gilt sowohl hinsichtlich der Dauer wie auch der Intensität. Mancher Zeitgenosse findet es unerträglich. Doch Artikel zu diesem Thema treiben die Klick-Zahlen hoch, und entsprechend produzieren die Redaktionen dazu wie wild Beiträge zu beliebig vielen Aspekten. Sie können sich dabei mit dem Argument der Relevanz schmücken – die Pandemie hat unübersehbar gravierende Folgen und wirkt sich auf fast alle Lebensbereiche aus. Es geht hier nicht um Firlefanz.

Im täglichen Dickicht an Corona-News wird auch der Trüffelsucher immer wieder fündig. Er braucht indessen Nerven. Die Angebote sind auf den schnellen Verbrauch ausgerichtet. Die mediale «Teaser»-Ideologie prägt den Output. Deren Anhänger sind überzeugt davon, man müsse den willenlosen Konsumenten Köder hinwerfen, damit diese im Zirkus mitmachen und die Klick-Resultate vorantreiben. Anlässe der Behörden geraten so zu Ereignissen, denen man erwartungs- oder furchtvoll entgegenfiebern soll.

Autoritätsgläubige Redaktionen

Was wird der Bundesrat beschliessen? Wird er den Kantonen den Tarif durchgeben? Wird er endlich durchgreifen? Solcher Teaser-Sound prägt derzeit die täglichen Medienarenen. In den redaktionellen Fabrikaten schwingt eine Autoritätsgläubigkeit mit, die ziemlich überrascht in einem journalistischen Milieu, das sonst gerne eine kritische Gesinnung zur Schau stellt. Ohnehin fällt auf, wie schnell Redaktionen strengere Massnahmen gegen die Corona-Epidemie einfordern. Und das in der festen Überzeugung, das rigidere Ausland handle bedeutend vernünftiger und erfolgreicher als die Schweiz.

Betrachtet man die Entwicklungen in einem längeren Zeithorizont, scheint das gar nicht so sicher. Eine menschenfreundliche Steuerung der Krise erlaubt keine einfachen Entscheidungen. Es sei denn, man entscheidet sich für brutale Methoden, wie sie in China und ähnlichen Diktaturen gebräuchlich sind. Wer zweifelt und sich differenzierende Erwägungen erlaubt, muss allerdings schnell damit rechnen, von Besserwissern ins Lager der Faktenverleugner geworfen zu werden.

Gleichgültig trotz vielen Todesfällen?

In den vergangenen Tagen richteten einige Redaktionen das Augenmerk auf einen weiteren Aspekt: die Anzahl der Toten. In der Schweiz sterben derzeit überdurchschnittlich viele Personen. Hier werde die unmenschliche Politik unseres Landes mit seinen bisher largen Corona-Massnahmen manifest, sagen Kritiker. Man tue zu wenig gegen vermeidbare Todesfälle, heisst es. Das Sterben werde von der Öffentlichkeit kalt und gleichgültig ignoriert.

Als Kontertext erschienen nun Schicksalsberichte von Personen, die den Verlust von Angehörigen zu beklagen hatten. Die publizistische Aktion gegen das Vergessen ist verdienstvoll. Deren Motiv ist allerdings die durch die Epidemie verursachte ausserordentliche Lage. Es geht hier letztlich um einen Beitrag zur kollektiven Bewältigung einer alle erfassenden Notlage. Individuelle Dramen interessieren bloss in Bezug darauf. Wer unter durchschnittlichen Zeitumständen wegen einer Krankheit oder eines Unfalls stirbt, bekommt keine Beachtung in der Öffentlichkeit – obwohl das für das jeweilige persönliche Umfeld nicht weniger tragisch ist. Wenig Beachtung finden auch die 2000 bis 3000 vermeidbaren Todesfälle, zu denen es nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit jedes Jahr in Schweizer Spitälern kommt.

Das öffentliche Interesse an individuellem Leid bleibt in diesem Sinne willkürlich, «egoistisch» und kalt. Die Teilnahme an Todesfällen, die nun einige Redaktionen zelebrieren, erscheint insofern weniger selbstlos.

