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Herzchirurg Thierry Carrel: Hat Hans-Rudolf Merz operiert © tc

Zürichs brachiales Herzrasen um die Spitzenmedizin

Christian Bernhart /  Prestige und Machtpolitik sind Chirurgen und Gesundheitspolitikern wichtiger als die Gesundheit und das Überleben von Patienten.

Zürichs Kantonsregierung will im kommenden Jahr ein neues Herzzentrum aus dem Boden stampfen, damit ihre Chirurgen weiter Herzen transplantieren können. Doch für die Patientinnen und Patienten brächte ein einziges Transplantations-Zentrum in der Schweiz weniger Risiken und ihre Überlebens-Chancen wären grösser. Denn Chirurgen und ihre hoch spezialisierten Teams machen weniger Fehler, wenn sie mindestens dreissig mal im Jahr ein Herz transplantieren und nicht nur eines pro Monat.
Banges Hoffen
Stellen wir uns für ein paar Minuten vor, was wir niemanden wünschen: Wir sind schwer herzkrank. Unsere Herzmuskelentzündung schreitet trotz Medikamente voran und voran. Jede Anstrengung ist eine zu viel, jeder Treppe ein Gebirge, jeder Tritt raubt uns den Atem, Aufstehen verursacht Schwindel. Die Müdigkeit nimmt von Tag zu Tag zu und nachts erwachen wir mit Harndrang aus Albträumen.
In einer solchen Situation wäre es für uns, falls wir an den Fortschritt der Medizin glauben, tröstlich zu wissen, dass wir, wartend mit 88 anderen Leidenden, die faire Chance für ein Spenderherz haben. Wissend, dass pro Jahr nur 36 Spenderorgane zur Verfügung stehen. Hoffend, nicht unter jenen neun der 88 Herzkranken zu sein, die vergeblich warten und sterben, sondern nach acht Monaten Warten auf den Operationstisch kommen – und das neue Herz vom bestmöglichen und erfahrenen Team eingepflanzt zu bekommen. Denn noch immer ist eine Herztransplantation ein riskanter Eingriff.
Das Zahlenbeispiel widerspiegelt die Krankheits- und Todesfälle des vergangenen Jahres.
Fazit eines Expertengremiums ignoriert
Doch obschon uns das Krankenversicherungsgesetz (KVG) neu die freie Wahl des Spitals gestattet, dürfen wir nicht wissen, ob wir im Herzzentrum von Bern, Zürich oder Lausanne für eine Transplantation besser aufgehoben sind, weniger Komplikationen riskieren und länger überleben.
Genau diese Fragen hat zwar ein 12-köpfiges «Expertengremium Hochspezialisierte Medizin» (HSM) im Jahr 2010 im Auftrage der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) analysiert. Das hoch karätige Gremium mit ausländischen und schweizerischen Fachärzten schlug vor, Herztransplantationen künftig nur noch im Universitätsspital Bern durchzuführen, das Herztransplantationen am erfolgreichsten durchführte.
Als Kompromiss im dreisprachigen Land schlug das Gremium als zweite Variante Transplantationszentren in Bern und Lausanne vor.
Der Vorteil eines einzigen Transplantations-Zentrums liegt auf der Hand. Denn Untersuchungen aus den USA zeigen eindeutig, dass in einem Zentrum mit weniger als 30 Transplantationen pro Jahr die Patienten ein steigendes Risiko eingehen, das erste Jahr nach der Operation nicht zu überleben.
In den letzten zehn Jahren wurden in der ganzen Schweiz im Schnitt pro Jahr nur 29 Herzen verpflanzt – auf drei Herzzentren verteilt.

