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Die letzte Ausgabe der ONZ © ONZ

Regionale Informationsvielfalt ist finanzierbar

Christian Müller /  Die ONZ, die neue Lokalzeitung für Ob- und Nidwalden, ist gescheitert. Aber es gibt Lokalzeitungsmodelle, die funktionieren.

Überraschend – für die Öffentlichkeit, aber auch für viele Beteiligte – hat der Verwaltungsrat der ONZ am Donnerstag dieser Woche beschlossen, das Projekt einer zweimal wöchentlich erscheinenden Lokalzeitung für die Kantone Obwalden und Nidwalden nach nicht ganz zwei Jahren zu beenden. 3000 Abonnenten und ein zu langsamer Aufwärtstrend, vor allem aber auch zu geringe Anzeigenerlöse, hatten jede Hoffnung auf Erfolg zerrinnen lassen.

Ein gutes Konzept

Das verlegerische Konzept der ONZ stammte von der «Jungfrau Zeitung» im Berner Oberland. Deren Verleger, Urs Gossweiler, wurde aus familiären Gründen schon fast als Jugendlicher zum Unternehmer und wuchs nicht nur schnell in die Aufgabe eines Verlegers hinein, sondern geradezu über sich hinaus: Er brachte nicht nur seine «Jungfrau Zeitung» zum Erfolg, er war auch mit seinem der Zeit vorauseilenden Internetauftritt ein Pionier – ein erfolgreicher Pionier. Und er war überzeugt, dass sich sein Konzept – genannt Micro-Zeitung – auch andernorts realisieren liesse. Ja er war sogar so überzeugt, dass sich mit seinem Konzept auch andernorts gutes Geld verdienen liesse, dass er innerhalb des Verbandes Schweizer Medien (vormals Verband Schweizer Presse) geradezu zum Vorkämpfer gegen jede staatliche Presseförderung wurde. Seine viel beachteten Auftritte an den Kongressen des Verbandes sind unvergessen, auch wegen seiner oft deutlich zur Schau getragenen Selbstsicherheit. Man muss es nur richtig machen, dann ist Presseförderung weder notwendig noch erwünscht.

Urs Gossweiler war denn auch in Unterwalden unternehmerisch mit von der Partie. Das Scheitern des Projektes ONZ dürfte ihn nun also mehr als nur schmerzen. Immerhin wurde hier ein Aktienkapital von 3 Millionen Franken «verbrannt».

Was ging falsch?

Hat etwa die Redaktion eine schlechte Zeitung gemacht? Das mit absoluter Sicherheit nicht. Die achtköpfige Redaktion war perfekt zusammengesetzt, vom jungen Springinsfeld bis zum journalistischen «Fossil»: an Motivation, Begeisterung, Know-how und Erfahrung fehlte es in diesem Team sicher nicht. War die ONZ unattraktiv gestaltet? Im Gegenteil. Die sogenannte Brotschrift war auch für ältere Leser gut gross genug, der fünfspaltige Umbruch ein guter Kompromiss zwischen dem Auftritt einer Qualitätszeitung und leichtleserlichem Boulevard, die Grundregeln des Auftritts – etwa dass zu jedem Bild auch eine aussagekräftige Bildlegende gehört – wurden eingehalten, und auch das Bild/Text-Verhältnis erfüllte die professionellen Anforderungen.

Hat man allenfalls zu wenig professionell Anzeigen verkauft? Auch das wohl nicht. Und immerhin sind ein paar grössere Firmen mit dem guten Beispiel als Inserenten vorausgegangen, zum Beispiel die beiden Kantonalbanken.

Lesermärkte bewegen sich langsam

Der schnelle Tod des hoffnungsvollen Projektes macht eines deutlich: Die Gründer und Investoren haben die Mobilität des Lesermarktes massiv überschätzt. Lesermärkte bewegen sich sehr langsam. Selbst in Zeiten, als es noch kein Internet als Konkurrenz der Zeitungen gab, brauchten Neugründungen oft ein Jahrzehnt, bis sie selbsttragend waren und 15 Jahre, bis auch das Payback der Investition erreicht war. Solche Zeitspannen will sich heutzutage allerdings niemand mehr leisten, zu schnelllebig ist die Zeit, zu unsicher damit die Voraussagen über längere Perioden. Vor allem deshalb sind Neugründungen von Zeitungen heute äusserst selten geworden.

