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Initiative gegen Massentierhaltung will 100 % Biofleisch statt 98 % Käfigschwein © SRF

Nur wenige Fleischesser sind grün und Grüne essen wenig Fleisch

Hanspeter Guggenbühl /  Bionahrung boomt – am stärksten verbal, weniger stark in den Läden, am wenigsten beim Fleisch. Eine Initiative will das ändern.

Der Titel dieses Artikels erklärt bereits das Wesentliche. Aus aktuellem Anlass liefern wir nachstehend die Daten dazu.

Der aktuelle Anlass, das ist die «Volksinitiative gegen Massentierhaltung«, welche Tier- und Umweltschützerinnen diese Woche einreichten. Ihre Begründung: «Die Würde des Tieres», die zu schützen sei, «umfasst den Anspruch, nicht in Massentierhaltung zu leben.» Dazu verlangt der Initiativtext folgendes konkretes Minimum: «Die Ausführungsgesetzgebung muss bezüglich Würde des Tiers Anforderungen festlegen, die mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen.» Oder einfacher: Gemäss Initiative darf in der Schweiz Fleisch künftig nur noch gemäss Bio-Standard produziert werden.

Um zu verhindern, dass Konsumentinnen und Konsumenten, die Biofleisch ächten, auf chemiehaltiges ausländisches Käfigfleisch ausweichen und damit in Konstanz ein Verkehrschaos anrichten, verlangt der Initiativtext an anderer Stelle vom Bund: «Er erlässt Vorschriften über die Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken, die diesem (neuen) Artikel (Nr. 80a in der Verfassung) Rechnung tragen.»

Wenn das Volk der Initiative zustimmt und die Regierung den Volkswillen konsequent umsetzt, wird somit der inländische Konsum von Biofleisch ebenfalls auf hundert Prozent steigen.

Biokonsum heute: Verbal gross, in der Praxis mässig

Die Fleisch- und Chemielobby wird diese Initiative bekämpfen, spätestens wenn sie vors Volk kommt. Dabei wird sie auf Freiwilligkeit pochen und argumentieren, in der Schweiz boomten Bioprodukte auch ohne Zwang. Selbstdeklarationen in Umfragen stützen scheinbar diesen Eindruck. Beispiel: Laut «Biobarometer» des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) aus dem Jahr 2015 erklärten 19 Prozent aller Befragten, sie würden künftig «ausschliesslich oder sehr häufig» Bioprodukte einkaufen, weitere 36 Prozent wollen das «häufig oder oft» tun.

Wieweit die verbalen Bekenntnisse eintrafen, zeigt ein Blick auf die Statistik «Bio in Zahlen 2018«, die der Dachverband der Schweizer Bio-Landwirtschaft, «Biosuisse», herausgibt. Diese jährlich erhobene Statistik erfasst alle Bio-Produkte, welche die Anforderungen des Biosuisse-Labels «Knospe» sowie gleichwertiger Bio-Labels von andern Organisationen erfüllen (mehr über Bio-Labels am Schluss dieses Artikels).

Die Resultate dieser Erhebung: Der Wert aller in der Schweiz eingekauften Bio-Nahrungsmittel summierte sich im Jahr 2018 auf 2,3 Milliarden Franken. Das entspricht einem Anteil von 9,9 Prozent am gesamten Food-Markt in der Schweiz. Der tatsächliche Kauf von Bio-Nahrungsmitteln hat in den letzten Jahren zwar stetig zugenommen. Doch gemessen an den verbalen Absichten laut Umfrage von 2015 blieb sein Anteil im Jahr 2018 mit knapp zehn Prozent bescheiden.

Viel Bio-Gemüse, wenig Bio-Fleisch

Ebenso bemerkenswert sind die Abweichungen vom genannten Mittelwert: Bei Gemüse (inklusive Salat und Kartoffeln), frischem Brot und Eiern erreichten Bio-Produkte im Jahr 2018 einen Marktanteil von mehr als 20 Prozent. Bei Früchten und Milchprodukten lag der Bio-Anteil zwischen 10 und 20 Prozent und damit ebenfalls über dem Durchschnitt aller Bio-Nahrungsmittel.

Unterdurchschnittlich hingegen wuchs und blieb der Marktanteil bei Fleischwaren. So entfielen im Jahr 2018 vom gesamten Absatz an Frischfleisch lediglich 5,7 Prozent auf Bio-Fleisch. Bei Würsten sowie Charcuterie-Waren resultierte ein Bio-Anteil von 4,2 Prozent.

Innerhalb des Fleischkonsums lag der Bio-Anteil von Rind über dem Mittelwert von fünf Prozent, der Anteil von Schwein und Huhn darunter, zeigen weitere Erhebungen von Bund und «Biosuisse». So vertilgen 98 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz sogenannt «konventionelles» Schweinefleisch. Das ist Fleisch von Säuen, denen eine Fläche von meist weniger als einem Quadratmeter zum Liegen, Stehen, Scheissen, Essen und Fettansetzen zur Verfügung steht, und die auf blanken Böden ohne Auslauf ihrem Ende im Schlachthof entgegen dämmern.

