Sprachlupe: So was von Flottschreibe: Jetzt. Crash. Lernen!

Daniel Goldstein /  So. Geht. Flottschreibe. Jede und jeder kann heute Flottschreibe. Da braucht es keinen Diskurs mehr. Kurz Atem holen. …

… Noch da? Im Fokus steht die nachhaltigste Leseerfahrung. Das sichert einem und einer ein achtsames Publikum. Fertig Crashkurs.
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Aber der Reihe nach. Ich habe gerade ein paar Tricks vorgeführt, mit denen da und dort Texte aufgemotzt («gepimpt») werden: Modewörter, knallige Konstruktionen, Zeitgeist-Anklänge. Dazu gehört, nach einem wirren Anfang mit einer Fortsetzung «der Reihe nach» zu locken, damit die Verstörten nicht abspringen. Hier beginnt die Reihe am Schluss der einleitenden Kostprobe und geht dann rückwärts im Text weiter, oder eben im Kurs. Weil der Platz knapp ist, muss es eine Schnellbleiche sein, aber so eine will heute niemand mehr. Also also gibt’s in schnittigem Coachdeutsch einen Crashkurs. Dies nicht etwa, weil der Kurs mit einer Kollision enden soll (also «crashen»), sondern weil im Englischen «crash» auch für sonst eine schnelle, kräftige Bewegung stehen kann, freilich schon mit einem Knall verbunden.
Geschenkt: Erfahrung
Weiter rückwärts im Eingangstext: vom letzten Wort zum letzten Satz. «Fertig Crashkurs», reklamiert da jemand, sei gar kein Satz – geschenkt! So verwendet, bedeutet «geschenkt»: «Der Einwand ist zwar richtig, aber mir egal.» Oder forsch und plump: «So what!» Das fördert die Aufmerksamkeit des bisher geneigten Lesers allerdings kaum, geschweige denn seine Achtsamkeit. Die fordert man indessen gebieterisch wie in einem Crashkurs für Meditation (auch eine so widersprüchliche Veranstaltung findet sich gewiss irgendwo). Darf man die Achtsamkeit noch von «einem» wollen, oder muss es eben «einem und einer» heissen? «Einem» ist hier der Dativ von «man», «einer» die weibliche Form davon oder der Dativ von «frau», wenn’s denn sein muss. Pedantische Geschlechtergerechtigkeit könnte der Flottheit schaden. «Jeder und jede» liest sich noch mühelos, aber bei «einem und einer» sind Sie hoffentlich angeeckt.
Schliesslich sollen Sie die «nachhaltigste Leseerfahrung» machen. Hier steht «nachhaltig» sogar im althergebrachten Wortsinn, dass nämlich die Lektüre dauerhafte Wirkung entfalten möge. In der neueren Bedeutung, dass die Tätigkeit das Überleben des Planeten nicht gefährden solle, ist Lesen ohnehin nachhaltig, sofern es nicht auf Wegwerfpapier erfolgt oder zu schädlichem Tun animiert. Eine Leseerfahrung verspricht man als erfahrener Schreiberling gern, weil das die Kundschaft anlockt. Gemeint ist meistens nicht, das Lesen biete eine Erfahrung, sondern eher ein Erlebnis; beides im Englischen «experience».
Fokus auf Diskurs
Mit letzter Kraft rückwärts Richtung Anfang: Über Superlative wie «nachhaltigst» habe ich kürzlich schon geschrieben («Sprachlupe» vom 28. 7.), also jetzt gleich zum Fokus. Auf dieses Modewort und andere hat mich ein geschätzter Leser aufmerksam gemacht: «Im Fokus steht manches, das mindestens so gut im Zentrum oder im Scheinwerferlicht stehen könnte.» So ist’s, und im Brennpunkt sowieso, aber abgesehen von der modischen Häufung stört mich am «Fokus» nichts. Beim «Diskurs» ist das anders, die «Sprachlupe» darüber schon älter (27. 7. 2013). Bevor das Wort Mode wurde, bedeutete «Diskurs» die Art und Weise, wie über etwas Bestimmtes geredet wird, nicht eine Diskussion. Die kann man für beendet erklären, einen Diskurs höchstens für überholt – etwa jenen, der jedes Fremdwort zum Teufel wünscht (oder aktuell «zur Hölle» nach englischem Vorbild).
Flottschreibe zum Letzten. Sie kann Spottnamen, so den eigenen. Wendungen wie «Ironie kann sie auch» gehören natürlich dazu. Sind sie spöttisch gemeint, kann ich sie sogar goutieren, obwohl man üblicherweise nur Tätigkeiten und Sprachen können kann. Nun bin ich am Ende bzw. Anfang meines Flottlateins, für heute ist Schluss. Das wird jetzt werbewirksam eingenagelt: Für heute. Ist. Schluss. So was von Schluss!
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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