Zürich mobilisierte Luzern und Graubünden
Die Kantone jedoch haben den Entscheid vertagt und beschlossen, erst Ende 2013 die Reduktion auf wenigstens zwei Zentren zu fällen. Der Waadtländer Staatsrat Pierre Yves Maillard (SP) wäre bereit gewesen, zugunsten des Einervorschlags auf Lausanne zu verzichten. Doch Zürichs gewiefter Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger (FDP) brachte Luzern und Graubünden als Vertreter der Nichtuniversitätskantone auf seine Seite und torpedierte so die Vorschläge «Wir sind auf guten Weg, die Herztransplantation in Zürich behalten zu können», frohlockt nun Heiniger im Winterthurer Landboten, ein Jahr vor dem definitiven Entscheid.
Hält er an seiner Idee von 2007 fest, dann gilt es, Zürich und Lausanne für die Spitzenmedizin zu etablieren und Bern auszubooten. Die Angelegenheit wird zunehmend unappetitlicher. Über die Medien stilisieren Politiker die Herztransplantation zur Prestigefrage, obschon sie nur ein Prozent der komplexen Herzeingriffe umfasst.
Auch der Swisstransplant-Geschäftsführer im Boot
Den Angriff auf Bern unterstützte auch der zur Neutralität verpflichtete Swisstransplant-Geschäftsführer Franz Immer. Im Einverständnis mit der Zürcher Alt-Nationalrätin Trix Heberlein (FDP), der Swisstransplant-Präsidentin, plauderte er aus einem internen Bericht des Bundesamts für Gesundheit (BAG), wonach einige Kantone ihre Patienten neu vermehrt nach Lausanne und Zürich senden. Als Folge davon haben jene Zentren in den letzten beiden Jahren ein paar Herzen mehr als Bern verpflanzt.
Aufgrund dieser Zahlen hatte die NZZ am Sonntag versucht, dem Berner Herzchirurgen Thierry Carrel Nervosität und laufende Krisensitzungen zu unterstellen.
Expertenbericht bleibt geheim
Die kantonale Profilierungssucht ist ein Weg in die Sackgasse. Wenn das 12-köpfige, Expertengremium Hochspezialisierte Medizin (HSM) sich erneut zur Zentrumsfrage äussert, dann fehlen neue, wissenschaftlich relevante Kriterien. Bei so wenig Spenderherzen entbehren die neuen Daten jeglicher statistischer Relevanz. Das BAG hat deshalb Stillschweigen verordnet.
«Ich werde mich dazu nicht mehr äussern, die Kantone sind jetzt zuständig», lässt Swisstransplant-Geschäftsführer Franz Immer wissen. Er sei neutral, seine Äusserungen hätten auch nichts mit seiner abgesägten Karriere im Inselspital zu tun. Einst im Carrel-Team tätig, hatte er den Posten als Forschungschef wegen Zahlenmanipulationen räumen müssen. Doch Immers BAG-Internas sind weiterhin auf der Swisstransplant-Website einzusehen. Sollte deshalb die HSM-Analyse von 2010 nicht ebenfalls publik werden? Berner Nationalrat Rudolf Joder (SVP) regte dies in einer Interpellation an. Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher und sein Zürcher Kollege Willy Oggier sind ebenfalls dafür. «Grundsätzlich befürworte ich, dass Qualitätsdaten veröffentlicht werden, aber nicht nur bei Transplantationen. Wir brauchen mehr Transparenz, da ist aber der Bund gefordert», sagt Oggier mit Verweis, dass das KVG den Bund zur Qualitätssicherung verpflichtet.
Zahlen, die bekannt wurden
Orientieren wir uns also stichwortartig, weshalb das Herzzentrum Bern 2010 den Einervorschlag erhielt. Wegen der besten 1-Jahresüberlebensrate nach der Transplantation: 84% in Bern, 77% in Lausanne, 69% in Zürich. Wegen der besten Rekrutierung von Spenderorganen: 17 Spender pro Million Einwohner für Bern, 13 für Westschweiz und Tessin und 4 für Zürich. Bei den Spendern ist das Ungleichgewicht weiter gestiegen: 2011 rekrutierten Bern und Basel, das sich für die Herztransplantation Bern angeschlossen hat, 39 Spender, Zürich bloss deren 7, Lausanne und Tessin 14.

Mit neuem Herzzentrum Fait Accompli schaffen
Bei der 1-Jahrüberlebensrate hat sich Zürich von 2008 bis 2010 stark verbessert auf 82,6 %, Bern bleibt mit 84,6 % an der Spitze, Lausanne liegt mit 75 % am Schluss.

