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Nicht erbrachte Leistungen kassierte der Arzt vor allem in einem Pflegeheim (Symbolbild) © Stadt Zürich

Betrüger-Arzt und Infosperber schliessen einen Vergleich ab

Urs P. Gasche /  Ein Allgemeinarzt verklagte Infosperber auf Schadenersatz in Höhe von 120'000 Franken und Genugtuung von 15'000 Franken.

Mit einer Klage vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland hatte der Arzt am 4. Dezember 2018 verlangt, dass «die Aussagen ‹Unter vielen guten Ärzten gibt es schwarze Schafe› und ‹Dieser Arzt wird von Patienten, Patientinnen und mehreren Krankenkassen dringend gesucht› innerhalb von 5 Tagen nach Rechtskraft des Urteils zu entfernen» seien.
Zudem verlangte der Arzt «Schadenersatz in der Höhe von 120’000 zuzüglich Zins von 5 Prozent ab dem 21. August 2017» sowie «eine Genugtuung in der Höhe von 15’000 CHF zuzüglich Zins von 5 Prozent ab dem 21. August 2017».
Der Schaden und die Unbill seien entstanden, weil Infosperber seinen vollen Namen und sein Bild veröffentlicht habe. Das habe die Suche nach einer neuen Stelle erschwert und seine Familie habe wegen der öffentlichen Vorwürfe gelitten.
Der Arzt hielt an seinen Forderungen fest, obwohl das Regionalgericht Bern-Mittelland in einem 27 Seiten langen Entscheid über vorsorgliche Massnahmen am 6. Juli 2018 festgestellt hatte, dass das öffentliche Interesse eine Nennung des Namens gerechtfertigt habe. Nur das Bild des Arztes musste Infosperber aus zwei Artikeln entfernen.

Öffentliches Interesse

Bei ihrer täglichen Arbeit müssen Medien bei kritischen Berichten häufig entscheiden, ob das öffentliche Interesse stärker zählt als der private Persönlichkeitsschutz eines Betroffenen und ob deshalb sein Name genannt werden darf oder nicht. Im konkreten Fall war der Arzt mit einem rechtskräftigen Strafbefehl wegen «mehrfacher Urkundenfälschung» und «gewerbsmässiger unrechtmässiger Bereicherung» verurteilt worden. Er hatte der Krankenkasse Visana 35’515 Franken zu viel verrechnet. Doch der Verurteilte zahlte das Geld nicht freiwillig zurück. Einige andere, ebenfalls geschädigte Kassen, blieben im Unwissen dieses Urteils. Ebenso unwissend blieben seine Patientinnen und Patienten, denen die Kassen für die rechtswidrigen Honorare Selbstbehalte und Franchisen verlangten.
Ein halbes Jahr später haben die Gesundheitsbehörden des Kantons Bern dem Arzt die Führung einer eigenen Praxis verboten. Trotzdem behandelte er mindestens zwei Monate lang weiter Patienten und stellte während dieser Zeit den Kassen Rechnungen in Höhe von rund 70’000 Franken. Weil Kassen diese Rechnungen eines nicht zugelassenen Arztes nicht zahlen müssen, riskierten die Patienten, diese Arztbehandlungen selber begleichen zu müssen.
Dieses und weiteres fragwürdiges Verhalten des Arztes war für Infosperber Anlass genug, Patienten und Krankenkassen vor diesem Arzt zu warnen. Sowohl die Ärztegesellschaft des Kantons Bern als auch der Kantonsarzt waren untätig geblieben.
Nachdem der Arzt eine ärztliche Tätigkeit in Österreich aufgenommen hatte, löschte Infosperber freiwillig den Namen des Arztes aus den drei Artikeln.

Arzt übernimmt drei Viertel der Gerichtskosten

Die Hauptverhandlung über die Klage fand am 15. September vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland statt. Offensichtlich sah der Arzt ein, dass er mit seinen Hauptforderungen – Löschen des Namens und Schadenersatz – geringe Chancen hat. Jedenfalls war er zu einem Vergleich bereit, in dem er auf finanzielle Forderungen verzichtet und drei Viertel der Gerichtskosten übernimmt. Beide Parteien übernehmen ihre eigenen Kosten.
Infosperber muss lediglich endgültig darauf verzichten, in den drei beanstandeten Artikeln seinen Namen künftig wieder zu nennen und sein Bild zu zeigen. Auch in den Internet-Adressen der Artikel muss der Name entfernt werden.

