Kommentar

Medien sündigen mit fahrlässigen Formulierungen

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Statt Konzernsprechern und Politikern auf die Finger zu schauen, verbreiten Medien deren Aussagen häufig als erwiesene Fakten.

Der gestrige Beitrag von Professorin Sabine Haupt auf Infosperber hat mich zu diesem Kommentar angeregt. Die Wortschöpfung «spätegalitäre Gesellschaft» von NZZ-Feuilleton-Leiter René Scheu setze subtil die angebliche Tatsache in die Köpfe der Lesenden, unsere Gesellschaft sei früher egalitär gewesen.
Subtile Manipulationen
Solchen subtilen Manipulationen sollten sich Redaktorinnen und Redaktoren nicht selber hingeben, sondern sie hinterfragen und aufdecken. Sprachmanipulationen gehören zum Handwerk gut bezahlter PR-Spezialisten.
Zu deren Aufgaben gehört es, mit subtilen sprachlichen Formulierungen die Öffentlichkeit vom Wesentlichen abzulenken, auf eine falsche Fährte zu bringen oder wenn möglich irrezuführen.
Sowohl die Bundesbehörden wie auch Konzerne und Wirtschaftsverbände haben in den letzten zwei, drei Jahrzehnten eine Übermacht von PR-Spezialisten angestellt, welche die ganze Kommunikation filtern.
Journalistinnen und Journalisten sollten sich nicht durch fahrlässige Übernahme solcher PR-Informationen «versündigen», warnte Wolf Schneider, Autor mehrerer (Lehr-)Bücher* zum Sprachgebrauch der Journalistenzunft. Diese hätte vielmehr den «Auftrag, den Mächtigen auf die Finger zu sehen».

Politiker und Konzernsprecher «bekräftigen», «versichern» oder «sind überzeugt»

Jemand «bekräftigt», «betont», «ist überzeugt»: Solche und ähnliche fast täglich in Nachrichten zu hörende und zu lesende Formulierungen gehören in allen Redaktionsstuben auf die rote Liste.
Woher wollen JournalistInnen wissen, ob jemand wirklich selber von etwas überzeugt ist. Der Sprechende sagt ja nur, er sei überzeugt.
Ein Beispiel von Wolf Schneider: Ein Politiker, dessen Partei zerstritten ist, sagt «Noch nie war meine Partei so geschlossen.» Eine Notlüge. Man kann daraus eine korrekte Meldung machen: «Politiker X sagte, seine Partei sei noch nie so geschlossen gewesen.» Was aber schreiben viele Medien im Lead? «Nach Ansicht des Poltikers X war seine Partei noch nie so geschlossen» oder «X ist überzeugt, dass…»
Man tut also so, als ob man seine Ansichten tatsächlich kennt. Man kauft ihm sein Wahlrede-Geflunker als «Überzeugung» ab. Man führt sich auf, als kenne man die geheimen Wünsche, Ansichten, Überzeugungen eines Politikers (oder CEOs), eines Menschen also, der einen professionellen Umgang mit der frisierten Wahrheit hat.

Wolf Schneider führte noch ein älteres Beispiel an, das jedoch ohne Weiteres auf heute zu übertragen ist. Bei der Nachrichtenmeldung «Präsident Reagan bekräftigte seine Entschlossenheit, möglichst bald Abrüstungsgespräche aufzunehmen» wird unterstellt, dass eine Entschlossenheit vorliegt, die der Präsident nur zu bekräftigen oder zu betonen braucht.
Weil wir absolut nicht wissen, was die wahren Entschlossenheiten von Reagan sind, dürfen wir nicht behaupten, sie zu kennen, indem wir formulieren, dass er die durch nichts bewiesene Entschlossenheit «bekräftige». Fazit von Wolf Schneider: «Journalisten machen sich allzu schnell fahrlässig zu Komplizen lügender Politiker».
Eine richtige Nachricht wäre: «Reagan sagte, er sei entschlossen…».
Einige werden einwenden, das sei zu feingehäkelt und führe zu umständlichen Formulierungen. Und viele Lesende und Hörende würden nicht so fein unterscheiden.
Wolf Schneider entgegnet: «Sollen Journalisten der Gewöhnung Vorschub leisten, dass Lesende und Hörende meinen, die Politiker sprächen die Wahrheit? Das könnte den Politikern (und CEOs) so passen! Was sie darüber sagen, ist ein überaus schwaches Indiz.»
Also nageln wir sie fest auf dem, was sie sagen, und versündigen uns nicht durch fahrlässige Formulierungen.
—————–
*u.a. «Deutsch für Profis», Taschenbuch 13.90 CHF.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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2 Meinungen

  • am 13.10.2017 um 20:25 Uhr
    Permalink

    Danke, Herr Gasche, für diesen Artikel. Die sprachliche Manipulation in den Mainstream-Medien ist ein zunehmendes Problem, nicht nur in der Presse, sondern auch bei SRF. Die Wortwahl verrät oft schon ziemlich deutlich den politischen Standpunkt des Autors, auch bei Meldungen Inland. Es macht z.B. einen Unterschied, ob man im Sozialbereich von «Sparen» oder «Sozialabbau» schreibt, obwohl das Gleiche gemeint ist. Mit der parteiorientierten Meinungspresse der 70er- und 80er-Jahre war man da besser bedient, denn damals wusste man wenigstens, wer was vertrat.

  • am 14.10.2017 um 09:51 Uhr
    Permalink

    Häufig wird die Sprache nicht absichtlich manipulativ formuliert, sondern es wird unbedacht der Duktus des Absenders übernommen. Das ist jedoch keineswegs eine Eigenheit von «Mainstream»-Medien!

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