8413803517_d0dc58903c_z1

Heute ist nicht alles Gold, was glänzt: Vielmehr ist dringend ein neuer Leadertypus gefragt. © World Economic Forum

Gesucht: «Global Leader», Merkmal: Bescheidenheit

Jürg Lehmann /  Das WEF 2013 in Davos ist zu Ende. Was bleibt? Ein Blog im Magazin «The Economist» fordert einen radikal andern Typus «Leadership».

«Davos Man» – die Wortschöpfung umschreibt die reiche globale Elite der Macher und Lenker, die sich alljährlich am WEF ihr Stelldichein gibt. Sie kennt keine nationalen Loyalitäten, sieht Grenzen bloss als lästige Hindernisse und nationale Regierungen höchstens als nützliche Erfüllungsgehilfen ihrer wirtschaftlichen Interessen.

WEF züchtet die nächste Generation heran

Die zwei populärsten Wörter im «Business Lexikon» seien vermutlich «Global» und «Leadership», schreibt «Economist»-Autor «Schumpeter» in seiner Kolumne und spottet: «Bringt man diese beiden Begriffe zusammen, beginnen Menschen in Anzügen zu sabbern.» Was immer das Thema sei, von Defiziten bis zu tödlichen Krankheiten, man spreche stets über «Global Leadership» – und zwar nicht nur kurzfristig: Das WEF selber selektiere und unterstütze rigoros «Young Global Leaders», um eine nächste Generation heranzuzüchten die von einer Mission geleitet und von Prinzipen angetrieben sei.

Kommt das gut? Schumpeter glaubt nicht, denn: «Gewöhnliche Menschen vertrauen dem Davos Man nicht mehr als sie einem Lobbyisten einer weltweiten Vereinigung von Wieseln vertrauen würden.» Der sogenannte «Trust Barometer» der PR-Firma Edelman in 26 Ländern hat ergeben, dass nur 18 Prozent der Befragten glaubt, Wirtschaftsführer sagten die Wahrheit; für Politiker ist die Zahl noch kleiner, nämlich 13 Prozent.

Tiefe Vertrauenskrise: Und was jetzt?

Was kann angesichts solcher Vertrauensdefizite von unten nach oben getan werden? Zunächst eine bessere öffentliche Kontrolle des «Davos Man»: Regierungsmitglieder müssten jederzeit für ihr Handeln verantwortlich sein; es brauche schärfere Regeln gegen Missbräuche in der Wirtschaft. Die «Leadership-Industrie» insgesamt müsse über die Bücher: «Die am Drücker sind, müssen hartnäckig darüber nachdenken, was sie mit «Globalisierung» und «Leadership» meinen.» Menschen, die wegen des Jobs ständig durch Airports eilten, überschätzten womöglich das Ausmass der Globalisierung, denn:

• Die allermeisten Menschen leben ihr ganzes Leben im gleichen Land.

• Der Handel spielt sich meistens innerhalb nationaler Grenzen ab.

• Fast alle Politik ist lokale Politik.

Wirtschaftsbosse, die solche Zusammenhänge oder kulturelle Differenzen übersähen, liefen Gefahr, politische Risiken zu unterschätzen, und solche Fehler könnten deaströs enden: «Die besten globalen Leaders müssen in die lokalen Kulturen eintauchen.»

Global-Leadership Gurus müssten auch sorgfältiger über das Verhältnis zwischen ihrem Business und der übrigen Welt nachdenken. «Es tönt nobel zu versprechen, wie es fast jeder Boss in Davos tut, dass das eigene Unternehmen unbesehen vom Hauptgeschäft alle anderen Probleme dieser Welt auch lösen kann.» Reden über soziale Verantwortung müssten realistisch bleiben: «Es ist gefährlicher, zu viel zu versprechen als zu wenig.»

Macht zeigt den Charakter eines Menschen

Kolumnist Schumpeter zitiert US-Präsident Abraham Lincoln, der sagte: «Fast jeder Mensch kann mit Widrigkeiten umgehen, aber gib ihm Macht, wenn du seinen Charakter wirklich prüfen willst.» Ähnlichen Versuchungen ist ausgesetzt, wer sich als «Young Global Leader» aus Davos zelebrieren darf. Wirtschaftsbosse hätten einen Hang zur Arroganz. Aber Arroganz verleite zu Fehlern. Kolumnist Schumpeter fordert darum Leadership-Bescheidenheit: «Ein bescheidener Boss versteht, dass es Dinge gibt, die er nicht versteht. Er hört zu: nicht nur seinesgleichen in Davos, sondern auch den Menschen, die nicht dorthin eingeladen werden – zum Beispiel seinen Kunden.»

Nachsatz: Bemerkenswerter Beitrag in einem Magazin, das nicht nur im angelsächsischen Raum zur Pflichtlektüre von Wirtschaftsführern und Politikern gehört. Die Kolumne ist nach dem österreichischen Ökonom Joseph Schumpeter (1883-1950) benannt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20111221um18_39_50

Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

Geht uns die Arbeit aus, wenn wir nicht ständig mehr konsumieren? Oder sind die Renten in Gefahr?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.