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Die Kritik an der Manipulation kann in den allumfassenden Glauben an diese umschlagen. © Pixabay

Trotzki und Kartoffelsack: Eine Geschichte der Manipulation

Stefan Howald /  Auf die vielfältigen Manipulationen muss aufklärerische Kritik antworten. Sonst bleibt der Glaube an die Allmacht der Verführer.

Bei den alten Römern war Politik scheinbar einfach: Panem et circenses, Brot und Spiele. Der Plebs wurden ein paar Krumen hingeworfen und öffentlich ein paar Christen abgeschlachtet, und schon unterstützte sie, was der Kaiser wollte.
Mit der Moderne wurde es komplizierter. Es entstanden Zeitungen. Parteien. Politische Versammlungen. Öffentlichkeit. Mehr Bildung. Aufgeklärte BürgerInnen. Da brauchte es raffiniertere Mittel, die Menschen zu ihrem Glück zu überzeugen. Mittlerweile werden komplexe Algorithmen eingesetzt, um sie zum richtigen Verhalten zu verleiten. Keine unserer Regungen bleibt mehr verborgen, und aus vergangenen Handlungen werden künftige extrapoliert.
Beide gängigen Auffassungen simplifizieren. Schon die römische Plebs war nicht immer so leicht zu übertölpeln. Umgekehrt ist die Moderne nicht so ausgeklügelt, wie sie selbst behauptet. Beide Auffassungen haben zudem gemein, dass sie die Menschen als formbares Wachs in den Händen höherer Mächte verstehen.

Hand- und Kunstgriffe

«Die Welt will betrogen sein», vermeinten schon die Römer zu wissen. Oder moderner: Sie wird manipuliert. Dabei begann dieser Begriff ganz unschuldig. In Denis Diderots «Enzyklopädie», die das Wissen der Aufklärung versammelte, wird die «manipulation» als handwerklich-technischer Hand- und Kunstgriff eingeführt, und so kommt sie auch als Lehnwort ins Deutsche. Friedrich Engels bezeichnet damit die repetitiven Tätigkeiten in den Fabriken Manchesters. Erst im 20. Jahrhundert wird Manipulation auch für den Vorgang verwendet, Menschen zu beeinflussen.
Selbstverständlich, schon in der Aufklärung rückte die Beeinflussung anderer kritisch ins Blickfeld. Es werde Licht!, lautete die Losung gegen dunkle Absichten und finstere Hintermänner. Das richtete sich zunächst gegen die Religion. Die Pfaffen und Priester träufelten den Menschen mit allerlei fantastischen Erfindungen Honig in die schwärenden Wunden. In der Priestertrugstheorie, wie sie die frühen atheistischen Materialisten vertraten, gab es einen klaren Schurken. Écrasez l’infâme! – Rottet den Aberglauben aus! Das wurde in der marxschen Ideologiekritik verallgemeinert: Nicht nur Priester, sondern auch Lehrer, Beamte, Richter arbeiteten den Herrschenden zu.
Tatsächlich ist die bürgerliche Gesellschaft stärker auf massenhafte Zustimmung angewiesen. Das spektakuläre Kolosseum der römischen Stadtrepublik oder das zeremonielle Versailles des Absolutismus mochten die UntertanInnen beeindruckt und willfährig gehalten haben, aber in den industrialisierten Grossstädten nisteten Diversität und Unruhe. Die Massendemokratie muss mehr und unterschiedlichere Leute ruhig halten.
Die Medien vervielfachten die Möglichkeiten, die Emotionen der Menschen zu beeinflussen. Dabei konnte die Manipulation, wie in der ursprünglichen Bedeutung, ganz handfest sein: wenn etwa ein Bild retuschiert wurde. Schon im US-Bürgerkrieg wurden Fotos gestellt, um Sympathien für die eine Seite zu wecken. Die platte Fälschung, die freche Lüge traten zusehends selbstbewusster auf. Stalin liess auf Fotografien von Lenin den daneben stehenden Trotzki wegretuschieren; US-Aussenminister Colin Powell läutete vor der Uno mit gefälschten Angaben den Irakkrieg ein. Dagegen braucht es die kritische Aufdeckung und Entlarvung.

