Kommentar

Heimatschutz für den Verlegermarkt

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. Der Autor war bis 2004 in verschiedenen Funktionen als Mitarbeiter der SRG tätig. ©

Robert Ruoff /  Der Bundesrat verkündet « eine moderate Öffnung des Internet für die SRG». Und schränkt die Informationsfreiheit ein.

Die SRG darf etwas, was sie bisher nicht durfte. Sie darf künftig «wichtige politische, wirtschaftliche, sportliche und kulturelle Ereignisse direkt über das Internet übertragen…»(Video-Live-Stream), also auch ohne Direktübertragung auf einem Fernsehkanal. Das hat der Bundesrat mit einer Konzessionsänderung beschlossen. Er anerkennt damit «das Internet als selbständigen Verbreitungskanal in der Konzession», so die Medienmitteilung.

Die SRG darf ausserdem ab jetzt auf ihrer Internetseite auch Informationen veröffentlichen, die nicht direkt mit einem Radio- oder Fernsehbeitrag verbunden sind. Drei Viertel ihrer Internet-Texte müssen aber weiterhin mit Audios (Radio) und Videos (Fernsehen) verknüpft bleiben. Und die Texte, die nicht verknüpft sind, dürfen nicht mehr als 1’000 Zeichen lang sein, wenn sie in die Sparten «News, Sport und Regionales/Lokales gehören.» Das heisst praktisch: Dieser Text wäre hier fertig. Wesentliche Informationen zur Einordnung und Vertiefung hätten keinen Platz.

Zwischenbemerkung:
Ab hier handelt es sich um unerlaubte Information. Unter der bundesrätlichen 1’000-Zeichen-Regel dürfte ich hier nicht mehr sagen, dass unsere Landesregierung Heimatschutz für einen Verlegermarkt betreibt, der selber zunehmend zum Multimedia-Markt wird, das heisst: Die «alten» Zeitungen werden zunehmend mit Internet-Portalen verknüpft und mit Video angereichert. Radio, Fernsehen und Internet fusionieren auch bei privaten Medienunternehmen zu einem multimedialen System der Verbreitung von Information und Unterhaltung.

Diese bundesrätliche Regulierung ist selbstverständlich keine politische Zensur. Es ist lediglich die Verhinderung einer vollständigen und vertieften Information. Das Ganze nennt sich dann «Moderate Öffnung des Internets für die SRG». – Ende der Zwischenbemerkung.

Seit dem Spätherbst 2012 – gleichbedeutend mit der Einführung der neuen Internetseite «srf.ch» – muss sich die SRG mit ihren Unternehmenseinheiten der regierungsamtlichen Einschränkung der Informationsfreiheit fügen. Zeigte das frühere Internetportal etwa des Schweizer Fernsehens noch eine gewisse Dynamik in der Nachrichtengebung, so finden wir bis heute auf «srf.ch» praktisch nur noch, was in den Nachrichtensendungen schon abgehandelt wurde. Dazwischen durfte und darf sich praktisch nichts bewegen. Und die SRG hat sich geradezu ängstlich an diese Vorgabe gehalten. (Dass die SVP in ihrer Medienmitteilung zum Bundesrats-Entscheid behauptet, die SRG habe die rechtlichen Grenzen überschritten, ändert nichts an den Tatsachen. Es handelt sich um eine der Falschmeldungen, die im politisch-publizistischen Geschäft insbesondere auf dieser Seite zur selbstverständlichen Unsitte geworden sind).

ARD und ARTE: beispielhafte Online-Angebote im Service Public

Unter der neuen 1’000-Zeichen-Regel hätte auch die Information keinen Platz, dass andere Service Public-Anstalten wie die ARD mittlerweile zu aktuellen und längerfristig bedeutsamen Themen reiche Zusatzinformationen auf ihren Internetseiten bieten: Informationen zu den verschiedensten Aspekten und Hintergründen von Ereignissen und Entwicklungen. Oder sie beschäftigen sich wie ARTE multimedial mit den grossen Zukunftsfragen: «Mit ARTE Future verschmelzen TV und Internet. Das Ziel: eine Enzyklopädie der Zukunft mit Beteiligung der Zuschauer.» Das ist die Ankündigung eines grossen Projekts, das ARTE Anfang Mai gestartet hat. – Von solchen Aussichten können Schweizer Mediennutzer unter dem Regime der unheiligen Allianz von Verlegern und Bundesrat nur träumen (abgesehen davon, dass der SRG-Apparat schon mehr als genug interne Widerstände gegen solche Entwicklungen mobilisiert).

