Kommentar

Sprachlust: Wer hat’s erfunden? Holland weiss es.

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Viel Wasser musste den Rhein hinunterfliessen, aber dann hatten sechs Wörter aus der Schweiz den Weg ins Niederländische gefunden.

Nachdem sein Putsch gescheitert war, floh der Hugenotte mit seinem Rucksack über die Gletscher in ein Chalet, bekam aber bald Heimweh. Was ist an diesem Satz besonders schweizerisch – ausser natürlich, dass sich die Schweiz als Ort des Geschehens anbietet? Würde der Satz ins Niederländische übersetzt, so enthielte er die Wörter putsch, hugenoot, rugzak, gletsjer, chalet und heimwee – und wer die Zeitschrift «Onze Taal» (Unsere Sprache) gut gelesen hat, weiss es: Alle diese Wörter kommen aus der Schweiz.
Zwei von ihnen haben den Weg ins Niederländische (wie ins Deutsche) via Frankreich gefunden. Sie bezeichnen Dinge und Personen mit offenkundigem Bezug zur Schweiz: die Chalets und die nach den Eidgenossen benannten Hugenotten. «Ei(d)guenots» war zuerst der – von den Anhängern Savoyens spöttisch geprägte – Name jener Genfer Partei, die für die Anlehnung an die Schweiz eintrat. Dann übertrug er sich, immer noch abschätzig gemeint, in der Form «huguenots» auf Calvinisten in Frankreich. Das Wort «Chalet» ist (laut cnrtl.fr) erstmals 1328 im Waadtland belegt und später durch Jean-Jacques Rousseaus «Nouvelle Héloise» ins literarische Französisch gelangt.
Helvetisch geprägt
Aber die anderen vier Wörter, Putsch, Rucksack, Gletscher, Heimweh – sind das nicht einfach deutsche Wörter, die auch im Schweizerdeutschen vorkommen? Die niederländische Zeitschrift stützt sich auf etymologische Wörterbücher ihrer eigenen Sprache, also auf Werke über die Wortherkunft. Überall taucht «Zwitsers Duits» als Quelle auf, und entsprechende deutsche Wörterbücher bestätigen das. Etwas kühn können wir behaupten, die Schweizer hätten nicht nur das deutsche Wort erfunden, sondern sogar die Sache – ausser bei den Gletschern, da wäre der Anspruch doch allzu kühn.
So heisst es bei Wolfgang Pfeifer (dwds.de): «Putsch wird zu Anfang der 40er Jahre des 19. Jhs. von Zürich aus für einen plötzlichen, rasch vorübergehenden Auflauf oder Aufstand (…) ins Dt. übernommen. Zugrunde liegt das zufrühest (1431) in Zürich bezeugte, wahrscheinlich lautnachahmende schweiz. Mundartwort Putsch ‹Knall, heftiger Stoß, Puff, Anprall›, das im 16. Jh. den übertragenen Sinn ‹plötzlicher Vorstoß, Anlauf gegen ein Hindernis, zu einem Unternehmen› entwickelt und bis ins 19. Jh. auf die Schweiz beschränkt bleibt.» Vor allem der konservative Züriputsch von 1839 dürfte dem Wort zur Karriere verholfen haben.
Sprachlicher Rucksack
Nach der gleichen Quelle ist «Gletscher» gar eine mehrsprachige helvetische Errungenschaft: «Schweizerdt. Gletzer, Gletscher, das sich durch literarische Verwendung im 16. Jh. weiter im Hd. ausbreitet, ist aus roman. Dialektformen des Alpengebietes (vgl. glačer in Wallis, giascei im Tessin) entlehnt.» Das Wort «Rucksack» kommt «aus den oberdeutschen Alpenmundarten», wo es «Ruggsack» lautet. Das Schweizerische Idiotikon kontrastiert diese altüberlieferte Form mit dem ebenfalls im Dialekt vorkommenden «Rucksack»: Dieses Wort ist ein «junges Lehnw. aus der Schriftspr. (…) als techn. Ausdr. der Touristenspr.». Und so hat es auch den Sprung ins Englische und – seltener – ins Französische geschafft; man kann die Spuren mit Hilfe der Website Etymologie.info verfolgen.
Bei «Heimweh» schliesslich ist Pfeifer vorsichtig: «Das anfangs als Krankheitsbezeichnung wahrscheinlich in der Schweiz entstandene Substantiv verbreitet sich unter Aufgabe des medizinischen Sinnes von der 2. Hälfte des 18. Jhs. an.» Falls unser Hugenotte daran leidet und sein Rucksack gut bestückt ist, kann er sich kulturell und kulinarisch trösten: Alphorn, Jodeln, Müesli, Emmentaler, Gruyère, Fondue. Das alles versteht er auch dann mühelos, wenn er nur Niederländisch kann. Ist er Flame und hat er auch schon die Erfindung des Berners Rudolf Lindt dabei, so nennt er sie «fondantchocolade». Kommt er aber aus den Niederlanden, ist «fondant» für ihn so etwas wie Borstplaatjes oder Caramel mou.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 30.05.2016 um 23:33 Uhr
    Permalink

    Ei(d)guenots und Ei(d)guenotsinnen – aus purer Lust an Sprache.

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