Kommentar

Sprachlust: Ein Loblied auf Ännchen von Kalau

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Manche kalauern wie Pfahlbauer: Haut sich einer auf den Daumen, rufen sie «Gesundheit!» und halten das für einen Kalauer. So Foul!

Halt, das Lied im Titel gibt’s doch längst, aber es gilt Ännchen von Tharau. Welch schlimmer Kalauer, die Pfarrerstochter aus Ostpreussen in die Niederlausitz zu verfrachten! Dort gibts tatsächlich ein Calau, und laut Duden stand das Städtchen dem französischen Wort «calembour» zu Gevatter, das wiederum den deutschen Kalauer gezeitigt habe. Der französische Ursprung scheint gesichert, aber er ist kaum auf die ostdeutsche Geografie zurückzuführen.
Eine geläufigere Erklärung lautet, einst habe ein Graf von Kahlenberg als Diplomat in Paris die französische Sprache derart misshandelt, dass die Imitation seiner Sprechweise als «kalembour» verewigt wurde. Jedenfalls ist heute «le calembour» ein Witz, der sich eine ähnliche Schreibung oder Aussprache unterschiedlicher Wörter zunutze macht. Auch sprachübergreifend lässt sich trefflich kalauern: Aus der Schule, oder zumindest aus der Pause, kennen wohl alle die Übersetzung von «Mäusebussard» (le musée des beaux arts).
Wortk(a)lauer am Werk
Zugegeben, damit sind wir in der Nähe der Duden-Definition des Kalauers als «nicht sehr geistreicher (Wort)witz». Über Geistreichtum lässt sich streiten, aber zumindest die Klammern um «Wort» müssten weg. Das ist ein Problem nicht des Duden, sondern des Sprachgebrauchs, den das Wörterbuch getreulich wiedergibt: Es wird nachgerade jeder faule Witz als «Kalauer» präsentiert, auch wenn er nicht das Geringste mit einem Wortspiel zu tun hat. «Das konnte sich die UBS gerade noch leisten», so «kalauerte» gemäss einem Zeitungsbericht einst ein Buchhalter, dem die Bank aufgrund einer Betreibung «222 Franken mitsamt Zinsen» überwiesen hatte.
Mit Verlaub: So kann jeder «kalauern» – aber zum echten Kalauer, und sei er noch so faul, brauchts nun mal ein Quäntchen Wortwitz. Es muss ja nicht immer so gerüttelt sein wie beim Fussballer Lars Lunde, der sich lange nach seiner Zeit bei YB als «manchmal etwas balltotschig» bezeichnete. Das ist so geistreich, dass es keine Rolle spielt, ob der Däne «tollpatschig» mit oder ohne Absicht umdrehte. Falls er aber seine Berner Nachfolger nach einem «balltotschigen» Match auf den Arm nehmen wollte: Die hätten sofort Lunte gerochen.
Schelme sind’s, die Namen nahmen
Aber nochmals halt: Spässchen mit Namen sind an dieser Stelle streng verpönt. Also bitten wir Ännchen von Tharau und Lars Lunde um Verzeihung dafür, dass wir ihre Namen missbraucht haben: Es geschah wenigstens für eine gute Sache, zur Ehrenrettung des Kalauers. Nie und nimmer würde hier aus purer Sprachlust ein Name verhunzt. Hätte zum Beispiel irgendwo ein Politiker Verlustoni geheissen, hätte er den Verlust seines guten Namens nicht befürchten müssen – egal, wie üppig er sich verlustierte.
Nicht die fremden Namen, wohl aber die fremden Sprachen sind legitime Quellen für Kalauer – besonders wenn sie selber daran so reich sind wie das Englische; nicht umsonst reimt sich dort «pun» auf «fun». Wer «pun» abschätzig gebrauche, verkenne, dass damit Wortspiele jeglicher Qualität gemeint seien, schreibt der Oxford Dictionary. Und solche Verächter der «puns» zeigten, dass ihnen «der Witz fehlt, selber welche zu machen». Wohlan denn: Kennen Sie das Gegenteil von Big Ben? Natürlich Mikroben!
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 14.11.2015 um 12:21 Uhr
    Permalink

    Das thema gibt mir die gelegenheit, ein beispiel aus dem Tessin zu berichten.
    "Longlake», das war vor ein paar jahren die brillante idee des Tourismusbueros Lugano: il lungolago, etwa dem Seequai entsprechend, zu „inglianisieren“. Dass die woertliche umsetzung des unwortes (fuer englischsprende waere «shore» korrekt) zu verwirrung fuehren koennte bei sprachunkundigen, aber in der geographie bewanderten ausflueglern, merkten die geistreichen erfinder offenbar nicht. Longlake, ist das nicht etwa Langensee? An dem liegt aber Locarno und nicht Lugano, koennten sich deutschschweizer oder auslaendische touristen etwa fragen. Mir faellt dazu ein sprachkalauer vergangener zeiten ein: ‹oeuf, oeuf que lac je?› (Ei, ei was seh ich?)

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