Verleger: Marktmacht der Wenigen

Aber weil die Schweizer Zeitungsverleger es bis heute nicht geschafft haben, ein substantiell konkurrenzfähiges Internetportal anzubieten, das über das aktuelle Kurzfutter wirklich hinaus geht, verlangen sie gegenüber der SRG den «Schutz anderer Medien», wie es in der bundesrätlichen Verlautbarung ausdrücklich heisst. Eine publizistische Bankrotterklärung mit dem Etikettenschwindel «freier Markt». In Wirklichkeit ist der Verlegermarkt zunehmend ein Markt der Wenigen. Die Liste beginnt am unteren Ende mit dem Blocher/SVP-Mediennetz (mit «Basler Zeitung», «Weltwoche» und etlichen anderen), und führt über das Bündnis von «AZ Medien» und «Südostschweiz» («Schweiz am Sonntag») zu Ringier und Tamedia. Das sind die wichtigen privaten Anbieter der täglich aktuellen Information. Man nennt dieses Stadium der Medienkonzentration ein Oligopol.

Der 1’000-Zeichen-Regel des Bundesrates fallen noch mehr Informationen zum Opfer. Zum Beispiel die Tatsache, dass die drei grossen Schweizer Verlagshäuser keineswegs ein existentiell bedrohter, armer Haufen sind. Die SRG meldet einen Umsatz von 1,6 Milliarden, die Mediengruppe Tamedia erzeugt 1,05 Mia., NZZ und Ringier (in der Schweiz) schaffen jeweils rund eine halbe Milliarde. Rechne.

Marktmacht von Tamedia

Tamedia ist gleichzeitig der führende Verleger von Tageszeitungen, mit mehr als der Hälfte der Tageszeitungskontakte in der ganzen Schweiz (in der Suisse romande sind es 69 Prozent, eine marktbeherrschende Stellung). Auf dem Werbemarkt hat Tamedia die klar führende Position, und vor allem mit ihren Gratisprodukten 20Minuten/20minute/20minuti und ihren Online-Plattformen saugt sie die Werbeeinnahmen ab. Das hat spürbare Folgen für die traditionelle Bezahlpresse auch im eigenen Haus. Dieser Markt ist äusserst profitabel, und man versteht, warum Tamedia-Verleger Pietro Supino die Internet-Entwicklung bei der SRG unnachgiebig bekämpft.

Supino findet wie Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument offenkundig im Bundesrat offene Ohren für den Wunsch, dass der «freie Markt» geschützt werden soll.

Im Rahmen der 1’000-Zeichen-Regel unserer Landesregierung, die jede Hintergrundinformation ausschliesst, darf selbstverständlich auch nicht gesagt werden, dass es sich bei diesem «freien Markt» um einen kapitalistischen Markt handelt, der nach dem Gesetz der Profitmaximierung funktioniert. Schon Karl Marx hat, noch vor der Gründung des «Tages-Anzeiger» (1893), darauf hingewiesen, dass jeder Kapitalist sich diesem Gesetz unterwerfen muss, wenn er nicht aus dem Markt heraus geschleudert werden will.

Profit als Richtgrösse

Aus dieser Logik ergibt sich auch, dass für ein Verlagsunternehmen wie Tamedia ein Betriebsertrag von 15 Prozent als oberste Richtgrösse gesetzt werden muss, mit den erforderlichen Einsparungen bei Strukturen und Personal. Ohne Profit gibt es kein Produkt mit Qualität. Den grössten Ertrag liefern und versprechen im Medienbereich zurzeit aber ohnehin die Massenprodukte, mit denen die Nutzerinnen und Nutzer als potentielle Konsumenten direkt an die Werbung verkauft werden: die Gratiszeitungen und Gratis-Internetportale.

