Kommentar

Sprache: Einmal ist keinmal – oder keinmal grösser

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Zahlen sind etwas Genaues – aber wehe, sie werden in Sprache gekleidet! Dann versteht man manchmal gerade die falschen richtig.

Es kann ja eine gute Sache sein, wenn die Zeitung einen Leser ins Grübeln bringt, aber in diesem Fall wäre es nicht nötig gewesen: Der «Bund» schrieb auf der Frontseite dem Preisüberwacher die Aussage zu, «die Notariatsgebühren seien im Kanton Bern teilweise viermal höher als etwa im Kanton Zürich». Und ein grübelnder Leser fragte mich, ob das fünfmal so hohe Tarife bedeute. Das könnte ja sein, denn «einmal höher» heisst wohl «doppelt so hoch» und nicht «gleich hoch». Und wenn man weiter erhöht, ist man mit «viermal höher» beim Fünffachen.
So versteht es auch der Duden (Band 9, Zweifelsfälle, Stichwort «Mal»): «zweimal länger» bedeute «dreifache Länge». Nur vermute ich, bei den Notariatsgebühren hätten die meisten ohne viel Nachdenken auf vierfache Kosten in Bern getippt – und so war es auch gemeint, wie im Innern des Blatts nachzulesen. Just am Tag, an dem mich die Anfrage erreichte, berichtete die Zeitung von der Foto eines Seilbahnmonteurs, den eine Kabelrolle «um mindestens das Doppelte» überragt. Da könnte manch einer auf die Idee kommen, die Rolle überrage auch eine dreistöckige Turnerpyramide. Gemäss Duden wäre es so.
In des Teufels Logik-Küche
Foto
Aber auf dem fraglichen Bild, das mir die freundliche Frutiger Firma Zurbrügg schickte, ist klar zu erkennen: Der Scheitel des Mannes reicht fast bis zur Mitte der Bobine – wie der Fachmann die Rolle liebevoll nennt. Dass sie gut doppelt mannshoch ist, war in der Zeitung wohl auch gemeint. Dabei wurden Logik und Duden-Regel verletzt – auf die Gefahr hin, dass sich jemand auf diese stützt und irregeführt wird. Grössenvergleiche mit «x-mal grösser» oder «ums X-fache grösser» sind immer missverständlich. Wenn man kein Risiko eingehen will, schreibt man besser «x-mal so gross». Geht auch «x-mal so klein»? Da sträubt sich der Sinn für Logik. Die Formulierung suggeriert, dass der Vergleichsgegenstand selber schon klein ist und es ein Mass der Kleinheit gibt, das man multiplizieren kann. Immerhin kommt man so darauf, dass «ein Drittel so gross» gemeint ist.
Mit «x-mal kleiner» aber gerät man logisch gesehen in Teufels Küche, denn «einmal kleiner» würde ja bedeuten, dass die ganze (geringe) Grösse schon weg ist, und etwas mehrmals Kleineres müsste man unter Null oder eben unterirdisch suchen. Nur tut das kaum jemand, und darum ist «dreimal kleiner» ein durchaus gängiger Ausdruck, auch wenn er nicht im Duden steht. Niemand wird darunter etwas anderes verstehen als «einen Drittel so gross». Anders als bei «dreimal so klein» denkt man auch kaum, es gehe um den Drittel eines bereits kleinen Dings. Die Ausgangsgrösse kommt einem übrigens bei «dreimal so gross» nicht besonders gross vor. Die Frage, wie gross etwas sei, betrifft eben nicht nur grosse Dinge, sondern erheischt «ergebnisoffen» eine Grössenangabe.
Sich scheren oder nicht?
Die Sprache richtet sich nicht immer streng nach der Logik, so wenig wie das Leben. Sogar das Urteil «einmal ist keinmal» kann seinen Weg in sprachliche Ausdrücke finden, oder auch «keinmal ist einmal». So war unlängst der Titel zu lesen: «Autofahrer scheren sich ums Klima». Schön wär’s, denn «sich scheren» bedeutet laut Duden «sich um etwas kümmern». Gemeint war aber, dass sie es gerade nicht tun, sondern vermehrt spritfressende Kraftwagen anschaffen (in den USA, aber den Trend gibt’s auch bei uns).
Die sinnwidrige Verwendung von «sich scheren» kommt daher, dass «sich keinen Deut scheren» nur noch als Redewendung verstanden wird. Wer weiss denn, dass der Deut eine kleine niederländische Münze war? So entstand das Missverständnis, «keinen Deut» bedeute so viel wie «keinen Dreck». Wenn man «nichts» sagen will, kann man aber auch «einen Dreck» sagen. Und schon sagt man «einen Deut», wenn man «keinen» meint, oder man sagt überhaupt nur noch «sich scheren», wo just das nicht geschieht. Indes: Solange es missverständlich ist, sollte man den Deut nicht umdeuten oder gar opfern.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»
— Frühere Glossen zu Sprache und Mathematik

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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