Kommentar

Sprachlust: Der irreführende Konjunktiv

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Die beiden Konjunktiv-Formen machen Mühe, erst recht, wenn sie Verwechslungen begünstigen. Ein Tipp: den Satz im Dialekt sagen!

Er steht noch nicht im Duden, und auch im Wahrig nicht. Christian Morgenstern, dessen Nasobem weder im Meyer noch im Brockhaus stand, konnte fortfahren: «Es trat aus meiner Leier zum ersten Mal ans Licht». Vielleicht könnte ich diese Ehre für die Bezeichnung «irreführender Konjunktiv» ebenfalls beanspruchen, aber die damit gemeinte Verbform selber ist leider schon weit verbreitet. Etwa hier: «Der Radsportverband verweigerte die Herausgabe (der Dopingtests). Begründung: Lance Armstrong hätte etwas dagegen.»
Das lässt uns im Ungewissen: Hat der Rennfahrer Einsprache erhoben, oder gibt der Verband in vorauseilendem Gehorsam dem Widerstand nach, den er bloss vermutet? Eindeutig wäre das indirekte Zitat so: «Armstrong habe etwas dagegen». Dann wüssten wir, dass der Verband behauptet: «Er hat etwas dagegen.» Vermutlich war es so, aber das Original suggeriert mit «hätte», der Verband selber habe schon im Konjunktiv geredet: «Wenn wir die Tests herausgäben, hätte er etwas dagegen.»
Schweizerdeutsch als Vorbild
An dieser Stelle muss ein bisschen Schulgrammatik sein. «Er habe» steht im Konjunktiv I (K. I), «hätte» im K. II. Laut Duden-Grammatik besteht «aus grammatischer Sicht» in der indirekten Rede «heute» freie Wahl zwischen den beiden Formen, aber stilistisch zieht das Standardwerk den K. I dann vor, «wenn eindeutige Formen zur Verfügung stehen». Bei «habe/hätte» ist das der Fall, also sollte «habe» stehen, wenn Armstrong ausdrücklich etwas dagegen hat; ginge es um mehrere Rennfahrer, so zöge der Duden «hätten» vor, denn «haben» wäre nicht als Konjunktiv zu erkennen.
Dass die grammatische Wahlfreiheit «heute» herrsche, deutet an, früher sei man strenger gewesen. Der Sprachpfleger Wolf Schneider hat den Schweizern mehrmals ein Kränzchen dafür gewunden, dass sie die Unterscheidung noch kennten. Dabei hilft der Dialekt: «Dr Verband säit, dr Armstrong hetti öppis drgäge» – das würde (hoffentlich) niemand sagen, falls es um eine tatsächliche Willensäusserung geht; da sagt der gut gewachsene Schnabel je nach Dialekt etwa «hebi» oder «heig», im K. I. Heute indessen fände Schneider weniger Gelegenheit zum Lob: Viele Schweizer meinen, auf Hochdeutsch müsse es anders sein – eben so, wie bei vielen Deutschen, mit indirekter Rede im K. II.
«Würde» am falschen Ort
Besonders deutlich fällt die Nachahmung auf, wenn der Konjunktiv mit «würde» umschrieben wird. Die Duden-Grammatik lässt dies zwar sowohl für K. I als auch für K. II gelten, sieht es aber «in der indirekten Rede als Kennzeichen der (gesprochenen) Umgangssprache», mit dem Beispiel: «Sie sagte, dass sie in Hamburg wohnen würde.» Gemeint ist, dass sie es wirklich tut, nicht dass sie es täte, wenn sie es sich leisten könnte (oder sonst eine Bedingung erfüllt wäre). Für die «Standardsprache» jedoch macht der Duden die Umschreibung mit «würde» von Voraussetzungen abhängig; dazu zählen in erster Linie «ungebräuchliche oder nicht eindeutige Konjunktiv-II-Formen». Ungebräuchlich sind demnach Umlaut-Formen wie «flöchte, sprösse, stäche». Wer das schade findet, kann etwas dagegen tun: diese Formen möglichst oft gebrauchen.
Nicht eindeutig ist der Konjunktiv zu erkennen, wenn er gleich wie das Imperfekt lautet; im Duden-Beispiel: «Unrichtig ist, dass (sie) in einer Dachkammer hausten.» Und deshalb führt das Grammatik-Buch an, dass die «Bildzeitung» hier «hausen würden» schrieb, wie es «häufig allerdings nur in der gesprochenen Sprache» vorkomme. Auch, nebenbei gesagt, in der am Schweizer Radio gesprochenen. Im Beispiel mit «hausten» könnte man meinen, jemand habe die tatsächliche Unterbringung in einer Dachkammer gerügt. Häufiger allerdings ist gerade die Umschreibung mit «würde» irreführend, etwa wenn die Geigerin Skride zitiert wird, die sich mit dem Dirigenten Nelsons «ohne Worte musikalisch verstehen würde». Da sie aber miteinander reden, so folgern wir, fehlt das Verständnis.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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