Die Qualität ist auf dem freien Markt der Medien insgesamt ein heikles Thema (und fällt als solches auch unter die 1’000-Zeichen-Regel). Zwischen der Medienwissenschaft und den Medienwissenschaften ist der fruchtbare Dialog bisher nicht in Gang gekommen. Und selbst bei den Medienschaffenden ist so etwas wie ein gemeinsamer Qualitätsbegriff nicht zu finden. Das hat dieser Tage an der Universität Basel eine Diskussion zum Thema «Medienplatz Basel» gezeigt.

Die neue Parteilichkeit

Die neue Parteilichkeit, die mit Christoph Blocher, Tito Tettamanti und anderen bei der «Basler Zeitung» (BaZ) eingekehrt ist, stand im Zentrum der Diskussion. Die einen, wie «EDITO+Klartext»-Chefredaktor Philipp Cueni, beklagten die parteiliche Darstellung der Wirklichkeit, die mediale Kriminalisierung von Ausländern, das Schüren von Angst bei der Schweizer Bevölkerung und die Verhöhnung von Regierungsmitgliedern. Die anderen, vor allem aus dem Kreis der privaten, lokalen Medien, fanden das «noch spannend», und sie müssten schliesslich «die Leute erreichen».

Christian Mensch, Buchautor und Journalist, konstatierte eine neue Politisierung von Medien. Diese Politisierung findet allerdings nicht im Sinne der alten Parteipresse statt, die von einer politischen Bewegung getragen wurde, wie dem liberalen Bürgertum, der konservativ-katholischen Landbevölkerung oder der Arbeiterbewegung. Diese Politisierung nutzt Zeitungen wie die «BaZ» als Kampfpresse im Dienst eines missionarischen Milliardärs und seiner Freunde. Ihre Medien sind das Mittel einiger reicher Leute, ihre Mittel zu verbreiten, wie der frühere FAZ-Herausgeber Paul Sethe sagte. Während es doch Aufgabe der Medien wäre, sagt Christian Mensch, «den öffentlichen Diskurs der Gesellschaft (unverfälscht) zu moderieren.»

Gefährdete Information

Brachte Cueni den Grundsatz ins Spiel, dass zum Journalismus ein Stück professionelle Ethik gehört, so übernahm «BaZ»-CEO Rolf Bollmann die bekannte Opferrolle. Es werde fälschlich unterstellt, so sagte er, dass «wo Blocher dahinter steht, auch Blocher drin ist.» Schliesslich musste der Aargauer Verleger Peter Wanner, der in Basel mit der «BaZ» den Konkurrenzkampf führt, daran erinnern, dass es bei der Qualitätsdebatte auch um das Vertrauen des Publikums geht.

Entscheidend ist, so Wanner, ob «die Information gefährdet» ist, oder ob sich Journalismus um «Objektivität, Faktentreue, Vollständigkeit, Ausgewogenheit, Fairness» bemüht. Diese Erkenntnis ist offenkundig nicht mehr selbstverständliches Gemeingut, auch nicht in den Chefetagen.

Verflochtener Markt

Gleichzeitig geht die Verflechtung weiter. Die «BaZ», die Christoph Blocher gehört beziehungsweise seiner Tochter Rahel beziehungsweise Tito Tettamanti beziehungsweise den Aktionären der Medienvielfalt Holding, hängt wirtschaftlich am Tropf von Tamedia, wie NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler feststellt. Sie wird bei Tamedia in Zürich kostengünstig gedruckt, lebt beim Online-Auftritt vom Tamedia-«Newsnetz», verteilt an ihre Abonnenten die «SonntagsZeitung» von Tamedia und am Samstag das Tamedia-«Magazin». Selbstverständlich spielt da wechselseitiges wirtschaftliches Interesse im Rahmen des kapitalistischen Marktes.

Und dieser «freie Markt» muss aus der Sicht des Bundesrates damit geschützt werden, dass der Service Public der SRG für Meldungen ohne audiovisuelle Verknüpfung maximal 1’000 Zeichen verwenden darf. In Wirklichkeit und ganz nüchtern betrachtet läuft hier unter dem Titel «freier Markt» eine medienpolitische Einschränkung der Informationsfreiheit. Zu Lasten der Staatsbürger.