Junge Menschen neigen dazu, nach vorne zu schauen – nur nach vorne zu schauen. Das macht sie bei neuen Projekten ja auch sympathisch und unabkömmlich. Aber zu einem Projekt gehört auch die Erfahrung, die langjährige Beobachtung des Marktes. Wo in der Schweiz hat in den letzten 30 Jahren eine Zeitung einen Lesermarkt in nützlicher Zeit «erobern» können? Selbst das «Solothurner Tagblatt», eine Investition der kapitalkräftigen Berner Espace Media Groupe EMG (Berner Zeitung) aus Frust darüber, dass die «Solothurner Zeitung» nicht zur EMG gehören wollte, blieb trotz einem «Angriffsbudget» in zweistelliger Millionen-Höhe chancenlos gegen die eingesessene «Solothurner Zeitung», um nur ein Beispiel zu nennen. Auch der damals der NZZ gehörende «Bund» war in Biel chancenlos. Ein wenig schneller als das Entstehen eines neuen Lesermarktes geht nur der Rückgang, wie zur Zeit die Basler Zeitung es vorexerziert. Aber selbst mit einer Redaktion, die an den Leserinnen und Lesern total vorbeischreibt, gelingt es nicht, mehr als etwa 10 Prozent der Abonnenten einer Zeitung zur Aufgabe des Abos zu bewegen.

Der Anzeigenmarkt entsteht immer verzögert

Sowohl die Anzahl der Inserate als auch der Inserate-Preis hängen direkt mit der abonnierten bzw. verkauften Auflage einer Zeitung zusammen. Und dazwischen liegt immer mindestens ein Gap von zwei Jahren. Wer, mit Ausnahme von ein paar Idealisten oder politischen Hitzköpfen, inseriert schon in einer Publikation, die erst ein paar hundert oder höchsten ein paar wenige tausend Leserinnen und Leser hat? Noch dazu, wenn das Marktgebiet nicht eben gerecht den Einkaufsströmen liegt? (Im Falle der ONZ: von Stans geht wohl niemand nach Engelberg zum Einkaufen).

Langer Schnauf ist unabdingbar

Für die Lancierung einer neuen Zeitung muss mit sehr langen Zeiten gerechnet werden, und es braucht unendlich Schnauf – vor auch finanziell! Wer also, wie die Gründer der ONZ, im ersten Jahr mit 4000 Abonnenten und bis ins dritte Jahr mit 8000 Abonnenten rechnet, hat übersehen, wie schnell eine Umschichtung bzw wie langsam die Umschichtung eines Lesermarktes von einem Titel zum andern vor sich geht, obwohl – und diesen Vorwurf müssen sich die Projekt-Rechner wohl gefallen lassen – Anschauungsmaterial aus anderen Landesgegenden zur Verfügung gestanden hätte.

Auch nicht eingerechnet wurde offensichtlich, dass bei Neulancierungen auch die Konkurrenz nicht schläft und das eigene Angebot sofort verbessert. Was ja, notabene, ein positiver Nebeneffekt einer Neulancierung zugunsten der Leser ist…

Ist lokale Informations- und Meinungsvielfalt also gar nicht mehr finanzierbar?

Auch die Zukunft der lokalen Information liegt wohl eher im elektronischen Bereich, im Internet, da hier die sogenannten Markteintrittskosten deutlich tiefer liegen. Aber es gibt auch im Prinbereich Modelle, wo die lokale Information recht gut funktioniert – in der Zusammenarbeit eines Verlages mit den Gemeinden des Einzugsgebietes. Ein sehr gutes Modell zum Beispiel sind die Wochenblätter im Kanton Basel Land und im solothurnischen Schwarzbubenland (Es gibt deren zwei, das WochenBlatt für das Birseck und Dorneck und das WochenBlatt für das Schwarzbubenland und das Laufental). Das «WochenBlatt» ist ein sogenanntes Anzeigenblatt, aber mit einem ausgebauten redaktionellen Teil. Gleichzeitig ist es das offizielle Publikationsorgan der eingebundenen Gemeinden, und deshalb leisten die Gemeinden einen von der Anzahl der Haushalte abhängigen Beitrag an die Distribution der Zeitung. Und da das WochenBlatt als offizielles Publikationsorgan (mit den Baugesuchen und anderen amtlichen Nachrichten) in alle Haushaltungen geht, ist eben auch die Anzahl Leser gewährleistet, die nötig ist, um ausreichend Inserate zu erhalten. Diese Kooperation ist für einmal ein funktionierendes Modell einer Public-Private-Partnership.

Presseförderung darf sein

Nur: Urs Gossweilers Ideal, dass sich die Verleger gegen jede Art von Presseförderung hüten sollen, ist dabei natürlich nicht realisiert. Das ist allerdings auch kein Schaden, denn unser «Staat» – auf Ebene Gemeinde, Kanton und auch landesweit – hat ja ein vitales Interesse an Informationsvielfalt. Sie ist eine Grundvoraussetzung unserer direkten Demokratie.

Vielleicht müssten sich die Modelle «Micro-Zeitung» à la ONZ und «WochenBlatt» verheiraten, um eine tragfähige und langfristige – und finanziell sich selbst tragende – Informationsvielfalt im lokalen Bereich zu gewährleisten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war in den 80er Jahren Chefredaktor der Luzerner Neusten Nachrichten LNN und anschliessend Verlagsmanager bei Ringier. Seine letzte Position war CEO der Vogt-Schild Medien Gruppe in Solothurn. – Heute ist er unabhängiger Verlagsberater: http://www.commwork.ch

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