Der Arzt erklärte sich schon seit längerer Zeit als zahlungsunfähig und hat ein langes Schuldenregister. Aus diesem Grund konnte er den Prozess auf Kosten der Steuerzahlenden führen (unentgeltliche Rechtspflege). Und aus diesem Grund werden die Kassen kaum viel sehen von Honoraren von über 100’000 Franken, welche der Arzt ihnen insgesamt rechtswidrig verrechnet hat. Ebenso aus diesem Grund wollte Infosperber den Prozess – trotz guter Erfolgsaussichten – nicht bis an das Bundesgericht weiterziehen. Von einer allfällig zugesprochenen Parteientschädigung hätte die Stiftung SSUI nie etwas gesehen.

«Fehlerhafte Arztrechnungen kosten Milliarden», titelte die Konsumentenzeitschrift Saldo vor einem Jahr. Die Krankenkassen befinden sich in einer schwachen Position. Die CSS meinte gegenüber Infosperber: «Die Abklärungen [Red. bei vermuteten rechtswidrigen Honoraren] sind jeweils relativ langwierig, da wir nur die Rechnungen vorliegen haben. Die Krankheitsgeschichte müssen wir von den Ärzten verlangen. Insbesondere im Falle von tatsächlichen Differenzen ist deren Kooperationsbereitschaft jeweils eher gering. Das Ganze zieht sich in die Länge.»

Strafverfahren noch hängig

Die Berner Zeitung berichtet am 16. September über den obigen Vergleich und informiert zusätzlich über hängige Verfahren: Weil der Arzt trotz Praxisverbot weiter Patienten behandelte und den Krankenkassen Rechnungen stellte, wurde er wegen gewerbsmässigen Betrugs und gewerbsmässigen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage zu einer bedingten Gefängnisstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Versicherungen hatten ihm in der fraglichen Periode rund 70’000 Franken ausbezahlt. Zudem widerrief das Gericht die im März 2017 bedingt ausgesprochene Geldstrafe von 18’000 Franken.
Eine Publikation im Amtsblatt von letzter Woche lässt darauf schliessen, dass das Urteil weitergezogen wurde und die Beschwerde vor dem Berner Obergericht hängig ist. Ein Verfahren vor dem Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten ist gemäss der Publikation bis Ende Mai 2021 sistiert, bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Urs P. Gasche war als Vertreter der angeklagten Schweizerischen Stiftung zur Förderung unabhängiger Information» SSUI, welche Infosperber herausgibt, sowie als Autor der betroffenen Artikel Angeklagter in diesem Prozess.

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4 Meinungen

  • am 16.09.2020 um 14:35 Uhr
    Permalink

    Könnten die Krankenkassen nicht bei der ersten Rechnung überprüfen, ob eine Konkordatsnummer vorliegt?

  • am 16.09.2020 um 14:49 Uhr
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    Vielen Dank für diesen Artikel.
    Hier zeigt sich wieder, wie unvorteilhaft die vertragliche Konstruktion Patient/Arzt/Krankenkasse ist.
    In D sind jeweils Krankenkasse /Arzt und Krankenkasse/Patient finanzielle Vertragspartner.
    Zwischen Arzt und Patient besteht lediglich das Verhältnis Leistungserbringer und Leistungsnehmer.
    Schon seit Jahren vertrete ich folgendes: Um «Störfälle», wie von Ihnen beschrieben, weitgehend zu vermeiden, müsste der Patient wenigstens die vom Arzt erbrachten Leistungen durch Unterschrift bestätigen, die dann der Abrechnung des Arztes bei der Krankenkasse beigefügt wird.
    Merkwürdigerweise wird diese Option niemals und nirgends erwogen.
    Vielen Dank für Ihre wertvolle Arbeit, ich lese gerne regelmäßig den infosperber.

  • am 16.09.2020 um 15:02 Uhr
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    @Balmer. Offenbar ging das nicht so schnell mit dem Löschen der Konkordatsnummer. Einzelne Kassen hatten es vor Ablauf der rund zwei Monate gemerkt. Darauf schickt der Arzt die Rechnungen direkt an die Patientinnen und Patienten.

  • am 16.09.2020 um 15:16 Uhr
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    Und was wird von den verantwortlichen Stellen unternommen, dass so etwas nicht mehr vorkommt? Dieser Arzt wird ja nicht der einzige sein, oder?

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