Fleischesser «weniger bio-affin»

Warum ist das so – warum ist der Anteil von Biofleisch am Fleischmarkt viel kleiner als jener von Biogemüse am Gemüsemarkt? Die Antworten von befragten Branchenvertreter stimmen weitgehend überein und lassen sich mit den vorsichtigen Worten von Beat Kohli, Geschäftsführer der Biofleischmarke «Fidelio», zusammenfassen: «Wer bio-affin ist, ist eher Vegetarier». Ausgedeutscht: Wer dem Tier- und Naturschutz überdurchschnittlich zuneigt, ernährt sich ganz oder mehrheitlich vegetarisch, und wer viel Fleisch isst, hat mit bio weniger am Hut als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Der tiefe Marktanteil von Bio-Fleisch sei aber auch auf das mangelhafte Angebot zurück zu führen, werden an dieser Stelle grüngesinnte Fleischkäuferinnen einwenden. Tatsächlich bieten in der Schweiz nur wenige Metzgereien Bio-Fleisch an; dies im Unterschied zum Biofachhandel sowie den Grossverteilern Migros und Coop, die ihren Marktanteil bei Biofleisch in den letzten Jahren auf tiefem Niveau steigerten. Und die wenigen Metzgereien, die es tun, bleiben oft unter der kritischen Schwelle, die das – teurere – Bio-Angebot rentabel macht.

Dazu das Beispiel einer Metzgerei im Zürcher Oberland, die während mehreren Jahren sowohl «konventionelles» Fleisch als auch Bio-Fleisch der Marke «Fidelio» anbot. Der Anteil des Biofleisches an seinem gesamten Verkauf sei im Laufe der Zeit stetig gesunken, zuletzt auf noch fünf Prozent, begründet der Inhaber. Einmal angeschnittene Teile von Biofleisch musste er deshalb wegen der geringen Nachfrage oft als konventionelles Fleisch mit Verlust absetzen oder verwursten, damit es in der Auslage nicht verdirbt. Aus diesem Grund verzichtet er künftig auf das Angebot von Fidelio- Biofleisch.

Weniger Fleisch, weniger Dilemma

Man mag diesem Metzger vorhalten, der Verkauf seines Bio-Fleisches sei geschrumpft, weil er es zu wenig beworben habe. Das stimmt, zeigt aber auch das Dilemma. Wirbt ein Metzger, der beide Fleischarten anbietet, speziell für die Bio-Marke, wertet er sein konventionelles Fleisch ab und riskiert damit einen Umsatz-Verlust für das Sortiment als Ganzes. Verzichtet er hingegen auf sein Bio-Sortiment, riskiert er, dass die verbliebenen Käufer von Bio-Fleisch sich vermehrt vegetarischer Kost zuwenden.

Dieses Dilemma löst die «Initiative gegen Massentierhaltung». Wird sie angenommen, wird das Angebot auf dem Fleischmarkt durchgehend grüner. Aber auch kleiner. Denn ohne Massentierhaltung, die auf Maximierung der Fleischproduktion, Tierqual und einem hohen Anteil an Futtermittel-Import basiert, sinkt im Nahrungsmittel-Mix der Anteil an tierischen Produkten generell.

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«Bio» ist nicht immer gleich bio

hpg. Qualitativ gibt es bei den Anforderungen an biologisch produzierte Nahrungsmittel beträchtliche Unterschiede. Das bestätigt eine Bewertung von rund 30 Labels, die Umwelt- und Konsumverbände 2015 veröffentlichten und seither stetig aktualisierten.

Zu den «ausgezeichneten» oder «besonders empfehlenswerten» Bio-Labels zählen die Autoren die Knospe von Bio-Suisse sowie folgende Labels, welche die Knospe-Kriterien weit- oder teilweise weitergehend erfüllen: KAG-Freiland, Coop-Naturaplan, Biotrend (Lidl), Bio Natur Plus (Manor), Demeter, Naturland, die Fleischlabels Natura Beef Bio, Fidelio und Bio-Weide-Beef (Migros) sowie das eigenständige Weinlabel Delinat. Das Label Migros-Bio erfüllt für Inlandprodukte die Anforderungen der Knospe, für Importprodukte hingegen nur die tieferen Anforderungen der EU-Bioverordnung.

Nicht bio sind folgende weiteren grüngefärbten Labels: IP-Suisse, TerraSuisse (Migros), Natura Beef, Coop-Naturafarm oder Agri-Natura (Volg u.a.). Diese kennzeichnen Produkte, die aus Integrierter Produktion (IP) mit erhöhten Anforderungen stammen; IP erlaubt den Einsatz von Kunstdünger oder Pestiziden. Teilweise erfüllen aber auch diese Labels strengere ökologische oder tiergerechte Kriterien als ausländische Bio-Labels, die sich an der EU-Bioverordnung orientieren. Der Überblick im Label-Dschungel wird zusätzlich erschwert, weil Labels oft ähnliche Namen tragen. Bei Coop etwa heisst das Bio-Label Naturaplan, das IP-Label Naturafarm.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bio_Label

«Fair Trade» und «Bio»

Viele zahlen für fairen Handel und für echte Bio-Produkte gerne mehr. Das öffnet Türen für Missbrauch.

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