«Aufs Herz gezielte Waffe»

Peter G. Achten /  Das letzte Raucherparadies östlich von Österreich befindet sich nicht in China, sondern in Nordkorea.

Der «geachtete Marschall» Kim Jong-un, 32 Jahre alt, ist wie schon sein Grossvater Kim Il-sung und sein Vater Kim Jong-il suchtgeplagter Kettenraucher. Kaum ein Bild von Kim Junior ohne Glimmstengel in der Hand oder im Gesicht. Auf Baustellen, im Reisfeld, bei Raketenstarts, in Schulen und Spitälern, an Sport- und Kulturveranstaltungen, beim Reisen, ja selbst in Gegenwart seiner schwangeren Frau paffte ohne Unterlass der junge Vorsitzende der allmächtigen Arbeiterpartei ungeniert. Kurz, das Paradies der Arbeiter ist auch ein Paradies der Raucher. Mit 15 Jahren bereits soll Kim wie viele männliche nordkoreanische Teenager zur Zigarette gegriffen haben. Ob er bereits zu seiner Berner Schulzeit Nikotin-abhängig geworden ist, darüber ist nichts Belegbares bekannt.

Rauchtabu für Frauen

Wieviele Nordkoreaner rauchen, ist schwer auszumachen. Die notorisch unzuverlässigen nordkoreanischen Statistiken sind wenig hilfreich. Die Weltgesundheits-Organisation (WHO) gab fürs Jahr 2014 die präzise Zahl von 43,9% an. Pjöngjangs Statistiker behaupten, dass der Anteil der männlichen Raucher von 90% im Jahre 1990 auf 50,3% im Jahre 2009 und auf 43,5% im Jahre 2015 zurückgegangen sei. Die Raucherrate unter Männern jedenfalls ist in Nordkorea verglichen mit andern Ländern deutlich höher.

Dass hier nur von Männern die Rede ist, hat seinen Grund. Für Nordkoreanerinnen nämlich ist Rauchen ein absolutes soziales Tabu. Paffende Frauen in der Öffentlichkeit – wie in Südkorea oder der Schweiz – gibt es im Paradies der Raucher nicht. Nach amtlicher Statistik rauchen denn auch 0 (null) Prozent der Nordkoreanerinnen.

«Definitiv gesundheitsschädlich»

Da mehr oder weniger glaubwürdige Zahlen fehlen, gehen ausländische Beobachter und nordkoreanische Tabak-Bekämpfer davon aus, dass sicher 50% oder gar mehr aller Nordkoreaner rauchen. Wie in andern Ländern ist das auch in Nordkorea ein Problem. Lungenkrebs wird im internationalen Vergleich überdurchschnittlich häufig festgestellt. Seit Ende der 1990er-Jahre haben deshalb die Behörden verschiedene Antiraucher-Kampagnen organisiert. Der «Geliebte Führer» Kim Jong-il, selbst ein Kettenraucher, ging in sich. Gelassen gab er 1999 seinen Untertanen folgenden Rat auf den Lebensweg mit: «Ihr solltet besser keine Zigaretten rauchen. Zigaretten sind definitiv gesundheitsschädlich».

Kurze Zeit später ging er, mutig dem blauen Dunst entsagend, noch einen Schritt weiter: «Eine Zigarette ist wie eine auf dein Herz gezielte Waffe». 2005 unterzeichnete die Demokratische Volksrepublik Korea sogar das WHO-Rahmenabkommen für Tabak-Kontrolle. Der internationale Anti-Tabak-Tag wird jährlich mit viel Enthusiasmus und Propaganda begangen. Das Vorbild aller Nordkoreaner, Kim Jong-il, jedoch wurde 2008 schwach, rauchte wieder Kette und starb drei Jahre später an einem Herzinfarkt.

Die Antiraucher-Kampagnen gingen jedoch ungebrochen weiter. Nikotin-Kaugummi, Nikotin-Pillen, traditionelle Medikamente, Erziehung – all das wurde eingesetzt. Auf Zigarettenpackungen sind, wenn auch etwas klein und verschämt, Gesundheitswarnungen angebracht. Zudem wurde die Tabak-Anbaufläche verringert. Der Erfolg der Kampagne war, vorsichtig ausgedrückt, durchzogen. Rauchen gehört eben unter nordkoreanischen Männern bei der Arbeit, in Verhandlungen und Diskussionen und erst recht in der Freizeit ganz einfach dazu.

Rauchen im Kinderpalast

Seit Mai läuft nun die neueste Anti-Tabak-Aktion, unterstützt von den Medien mit guten, faktenreichen Beiträgen. Am Fernsehen werden Anti-Raucher-Dokus gezeigt sowie kürzere Spots über die Gefahren des Rauchens. In einem dieser Beiträge beschimpfen Frauen rauchende Männer wüst als «Geisteskranke, die ihre Umgebung stören». Der «liebe Führer» Kim Jong-un, als vom eigenen Volk bewunderter genialer Staatenlenker ansonsten omnipräsent, tauchte ab und wurde geschlagene 80 Tage nicht mehr öffentlich mit einer Zigarette gesehen. Viele vermuteten, Kettenraucher Kim habe dem Rauchen entsagt. Dem war aber nicht so. Für die 24 Millionen Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner wurde das offensichtlich, als die Zeitung «Rodong Shinmun» ein Bild abdruckte, auf dem Kim Jong-un beim Besuch eines Kinderpalastes zu sehen ist. Wie gehabt natürlich mit einer Zigarette in der Hand. Und das ausgerechnet mitten in der Antiraucher-Kampagne.

7.27

Wie alles in Nordkorea ist auch die Zigaretten-Industrie fest in staatlicher Hand. Marschall Kim raucht nur das Beste vom Besten, d.h. ausländische Luxusmarken – die trotz Sanktionen ungehindert ins Land gelangen – oder die heimische Spitzenmarke 7.27, benannt nach dem Datum des Waffenstillstandsabkommens nach dem Koreakrieg 1953. Unter hohen Parteikadern ist auch die japanische Nobelmarke «Sieben Sterne» beliebt. Das Volk muss mit weniger auskommen. Filterzigaretten zum Beispiel sind unerschwinglich. Zigaretten der Marken Pyol (Stein) oder Tazo (Vogelstrauss) dagegen sind aus starkem, heimischem Gewächs gedreht und kosten umgerechnet nur zwischen 20 und 50 Rappen. Die heimischen Nobelmarken und ausländische Produkte der Partei-Grosskopfeten dagegen sind auf der nach oben unbegrenzten Zigarettenpreis-Skala nicht unter umgerechnet acht Franken zu haben.

Merke: Lieber blauer Dunst aus nordkoreanischen Zigaretten als Rauch aus dem Atomlabor Yongbiyon. Oder – in Nordkorea rauchen auch die Lieben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

KimJongun

Das Nordkorea von Kim Jong-un

Nordkorea rüstet auf. Ein Grossteil des Volkes lebt im Elend. China fürchtet ein Chaos. Der Westen ist ratlos.

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