Eine krasse Interpretation

Zum Thema nahmen auch bekannte Historiker wie Jakob Tanner und Flurin Condrau Stellung. Diese erkennen in der Schweizer Corona-Politik gar Eigenschaften der Eugenik. Condrau sagte dem «Tages-Anzeiger» dies: Eugenik charakterisiere sich dadurch, dass Fortpflanzung staatlich gesteuert werde und dass bestimmte Gruppen als minderwertig betrachtet werden. Die Schweiz handle eugenisch, weil sie in Kauf nehme, «eine höhere Zahl an Menschen der Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren zu verlieren, um einen Lockdown im strengen Sinn landesweit zu verhindern».

Condrau sagt letztlich das, was die Kritiker in den Redaktionen implizit denken. Doch es ist eine ziemlich krasse Interpretation der Lage und ein fragwürdiger Bezug auf ideologische Auswüchse zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Man unterschlägt hier den wichtigen Unterschied zwischen aktivem und passivem Handeln. Der Schweizer Corona-Politik kann man nicht ernsthaft ein gezieltes Handeln gegen eine bestimmte Gruppe unterstellen. Vielmehr geht es um eine Abwägung von Anforderungen, die nicht alle gleichzeitig optimal erfüllbar sind.

Es ist wie bei der Verkehrspolitik. Man könnte Hunderte Schwerverletzte und Tote vermeiden, wenn man viel rigidere Verkehrsregeln einführen würde. Doch man nimmt diese in Kauf mit Blick auf den kollektiven Anspruch auf Bewegungsfreiheit.

Eine sterile Sicht

In den Redaktionen hat sich ein steriles Narrativ festgesetzt, gemäss dem zugunsten «der Wirtschaft» auf strengere Massnahmen gegen die Epidemie verzichtet werde. Der Generalbass der Beiträge: Das ist unmenschlich. Es geht jedoch auch um die Freiheitsrechte der Einzelnen. Man darf diese nicht ohne zwingenden Grund einschränken. Gewiss braucht es im konkreten Fall genaue Abwägungen, mit welchen Massnahmen man den unterschiedlichen Zielwerten halbwegs genügen kann.

Dass die medialen Kritiker der angeblich inhumanen Schweiz in der Diskussion wenig Interesse an Freiheitsrechten zeigen und das Heil vorschnell in rigorosen Massnahmen erkennen, stimmt nachdenklich. Lieben Journalisten die Freiheit nur solange, wie sie selber in ihren Kreisen nicht gestört werden?


Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine.


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Zum Infosperber-Dossier:

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Coronavirus: Information statt Panik

Covid-19 fordert Behörden und Medien heraus. Infosperber filtert Wichtiges heraus.

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10 Meinungen

  • am 9.12.2020 um 11:49 Uhr
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    The usual suspects. Einmal mehr die schein-, ja anti-liberalen Schwätzer!

  • am 9.12.2020 um 12:24 Uhr
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    Leute wie Tanner oder Condrau scheinen die Gunst der Pandemie nutzen zu wollen, um auch noch zu ihren «15 minutes of fame» zu kommen.

    Schon in der Schweiz gibt es gravierendere Beispiele dafür, wo nicht die Gesundheit alleine an erster Stelle steht. Warum stoppt man die Tabaklobby (9’500 frühzeitige Todesfälle pro Jahr in der Schweiz) nicht, welche gerade mit den Dampferprodukten eine neue Einstiegsdroge für Jugendliche lanciert?

    Dass in Entwicklungsländern noch viel krassere Fälle der Geringschätzung von Menschenleben vorkommen, müsste nach dem Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungsinitiative allen klar sein.

