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FMH-Präsident Schlups Aussagen hat die Tagesschau unkritisch weiter verbreitet © SRF

SRF-Tagesschau: Sprachrohr der Ärzteschaft

Urs P. Gasche /  Eine Lobby organisiert eine Medienkonferenz und die Tagesschau hält das Mikrofon hin. Angeschossene kommen nicht zu Wort.

Die Ärztegesellschaft FMH hat sich mit den Krankenkassen und Spitälern trotz langen beziehungsweise verlängerten Verhandlungen nicht auf neue Honorare einigen können. Deshalb muss Gesundheitsminister Alain Berset laut Gesetz die neuen Tarife verordnen. Dessen Vorschläge passen der Ärzteverbindung FMH nicht. Um Druck auf den Bundesrat auszuüben, organisierte die FMH eine Medienkonferenz, in der Hoffnung, die Medien würden den Standpunkt der ärztlichen Standesorganisation möglichst ungefiltert weiter verbreiten.
Die SRF-Tagesschau vom 20. Juni zeigte sich gefügig. Die meisten privaten Medien sowieso.
Die NZZ dagegen titelte «Jammern [der FMH] über der Schmerzgrenze» und «Politik verliert langsam Geduld mit Ärzten».
Tagesschau hält Mikrofon hin
In der Tagesschau durfte FMH-Präsident Jürg Schlup gleich in zwei Statements behaupten, der Vorschlag von Bundesrat Berset sei «nicht gerecht», er «benachteilige» die Ärzte und würde «die ambulante Versorgung schwächen».

  • Keine kritische Gegenfrage des Bundeshaus-Korrespondenten Fritz Reimann.
  • Keine Gelegenheit für den kritisierten Bundesrat und seine Leute, auf die Vorwürfe der FMH zu antworten. Vielmehr kam mit Urs Stoffel, Mitglied des FMH-Zentralvorstand, ein zweiter FMH-Vertreter noch zweimal zu Wort, mit ebenfalls nicht hinterfragten Behauptungen.
  • Der Tagesschau-Moderator wiederholte die Behauptungen der FMH: «Die Ärzte fühlen sich benachteiligt» und «nicht gerecht behandelt».

Genau genommen weiss der Moderator nicht, ob die FMH-Ärzte sich tatsächlich «ungerecht behandelt fühlen». Vielleicht sagen sie dies lediglich, um bei den Preisen das Maximum für sich herauszuholen. Ganz korrekt müsste die Information also lauten: «Die FMH erklärt, sie fühle sich ungerecht behandelt.» So hatte man es früher in der Journalistenschule bei Wolf Schneider gelernt.
Tagesschau informiert mit zwei Ellen
Damit sich die Zuschauerinnen und Zuschauer der Tagesschau eine eigene Meinung bilden können, genügt es nicht, in drei Wochen über eine Pressekonferenz der Krankenkassen oder des Bundesamts für Gesundheit – ebenso devot – zu informieren. Die Zuschauenden möchten Argumente und Gegenargumente gegenübergestellt sehen.
Falls die Konsumentenschutzorganisation SKS, die ähnlich viele zahlende Mitglieder hat wie die FMH, zu einer Medienkonferenz über die Kosten von Ärzten und Spitälern einlädt, wird die Tagesschau vielleicht nicht einmal darüber berichten oder dann die SKS-Kritik an der FMH nicht ohne eine Stellungnahme der FMH verbreiten.

«Jammern über der Schmerzgrenze»
Die NZZ kommentierte die Medienkonferenz der FMH wie folgt: «Der Ärzteverband FMH verteidigt mit gewerkschaftlichem Furor die Pfründen seiner Mitglieder.» Seine Argumente seien teilweise «ein gar durchsichtiges Manöver».
Über die Einkommen der Ärzte werde «erstaunlicherweise» kaum öffentlich diskutiert, wundert sich die NZZ. Die Zeitung zitiert Ignazio Cassis, Präsident der nationalrätlichen Gesundheitskommission: «Es handelt sich schliesslich um Gelder aus einer Sozialversicherung.»
———-
Laut Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen die Informationssendungen der SRG «zu Erklärungen Dritter kritische Distanz wahren sowie Gegenstandpunkte in fairer Weise darlegen». (BG 2C_710/2019 zum 10vor10-Beitrag über «FDP und Pharmalobby»). Die SRF-Tagesschau hält sich manchmal nicht daran, wie auch folgende Beispiele zeigen:

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 22.06.2017 um 13:14 Uhr
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    Tja, die Bankrotterklärung der Krankenversicherer stellen die Verhandlungen zum Risikoausgleich und diejenige der Ärzteschaft die Verhandlungen zum TARMED dar!

