Sperberauge

«Amokläufer verfolgen keine politischen Ziele»

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Der Medien-Hype über Amokläufe ermuntere Nachahmer zu ähnlichen, unkalkulierbaren Taten, sagt ein Basler Forschungsinstitut.

Gegen die «Terror-Hysterie» wendet sich das «Basler Institut für Gemeingüter und Wirtschaftsforschung»* mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit:
Nachdem in zahlreichen Medien und auch von Politikern der Amoklauf in Nizza [und anfänglich auch der Amoklauf in München] in Verbindung mit ISIS und militantem Islamismus gebracht wurde – so forderte etwa im Deutschlandfunk Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) als Reaktion eine stärkere Sicherung der EU Aussengrenzen und eine Verbesserung der Geheimdiensttätigkeit, Europa-Parlamentarier Cohn-Bendit forderte die Eroberung von Raqqa – möchten wir folgende Punkte feststellen:

  1. Die zahlreichen Amokläufe von europäischen und US-Bürgern in den USA, Frankreich und Belgien sind keine Taten eines ‚internationalen Terrorismus‘, sondern Einzeltaten ohne eine konkrete politische Forderung oder ein politisches Ziel.
  2. Die undifferenzierte Berichterstattung der Medien über den Islam als ‚islamistische Gewaltreligion‘ führt zu Identifikations- und Solidarisierungseffekten auch bei bisher unpolitischen und nicht religiösen Menschen.
  3. Amokläufe von bisher politisch und strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Einzeltätern können durch Polizei, Sicherheitsdienste und Militär nicht verhindert werden. In Israel bzw. Palästina griff etwa eine Hausfrau einen israelischen Soldaten mit dem Messer an.
  4. Die Erhebung von tragischen Amokläufen zu politischen Taten mit der entsprechenden Medienaufmerksamkeit ermuntert Nachahmer zu ähnlichen Taten, deren Ort, Zeitpunkt und Mittel völlig unkalkulierbar sind.
  5. Die Bezeichnung dieser Amokläufe als Taten eines ‚internationalen Terrorismus‘ behindert die politische Lösung der Konflikte in den Kriegsgebieten, indem Konfliktparteien pauschal als ‚Terroristen‘ ausgegrenzt und nicht am politischen Friedensprozess beteiligt werden.
  6. Die einseitige Reduzierung von individuellen Gewalttaten auf die Frage der Sicherheit und Überwachung in Europa täuscht darüber hinweg, dass der Grossteil politisch motivierter Gewalttaten in den Konfliktgebieten nicht von Einzeltätern, sondern von staatlichen bzw. staatlich unterstützten Gruppen begangen wird.
  7. Zur Durchsetzung von UN SDG Nummer 16 – Frieden – ist deshalb jede Form des Gewalteinsatzes zur Lösung politischer Konflikte abzulehnen, also auch die Bomben- und Drohnenangriffe durch staatliche Akteure.
  8. Insofern individuelle Einzeltaten politisch oder religiös begründet werden, ist diese Begründung – so im Prozess gegen den norwegischen Amokläufer Anders Breivik – im Ermittlungsverfahren zu hinterfragen.
  9. Die französische Regierung kann die Sicherheit nur dadurch erhöhen, dass sie alle gesellschaftlichen, ethnischen und sozialen Gruppen in eine Gemeinschaftsregierung einbindet, in der das zur Erreichung von Frieden und Stabilität notwendige Sozialkapital geschaffen wird [das Gleiche gilt für andere Länder].

Siehe

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*Das «Basel Institute of Commons and Economics» wurde 2009 auf Anregung der Nobelpreisträgerin und Gemeingüterforscherin Elinor Ostrom (gestorben 2012) gegründet. Ostrom veröffentlichte bereits 1999 zusammen mit Amartya Sen und Joseph Stiglitz den bisher wichtigsten Forschungsbeitrag zu Sozialkapital und Entwicklungspolitik. Das Institut hat die Erforschung des sogenannten sozialen Kapitals bzw. Sozialkapitals mit einer Messmethode zur Bewertung von überbrückendem Sozialkapital neu belebt. Seit 2013 wurde der deutsche Text »Was ist Sozialkapital?” über 15’000 mal u.a. von allen deutschsprachigen Hochschulen und Fachhochschulen heruntergeladen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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