  • am 9.12.2020 um 12:55 Uhr
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    Rainer Stadler ist vollumfänglich zuzustimmen. Die Medien sind von Anfang Teil der Maschinerie, die eine verkehrte Strategie poduziert hat. Und ja, man muss mittlerweile von DEN Medien schreiben, weil ausser Infosperber niemand mehr da ist, der mit der nötigen Distanz an die Sache herangeht. Nur dank Infosperber ist Professor Pietro Vernazza nicht allüberall als Häretiker, Phantast und dessen Thesen nicht mindestens als abwegig abgestraft worden. Nur ein paar Monate und weitere Pirouetten der hilflosen Truppe um den Gesundheitsminister später müsste man zumindest zur Einsicht gelangen, dass die offizielle Strategie nicht nur nichts gebracht hat, sondern den Schaden wohl ins Unerträgliche steigern wird. Hätte man auf Leute wie Vernazza rechtzeitig gehört, würden zwar auch heute noch Menschen erkranken und sterben, aber der öffentliche Umgang damit wäre ein anderer und somit das allgemeine gesellschaftliche Klima und die Kosten erträglicher. Ganz abgesehen von wesentlich besseren Perspektiven für die soziale, kulturelle, wirtschaftliche und psychische Entwicklung. Doch darüber – über das Nachher, siehe dazu freystefan.ch – scheint sich kaum jemand Gedanken machen zu wollen. Und DIE Medien erst recht nicht.

  • am 9.12.2020 um 15:13 Uhr
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    Nachdem in allen Medien bei der Wissenschaft abgebaut wurde müssen heute Wald-Wiesen-Feld-Journalisteninnen übernehmen. Die suchen dann Experten oder Möchtegernexperten, machen ein Interview, meistens schriftlich, mangels Kompetenz ohne nachfragen und publizieren. Natürlich auch ein Redaktor des TA. Auch er eine journalistische «Allzweckwaffe" ("kann» und muss über alles schreiben) mit geringer Wirkung. Er wie andere seines Standes sind auf den «Totenzug» aufgesprungen. Abschreibejournalismus quer durch alle Redaktionen. Journalisten lieben ihre Freiheit und missbrauchen sie auch. Corona hat schonungslos den Niedergang der Medien dokumentiert!

  • am 9.12.2020 um 16:11 Uhr
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    Demnächst müssen wir auch den Strassenverkehr verbieten, weil dort die ü 65-jährigen überproportional oft getötet werden (Gesamtzahl Verkehrsopfer in der Schweiz in 2019 = 187), davon überproportional viele ü 65 (75 = 40%), obwohl sie nur 19% der Bevölkerung ausmachen. Sonst Eugenik!!

  • am 9.12.2020 um 20:45 Uhr
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    Weltweit sterben jährlich mehrer Millionen Menschen an Hunger. Das sind auch vermeidbare Todesfälle. Gleichwohl fühlen wir uns in unserer bequemen Konsumkultur davon nur wenig betroffen. Man wünschte sich, dass die vielen hungernden Kinder wenigstens einen Bruchteil der Anteilnahme erführen, die den Covidopfern derzeit (und mit Recht) zuteil wird.

  • am 10.12.2020 um 02:39 Uhr
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    "Im Kampf gegen die Epidemie bezeichnen Kritiker den Schweizer Weg als unmenschlich. Gar von Eugenik ist die Rede. Das ist grotesk."
    ‹Grotesk› bedeutet, durch Übersteigerung und Verzerrung komisch oder unsinnig wirkend. Einige Schweizer, wie auch Menschen anderer Nationen, sind in diesem Sinne grotesk.
    DIE Schweiz und DER Schweizer Weg sind verschiedene Sachen, sind keine Menschen und können deshalb sprachlich nicht unmenschlich sein.
    Die Vorsilbe ‹un-‹ ist ambiguent (vieldeutig), aber ist nie eine absolute Negation, wie nicht, kein, …
    Es gibt aber durchaus ‹unmenschliche› Schweizer, wie auch Personen in anderen Nationen, die sich um Menschenrechte u. Menschlichkeit im ausserbiologischen Sinn einen Dreck scheren.
    Wie hoch die Korrelation zwischen Unmenschlichkeit zu Machtgier u. den Machtmitteln , wäre mal kritisch (untersuchend) zu ermitteln ?