    Es geht eben leider immer um die Verteidigung liebgewonnener und als selbstverständlich erachteter finanzieller neo-liberaler Eigenvorteilsnahmen auf Kosten des Prämien- & Steuerzahlers, resp. der Allgemeinheit. Herr Dr. med. Daniel Bracher hat es in seiner Abrechnung gegenüber der FMH-Standespolitik unter Jürg Schlup und Zentralvorstandsmitglied Urs Stoffel sehr schön postuliert:

    «Politik ist das Bestreben, sich und seinesgleichen wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen und zu erhalten» – SAEZ 33/2016

    Der Patient also Spielball rein wirtschaftlicher Eigeninteressen. Patientenwohl und Kosteneffizienz: Fehlanzeige. Die Medien als 4. Gewalt entsprechend unterwandert und nicht mehr objektiv: manipulierte Interessens- anstelle evidenzbasierter Sachvertretung, resp. -Politik!

    Diese im Krankenversicherungswesen vorliegende Ressourcenverschwendung von mind. 20 Mrd. Fr. gemäss Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul-Robert Vogt führt eng verknüpft im Sozialversicherungsbereich infolge des übermässigen Spardrucks zusätzlich zum gezielten «Sozialen Tod» im polit-ökonomischen Eigeninteresse, wie von der Psychiaterin Dr. med. Doris Brühlmeier-Rosenthal mutig über ‘Versorgungsforschung’ punkto ökonomischen und medizinischen Zusammenhängen eines Rentenentzuges oder -Verweigerung im Praxisalltag erst kürzlich publiziert (SAEZ 24/2017)

  • am 22.06.2017 um 13:37 Uhr
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    Als namentlich Kritisierter möchte ich nur beifügen, dass die Tagesschau über Bundesrat Bersets Haltung eingehend berichtet hat. Er wir auch wieder zu Wort kommen, wenn er die Vernehmlassungergebnisse kommentieren wird. Auch kam im Tagesschau-Bericht über die FMH deutlich zu Ausdruck, das Berset eingegriffen hat, weil die FMH und andere bis jetzt nicht fähig waren, sich auf einen neuen Tarif zu einigen. Fritz Reimann, SRF.

  • am 22.06.2017 um 14:13 Uhr
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    Lieber Fritz Reimann. Da sehe ich eben ein Problem. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können Argumente und Gegenargumente nicht miteinander abwägen, wenn diese wochenlang auseinander liegen. Auf die jeweils verbreiteten konkreten Behauptungen geht man Wochen früher oder später gar nicht mehr ein. Das gilt auch vor Abstimmungen: Die Tagesschau berichtet unkritisch über eine PK der Initianten und erklärt am Schluss, dass sie über die Argumente der Gegenseite bereits vor einigen Wochen informiert habe oder in einigen Wochen darüber informieren werde. Das ist eine formale Ausgeglichenheit, die den Fernsehmachenden wenig Arbeit bereitet, den Zuschauenden jedoch wenig bringt. Es wäre informativer und spannender, die Kontrahenten kurz gegeneinander antreten zu lassen. Das wäre auch in einer Tagesschau möglich, wie viele Beispiele zeigen. Als Mindestanforderung müssten die Redaktorinnen und Redaktoren jeweils mit den wichtigsten Argumenten der Gegenseite entgegnen. Einfach das Mikrofon hinzuhalten, sollte die SRG den privaten Medien überlassen.

  • am 23.06.2017 um 14:26 Uhr
    Permalink

    Naja, im Prinzip gibt es ja schon objektive Punkte, die man auch benennen kann, da es keine vernünftige Gegenposition gibt:

    (1) Der Verband der Krankenversicherer Santésuisse hat sich an der von der EFK bereits 2010 verlangten Tarifrevision nicht beteiligt. Da andererseits Tarifrevisionen im Tarmed nur mit allen Vertragspartnern (FMH, MTK, H+, Santésuisse) möglich waren,wirkt es ein wenig unredlich, den Ärzten die Schuld am Scheitern zuzuschieben und den bundesrätlichen Tarifeingriff einseitig auf Empfehlungen der Versicherer abzustützen.

    (2) Die Berechnungsgrundlagen für Tarmed stammen aus dem Jahr 2000. Seither sind die Kosten für Räumlichkeiten und Löhne erheblich gestiegen. Schon die Forderung des Bundesrats, eine Tarifrevision müsse kostenneutral sein, war in diesem Licht weltfremd. Dass er nun auch noch 700 Mio sparen will zeigt, dass etwas am Tarifeingriff nicht stimmen kann.

    Selbstverständlich hat die Ärzteschaft sich dem politischen Prozess der Schweiz unterzuordnen. Und wenn die Politik will, dass es weniger Ärzte in freier Praxis, und dafür mehr Betreuung in Spitalambulatorien gibt, dann ist das zu akzeptieren. Nur soll man nicht so tun, als bleibe dann die Qualität gleich und die Kosten würden tiefer. Ein und dieselbe Konsultation dauert im Spitalambulatorium länger und kostet deutlich mehr. Das wurde von verschiedener Seite bestätigt. Und der Glaube, die Zahl der Konsultationen würde niedriger, wenn es nur weniger Ärzte gäbe, ist ein reiner Wunschtraum.

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