Tiefenpsychologie

Doch die Manipulation kann auch mit feineren Methoden arbeiten. Entwickelt wurden diese Anfang des 20. Jahrhunderts besonders in den USA. Edward L. Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds, stützte sich auf massenpsychologische Erkenntnisse und begründete die Public Relations mit. «Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft», schrieb er und verstand dies positiv als Erziehung der Öffentlichkeit. Bernays hatte im Ersten Weltkrieg Propaganda für die US-Armee und den Kriegseintritt der USA gegen Deutschland gemacht, ehe er sich der Privatwirtschaft zuwandte. Nicht mehr den Krieg galt es zu verkaufen, sondern die Waren der Konsumgesellschaft. PR wurde zur Pseudowissenschaft.
Für die Schweiz ist immer noch der berühmte Satz des Werbers Rudolf Farner stilbildend: «Für eine Million Franken mache ich aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat.» Diesen Spruch soll Farner um 1960 geäussert haben, nachdem seine Agentur erstmals amerikanische PR-Methoden in der Schweiz etabliert hatte. Ob er ihn wirklich je gesagt hat, wollte er lange weder bestätigen noch dementieren, denn die Aussage gehörte bald zu seinem Image, und sie umschrieb nicht nur die Bedeutung des Geldes, sondern vor allem die Macht, die man den neuen PR-Methoden zutraute. 1957 hatte der US-amerikanische Publizist Vance Packard das Buch «The Hidden Persuaders» veröffentlicht, das ein Jahr später unter dem Titel «Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewussten in jedermann» auf Deutsch erschien und zum Sensationserfolg wurde. Packard schilderte in schrillsten Tönen die neuen Methoden der sogenannten Tiefenpsychologie und der PR. Farben, die zum Kauf anregen sollten, die raffinierte Platzierung von billigeren und teureren Waren, das Auslösen von Spontankäufen. Noch faszinierender: technoide Verfahren. Unterschwellige Werbung, kurze Sequenzen, nur Millisekunden lang, in einen Film geschnitten, sollten sich ins Unbewusste einbrennen und Massenkäufe auslösen (die Studie, auf die er sich dabei bezog, erwies sich später als gefälscht). Mit konservativem Vorbehalt evozierte er ein Bild, das von der kommunistischen Gehirnwäsche als politischem Schreckgespenst zehrte, aber zugleich ein ungeahntes Feld kommerzieller Verlockungen eröffnete.
Darauf antwortete die Manipulationskritik. Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, durch die Erfahrungen der US-Konsumgesellschaft hindurchgegangen, betrachtete die Vereinnahmung der Menschen als allumfassend und unumkehrbar. Bernays hatte 1947 einen Essay mit dem Titel «The Engineering of Consent» veröffentlicht, über die Herstellung von Zustimmung. Vierzig Jahre später setzte dem der kritische Linguist und Aktivist Noam Chomsky zusammen mit Edward S. Herman im Buch «Manufacturing Consent» eine scharfe Kritik der Manipulation entgegen.

Drahtzieher

Die Krux des Manipulationsbegriffs aber besteht darin, dass die Manipulation schillernder vorgestellt wird als der Betrug und die Lüge, weniger greifbar und zugleich tiefgreifender. Sie droht dann in die Denunziation geheimer Mächte umzuschlagen. Wenn man sich den Algorithmen von Google ausliefert und nach Bildern zum Begriff sucht, erscheint zu fünfzig Prozent ein Marionettenspieler, an dessen Fäden die Manipulierten tanzen. Der Drahtzieher ist ein berüchtigter Topos der politischen Justiz. Die unbotmässige Masse kann nur als blinde Herde imaginiert werden, die durch Ausschaltung des Rädelsführers ihres zerstörerischen Willens beraubt werden muss. Aber auch die Kritik an der Manipulation kann in den allumfassenden Glauben an diese umschlagen. Das ist in beide Richtungen defizitär: Die Manipulierten werden als verführbar und dumm gedacht, die ManipulatorInnen als allmächtig.
Natürlich: Fake News, Social-Media-Blasen existieren und haben Effekte. Wie genau sie wirken und vor allem, wie ihnen begegnet werden kann: Zur Beantwortung dieser Fragen braucht es ein komplexeres Modell kognitiver und sozialpsychologischer Prozesse.
Denn so schmerzend es dem aufgeklärten linken Bewusstsein erscheinen mag: Selbst die Bedienung eines Facebook-Accounts ist nicht blosser Befehlsempfang, sondern eine aktive Tätigkeit. Man wählt aus, man produziert. Dass diejenigen, die der Manipulation ausgesetzt sind, selbst aktiv mitwirken, geht bei deren Überschätzung verloren – und damit auch ein Ansatzpunkt des Widerstands gegen die Manipulation.

Dieser Text ist erstmals in der «Wochenzeitung» publiziert worden.


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Keine

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Eine Meinung zu

  • am 26.04.2018 um 15:27 Uhr
    Permalink

    Wenn heute Millionen in Kartoffelsäcke investiert werden,ist das Resultat nicht mehr immer wie Gewünscht.
    Das Debakel Blochers in Basel kostete nach meiner bescheidenen Meinung 200 bis 300 Millionen SFr. und hat Blochers Ruf ein Winner zu sein,nachhaltig zerstört.
    Wie ist es möglich, das bis Heute kein einziges Medium auch nur eine Zeile über die Druckerei schreibt,die er in Basel bauen liess und nun dem Konkurs über lässt.
    Blocher wird den Basler als der in Erinnerung bleiben,der die letzte Tageszeitung in Basel zerstört hat.

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