Kommentar

Pflegekräfte Schwester, ein nettes Wort, bitte!

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsChefäztin an der Frauenklinik des Zürcher Triemli-Spitals. ©

Prof. Brida von Castelberg /  In den Spitälern zählt nur noch, was Geld bringt. Das Verständnis der Pflege hat sich stark verändert. Darunter leiden wir alle.

Nach einigen Tagen auf der Intensivstation, unentschieden zwischen Leben und Tod, hätte eine Krankenschwester ihn am Bart gepackt, geschüttelt und gesagt: »Das schaffst du!« Diese Worte und die Berührung einer fremden Frau hätten ihm das Leben gerettet, so erzählte mir ein deutscher Professor vor Jahren. Zwischen der perfekt funktionierenden Medizin und Technik war es ein einfacher, »unprofessioneller« und empathischer Kontakt, der ihn ins Leben zurückholte.
Nonnen hatten mich in die Praxis eingeführt
Seit über 30 Jahren arbeite ich in verschiedenen Spitälern mit vielen Pflegenden. Das Selbstverständnis und auch die Aussenwahrnehmung der Pflege hat sich in dieser Zeit stark verändert. Als junge Ärztin arbeitete ich mit dienenden, aber nicht weniger professionellen Nonnen, die Tag und Nacht am Krankenbett verfügbar waren. Von ihnen lernte ich meine ersten ärztlichen Praktiken, die ich ja nur aus der Theorie kannte.
Gut beobachten und trösten
Heute hat sich die Pflege zu einem hochprofessionellen und wichtigen Teil der Medizin entwickelt. Pflegende geniessen eine jahrelange breite Ausbildung, und viele besuchen Fachhochschulen. Die Pflegenden sollten eigentlich den intensivsten Kontakt zu den Kranken haben. Sie sollten sie beobachten, Zeit haben, mit ihnen zu sprechen, ihnen ihre Krankheit erklären, und sie befähigen, mit ihrer Krankheit zu leben und die Therapien richtig anzuwenden. Schwerkranke wollen gepflegt, gelagert, gewaschen, verbunden und getröstet werden.
Sorgen in einem Schwarzbuch festgehalten
Doch die Pflege ist in Not. Die Pflegenden in Zürich haben in einem »Schwarzbuch« die Öffentlichkeit über ihre Nöte informiert. Sie arbeiten unter Zeitdruck. Sie können nicht mehr die hohe Qualität an Arbeit bieten, die sie gelernt haben, sondern nur noch eine sichere, jedoch keine gute Pflege mehr erbringen. Sie können nicht mehr ihr volles Wissen einbringen und sich den Patienten nicht mehr genügend zuwenden.
Am Computer statt bei den Patienten
Diese Entwicklung betrachte ich seit geraumer Zeit mit Sorge. Wenn man morgens das Stationsbüro betritt, trifft man viele Pflegende am Computer: Sie erfassen ihre nächtlichen Leistungen. Denn was in einem Spital geleistet wird, muss auch nachgewiesen, also erfasst werden. Dafür verwenden die Pflegenden viel Arbeitszeit, die sie häufig lieber bei den Patienten verbringen würden. Je enger der Zeitrahmen, desto knapper können Leistungen erbracht werden. Oder die Leistungserfassung wird schlechter, was langfristig Personalabbau zur Folge hat.
Nur noch codierbare Arbeit hat einen Wert
Dass Leistung nachgewiesen werden muss, ist grundsätzlich gut. Zu detaillierte Leistungserfassung führt jedoch, vor allem wenn dies unter Druck geschieht, zu Kleinkrämer-Denken: Eine Leistung ohne Code im Computersystem ist nichts wert. Es besteht auch die Gefahr, die Pflege des Menschen in Teilaspekte zu zerlegen, in verrechenbare und in andere. Dies kann zur falschen Haltung führen, auch den Menschen nicht mehr als zwar kranke, aber ganze Persönlichkeit zu sehen. Man blendet die Person und sieht nur noch Einzelleistungen: Strümpfe anziehen, Spritze verabreichen oder Verband wechseln.
Emotionaler Druck führt zu innerer Kündigung
Wenn nach dem Tod eines Patienten, den man gepflegt hat, das Zimmer innert zwei Stunden für den nächsten Patienten bereit sein muss, so hat dies für alle Beteiligten, auch für den neu eintretenden Patienten nur negative Auswirkungen. Solch emotionaler Druck führt zu innerlicher Kündigung, zu Unzufriedenheit mit dem Beruf – und manch eine Pflegeperson quittiert den Job tatsächlich.
Teilzeitarbeit oft nicht freiwillig
Vermehrt arbeiten Pflegende Teilzeit, nicht, weil die Löhne so üppig sind, dass man sich dies gut leisten könnte, sondern weil sie mehr Erholungszeit benötigen. Das Primat der Ökonomie hat längst die Spitäler erreicht, und der Druck wird sich unter dem neuen Abrechnungssystem mit den umstrittenen Fallpauschalen noch verschärfen. Eine Leistung ist demnach nur etwas wert, wenn sie Geld bringt, möglichst jedes Jahr mehr.
Aber Pflegende denken anders. Sie ergreifen den Pflegeberuf nicht um des Zahltags wegen. In der Pflege ist der Mehrwert für Patienten und Pflegende nicht in Geld messbar. Darüber werden wir alle einmal froh sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Chefäztin an der Frauenklinik des Zürcher Triemli-Spitals.

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4 Meinungen

  • am 3.07.2011 um 19:11 Uhr
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    Liebe Infosperber-MacherInnen

    Der infosperber ist eine grossartige Sache: Komplizierte Fakten und Zusammenhänge finde ich hier auf (auch mir) verständliche Art erzählt und erklärt. Super. Herzlichen Dank euch allen für dieses «Werk"!

    Susanne Brugger

  • am 3.07.2011 um 19:12 Uhr
    Permalink

    PS zu meiner eben gesendeten Meinung: Ich überweise gleich eine Spende, damit ihr weitermachen könnt …

    Susanne Brugger

  • am 3.07.2011 um 19:16 Uhr
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    Sorry, ich schon wieder: Leider habe ich keine Kreditkarte (für PayPal). Schickt ihr mir die Angaben (Adresse der Bank, eure Adresse, Konto-Nr. und so), damit ich eine elektrische Bank-Überweisung tätigen kann?

    Susanne Brugger

  • Pingback: Menschlichkeit in Pflege-Jobs darf nicht zu kurz kommen - Goodlife Pflege Personal,

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