  • am 10.12.2020 um 12:49 Uhr
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    Fachidiotie als Zeitgeist

    In der Bibel steht in Psalm 90 Vers 12: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Der Mensch wird nicht durch seinen Tod klug, aber durch Nachdenken. Die christlichen Regierungsparteien haben sich gegen die Klugheit der Bibel entschieden. Sie wollen in der angeblichen Pandemie jedes Leben um jeden Preis retten und nicht über die Sinnhaftigkeit ihrer Politik nachdenken. Auch Nicht-Christen sollten nichts dagegen haben, mit oder ohne Gottes Hilfe durch Nachdenken klug zu werden.

    Es ist nicht ungewöhnlich, wenn Politiker mit Scheuklappen durch die Welt laufen und den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Sie lassen sich von Experten beraten, die in Denkfabriken herangebildet wurden und die nur noch stromlinienförmig denken können. Früher bezeichnete man solche Experten als Fachidioten. Querdenken und über den Tellerrand der eigenen Fachrichtung hinaussehen, entspricht aber nicht mehr dem Zeitgeist. Vielleicht gibt es aber noch Menschen, die diese Fähigkeiten nicht verlernt haben. Von Prof. Dr. Werner Müller

  • am 10.12.2020 um 20:18 Uhr
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    Bereits im Februar war ja klar, dass man die «Massnahmen» hochfuhr, um eine «Kompetenzgerechte» durchseuchung zu erreichen. Also Eine, die man mit den verfügbaren Betten in Spitälern unter Kontrolle halten kann.(Das R-wert-Drama) Dass die Durchseuchung stattfindet/zugelassen wird, wurde nie geleugnet. Impfungen werden üblicherweise aber präventiv verabreicht. Jetzt, 1 Jahr nach «Erkennung der Gefährlichkeit» einen Impfstoff zuzulassen, der eigentlich 5 Jahre zu testen wäre, öffnet Tür und Tor zu «abgekürzten Testverfahren» bei zukünftigen «entsprechenden Voraussetzungen». SARS als Virus ist seit 2003 bekannt. Dass sich kein Labor dazu entscheiden konnte, dieses «Ach so gefährliche» Virus zu bekämpfen,weil darür kein «Geld vom Staat» aufgewendet werden konnte, wurde mit Annahme der StV-17 korrigiert. Steuerabzüge oder -Rekompensationen wurden dort zugesagt. Eine nun «plötzlich auftretende Pandemie» kommt Einigen vielleicht sehr gelegen. Die Pharmaindustrie in der Schweiz entliess in den letzten 10 Jahren über 10’000 «Arbeitnehmer». Wie ernst soll ich deren Bemühungen nehmen? Und welche Einflüsse hatte das auf die Profitabilität der betreffenden Firmen? Nur so als Denkanstoss: Jeder Entlassene trägt zur «Belastung der Bundeskasse» bei, wie ein Kranker. Nur dass nun der Staat und seine «ALV» bezahlt, statt einer privaten Krankenkasse oder Versicherung. Ausserdem sind alle so viel einfacher zu Überwachen.

  • am 11.12.2020 um 01:00 Uhr
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    Die Leitmedien sind zu einem Manipulationsinstrument verkommen.
    Die Frage ist, in wessen Dienst sie stehen, woher kommt das Geld.
    In der Mitte der hirarchieschen Diagramms sind:
    Praktisch sämtliche Leitmedien gehören Axel Springer oder Ringier oder CH Media oder tamedia und SRG an.
    (https://swprs.org/netzwerk-medien-schweiz/).

    Aber nach oben sind auch diese zusammengefasst in den «Bilderberg Meetings» (https://bilderbergmeetings.org/press/press-release/press-release) und der «Atlantikgruppe».

    Mit anderen Worten: die gesamte Medienlandschaft wird beinflusst durch 2 Organisationen mit sehr wohlhabenden Menschen.

    Rümliche Ausname: INFOSPERBER!

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