Mit dem positiven, statistisch aber nicht relevanten Ergebnis im Rücken entwickeln Zürichs Politiker ein Herzrasen für den schnellen Aufbau eines neuen Herzzentrums. Peter Hasler, ehemaliger Swissmem Direktor und heutiger Spitalratspräsident des Universitätsspitals (USZ) ist Feuer und Flamme für das Zentrum, das Regierungsrat Heiniger innert Jahresfrist auf dem USZ-Areal hochziehen will, um für Herztransplantationen gewappnet zu sein.
Seine Begründung Zürich sei Klassenbester, will Hasler nur noch dem Sinn nach zitiert wissen: «Die anderen Universitätsspitäler arbeiten auch sehr gut, aber wir haben das umfassendste Transplantationsprogramm und eine renommierte Vergangenheit.»
Zürich hat immerhin Nachholbedarf erkannt. Denn die komplexe Herzmedizin setzt für Bestnoten die kumulierte Erfahrung eines grossen Zentrums voraus, das Zürich nicht besitzt. Die Stadt Zürich hat ihr eigenes im Triemli, der Kanton deren zwei, neben dem USZ eins im Kinderspital, während das einzige Herzzentrum von Bern mit allen Disziplinen auf dem Campus des Berner Inselspitals steht. Mit der Folge, dass 2010 das Inselspital 1200 grosse Eingriffe am offenen Herzen mit der Herzlungenmaschine vornahm, das USZ deren 800 und Lausanne 427.

Zürich hat Carrel und Mohacsi abspenstig gemacht
Für Zürichs hartnäckigen Dünkel, Klassenbester zu sein, darf Bern letztlich dankbar sein. Denn damit wurde Carrel als junger Herzspezialist aus dem USZ vertrieben. Als er 1993 nach seiner Habilitation im Ausland Erfahrung sammeln wollte, gab ihm Marko Turina zu verstehen, die beste Herzchirurgie gebe es eh in Zürich, falls er ginge, entfalle der Anspruch auf eine Wiedeinstellung. Carrels Kollege, Kardiologe Paul Mohacsi, hatte 1987 im USZ erstmals die immunologische Betreuung für die ersten Herztransplantierten etabliert, um sich danach an der Universität Standford weiterzubilden. Im Inselspital Bern, wo er nach der Rückkehr das beste Angebot erhielt, bauten er und Carrel ab 1995 das grösste Herzzentrum auf. Beide hatten in Zürich gelernt, dass man im Team Fortschritte schafft, während hierarchische Götter-in-Weiss-Starallüren verheerend wirken. Was seither als Team in Bern funktioniert, steht Zürich noch bevor. Fürs neue Zentrum muss USZ-Herzchirurg Volkmar Falk versuchen, den ans Triemli verjagte Herzchirurgen Michele Genoni ins Team zu holen.
Ob die Voraussetzungen dazu intakt sind, ist fraglich, nachdem Falk in der NZZ eine Teilung nach der Art vorgeschlagen hat, dass die Grund- und Notversorgung im Triemli- und Unispital, die hochspezialiserten Herzeingriffe am neuen Zentrum vorzunehmen sind.
«Es geht um vorzeitiges Sterben und unnötige Komplikationen»
Patientinnen und Patienten, die auf ein neues Herz angewiesen sind, fahren am besten mit einem einzigen Transplantationszentrum, das fast jede Woche eine Transplantation durchführt. Ein hoch spezialisiertes und routiniertes Team bestimmt die Qualität in hohem Masse mit – die Vor- und Nachbehandlung der Transplantations-Patienten sind ebenso wichtig wie die Operation selber.
Weil die Teams die Qualität im hohen Masse mitbestimmen, schlägt Gesundheitsökonom Locher vor, Kompetenzen an ein Zentrum nicht definitiv zuzuteilen, sondern periodisch anhand von den Qualitätskriterien international anerkannter Herzzentren neu zu treffen.
«Es geht auch um viel Geld. Doch mit dem Verzetteln der Transplantationen muss Schluss sein, denn für die Patientinnen und Patienten geht es um vorzeitiges Sterben und unnötige Komplikationen», erklärt Sara Stalder, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Christian Bernhart ist als unabhängiger Journalist Mitglied des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus.

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