Kommentar

Sprachlust: Falsche Freunde und echte Fehler

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Warenhäuser, in denen man nichts kaufen kann, und mehrstöckige Baracken aus Beton: In Übersetzungen aus dem Englischen nicht rar.

Die Warnlampe blinkte bei mir auf, als unlängst eine Zeitung berichtete, das Rubin Museum of Art im New Yorker Stadtteil Chelsea sei in einem ehemaligen Warenhaus eingerichtet: War es etwa ein «warehouse», von denen es in jenem Quartier viele gibt, also ein Lagerhaus? Aber nein: Alles hatte seine Richtigkeit, das Gebäude war tatsächlich einst Teil eines «de­partment store», in der Schweiz völlig richtig mit «Warenhaus» übersetzt. In Deutschland würde man es ein Kaufhaus nennen, aber dass am Schweizer Fernsehen kürzlich die fei­nen Manieren des Personals in japanischen «Kaufhäusern» präsentiert wurden, war eine unnötige Verbeugung vor dem Sprachgebrauch nördlich des Rheins. Oder sollte es be­sonders nobel wirken? Das tun längst nicht alle deutschen Kaufhäuser.
Das in Deutschland übliche Wort hat immerhin den Vorteil, dass es keinen «falschen Freund» im Englischen hat, also eine lautliche (und oft sprachgeschichtliche) Entspre­chung, die etwas anderes bedeutet – wie eben «warehouse» und «Warenhaus». Oft ist die Warnlampe durchaus berechtigt: Vor allem, wenn einem Zeitungstext englische Agen­turmeldungen zugrunde liegen, schleicht sich oft die falsche Bedeutung ein. Seis ein «Wa­renhaus», in dem nichts verkauft wird, oder seien es «Baracken», wenn es sich vielleicht nur um ein einziges Gebäude handelt. Es könnte sogar mehrstöckig und besonders solide gebaut sein: Dann ist eine Kaserne gemeint, englisch «barracks».
Elendes Farmerleben
Misstrauen ist auch angebracht, wenn über Farmer irgendwo auf der Welt berichtet wird – be­sonders wenn dann von den elenden Bedingungen die Rede ist, unter denen sich diese Bauern durchschlagen müssen. Wahrscheinlich sind es Kleinbauern auf kargem Land, während wir das Bild vom amerikanischen oder australischen Farmer auf endlosen, frucht­baren Ebenen im Kopf haben. Da hat sich bei uns ein englisches Wort eingebürgert, aber mit einer speziellen Bedeutung, die nicht in allen Fällen der englischen entspricht.
Besonders perfide falsche Freunde haben genau diese Angewohnheit: Sie sind nicht immer falsch. So bedeutet «conservative» oft «konservativ», aber wenn es über eine Schätzung gesagt wird, so ist «zurückhaltend, vorsichtig» die bessere Übersetzung. Nur wird mittlerweile so oft von «konservativen Schätzungen» geredet, dass diese Bedeutung Eingang in den Online-Duden gefunden hat.
Russlands Zustandsmaschine
Umgekehrt gibt es Wörter, die verschieden lauten, aber manchmal dasselbe bedeuten, manchmal indessen nicht. So ist mit «government» oft die Regie­rung gemeint, aber das Wort wird auch dort verwendet, wo wir vom Staat reden würden. Und so sind die «non-government organisations» als «Nichtregierungsorganisationen» zu uns gekommen, die wir viel treffender als «nichtstaatliche» Organisationen zu bezeichnen pflegten. Wenn dagegen Amerikaner «state» sagen, reden sie meistens vom einzelnen Bundesstaat – so nennen wir Gliedstaaten mancher anglofoner Länder, während wir anderswo mit diesem Wort den föderalen Gesamtstaat meinen: Es ist sein eigener falscher Freund.
Seine «State of the Union»-Botschaft widmet der amerikanische Präsident nicht etwa einem einzelnen Staat der föderierten Union, sondern dem Zustand der USA. In dieser Bedeutung ist «state» geradezu grotesk als falscher Freund aufgetreten, als ich neulich bei Google einen russischen Text übersetzen liess, in dem die Staatsmaschinerie vorkam. Sie wurde mir auf Deutsch als «Zustandsmaschine» vorgelegt, denn die Übersetzungmaschine funktioniert nicht direkt zwischen anderen Sprachen als Englisch, sondern legt zuerst eine englische Zwischenversion an. Blosse Englisch-Übersetzungen taugen nicht mehr so gut zur Erheiterung wie noch vor wenigen Jahren – aber mit Drittsprachen kann man sich immer noch einen vergnügten Regennachmittag machen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.