Wo die SVP recht hat

An diesem Punkt hat die SVP recht, wenn sie in ihrer Medienmitteilung schreibt: «Es braucht nun zwingend eine ausführliche Diskussion über den Service Public im Medienbereich.» Das kann durchaus im Sinne eines dualen Modells geschehen, das genügend Freiraum bietet für eine private Konkurrenz. Auch wenn diese Konkurrenz politisiert daher kommt, wie sich das bei dem neuen Fernsehprojekt «S1» abzeichnet,von dem die «Schweiz am Sonntag» berichtet.

Dazu gehört dann aber auch volle Transparenz der Finanzierung und der Eigentumsverhältnisse. Und dazu gehört ein Leistungsauftrag, der Informations- und Dokumentations- und Kultursendungen umfasst, wie ihn zum Beispiel die angesehenen kommerziellen britischen Sender kennen. Ein sinnvolles Konkurrenzmodell, das für die SRG eine echte Herausforderung darstellt, kann sich nicht nur auf massentaugliche Sport- und Unterhaltungsformate konzentrieren. Heimatschutz für den privaten Medienmarkt und Abriss des Service Public (wie ihn die SVP wünscht) ist keine taugliche Medienpolitik.

Befreiter Service Public

Die Aufgabe SRG muss tatsächlich neu definiert und hier und dort begrenzt werden. Das Werbeverbot für die SRG im Online-Bereich ist eine bundesrätliche Entscheidung im Interesse des Service Public. Und eine weitere Entlastung von der Werbung – etwa nach dem Vorbild der deutschen ARD und ZDF – wäre eine Befreiung von manchen Abhängigkeiten. Aber das heisst auch: ausreichende Ausstattung mit Gebühren für ein Unternehmen, das Teil des Zusammenhalts der Schweiz ist. Und es bedeutet einen noch inter-aktiveren Austausch mit den Nutzern. Es bedeutet die Entwicklung eines entfesselten, leistungsfähigen Service Public, der befreit ist von Regulierungen wie der 1’000-Zeichen-Regel, die nur eine umfassende, vielseitige und vertiefte, sprich: demokratiegerechte Information behindern.


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Keine. Der Autor war bis 2004 in verschiedenen Funktionen als Mitarbeiter der SRG tätig.

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2 Meinungen

  • am 2.05.2013 um 15:29 Uhr
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    Mit Heimatschutz für den Verlegermarkt kann man diesen Entscheid ehrlicherweise nicht bezeichnen. Die Tatsache, dass die SRG nach wie vor ein Grossbetrieb ist, der entscheidend vom Empfangsgebührenmonopol profitiert, also kaum oder nur sehr bedingt als echter Marktteilnehmer gelten kann, kommt im vorliegenden Beitrag zu wenig zum Ausdruck. Grundsätzlich sind solche Öffnungen entwicklungsbedingt kaum mehr aufzuhalten und auch durchaus berechtigt. Zu Bedauern ist bloss, dass der Bundesrat dies jeweils häppchenweise zugunsten der SRG tut statt endlich einen Gesamtrahmen aufzustellen, in welchem auch die längst fällige Neuordnung der Presseförderung zum Zuge kommen kann. Die Zeiten der grossangelegten Gesamtkonzeptionen sind zwar längst vorbei, doch kann auf überschaubare und nachvollziehbare Vorgehensmethoden nicht verzichtet werden.

    Hans Rudolf Dörig, Bern

  • am 2.05.2013 um 16:58 Uhr
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    Fast einverstanden: Erstens ist das duale System, das kluge Leute mit der Mediengesamtkonzeption vor 30 Jahren einführen wollten, an den realen Parlaments-Machtverhältnissen gescheitert, bevor es Hans W. Kopp zu Papier zu bringen wagte. Und zweitens sind nicht nur die «Rechten» die Bösen. In Basel hat beispielsweise ein sonst zu Recht gelobtes linksliberales Online-Portal eine neue Rubrik eingeführt mit dem Titel: «Der Raub des Tages". Ausser mich stört’s niemanden. (Und das waren jetzt sicher weniger als 1000 Anschläge.)

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