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Das Zürcher Flughafengefängnis, ein Silo der menschlichen Tragödien © cm

Marion Mansour – die Beichte

Christian Müller /  Eine wahre Geschichte, aber nicht vom Kiosk und ohne Happy End. Von der psychischen Folterkammer bis zum hoffnungsvollen Neustart.

Die Infosperber-Leserinnen und -Leser kennen die Geschichte: Die junge Schweizerin Marion Mansour ist mit dem Libanesen Hassan Mansour verheiratet. Der aber wird von der Zürcher Justiz wegen einer angeblichen Vergewaltigung der Frau, mit der er damals, im Drogenmilieu, zusammenlebte, und aufgrund eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens verfolgt – und schliesslich gewaltsam in den Libanon abgeschoben. Marion Mansour kämpfte wie eine Löwin für ihren Mann. Vergebens.

Die Berichte zum Fall Marion Mansour in der Schweiz findet man hier und hier und hier.

Natürlich reiste Marion Mansour unverzüglich in den Libanon zu ihrem abgeschobenen Mann und half mit, dort eine neue gemeinsame Existenz aufzubauen.

Vor einem Jahr ist Marions Mann Hassan Mansour in Beirut – nach Streit und Trennung – verstorben. Marion Mansour lebt wieder in der Schweiz. Ihr Vertrauter, der Basler Justiz-Kritiker Peter Zihlmann, hat zum Fall Mansour nun ein Buch veröffentlicht: Hassan und Marion, ein ungleiches Paar.

Das Buch ist eine Beichte. Eine Lebensbeichte. Nein, nicht eine Autobiographie von Marion Mansour. Es geht darin nicht um Selbstbelobigung, Rechtfertigung, Anklage oder Entschuldigung. Es geht um zehn Jahre Kampf um ein Leben, das diesen Namen verdient, denn oft war das Leben von Marion und Hassan nur noch ein Kampf ums nackte Überleben. (Der Schreiber dieser Zeilen hat sich damals als einziger Journalist die Mühe genommen, Hassan in der Auslieferungshaft am Zürcher Flughafen persönlich zu besuchen.)

Ein Buch für unterschiedliche Zielgruppen

Die Beschreibung dieser zehn Jahre Lebenskampf ist für Leserinnen und Leser mit ganz unterschiedlichen Interessen lesenswert:

– Für Leute, die sich, zum Beispiel als Betroffene oder Angehörige von Betroffenen, dafür interessieren, wie die forensische Psychiatrie einen Menschen vernichten kann, psychisch, gesellschaftlich, existenziell. Was, wenn ein Mensch eine Schuld nicht eingesteht, weil er seinerseits und subjektiv von seiner Unschuld weiss, aber nun einfach als Uneinsichtiger und Lügner behandelt, psychiatrisch zwangsbehandelt und eingesperrt wird?

– Für Leserinnen und Leser, die sich für das eheliche Zusammenleben von ganz unterschiedlichen Menschen interessieren, von Menschen zum Beispiel aus verschiedenen Religionen und Kulturen. Die Chancen einer solchen ehelichen Gemeinschaft, aber auch ihre Gefahren.

– Für Leserinnen und Leser, die sich für das Phänomen der persönlichen Aufopferung eines Menschen interessieren. Kann es Sinn machen, sich selbst zu opfern, um einen anderen Menschen zu retten?

– Für Leute, die sich mit den Problemen der Auswanderung auseinandersetzen oder gar eine solche vorhaben. Das Buch zeigt den Unterschied des Verhaltens eines Mannes aus einer patriarchalischen Kultur hier in der Schweiz, im kulturellen und sozialen Umfeld der nach Schweizer Recht für ihn kämpfenden Frau, und seines Verhaltens in seinem eigenen patriarchalischen Heimatland, im Umfeld seiner eigenen Verwandtschaft. Hoch interessant!

Auf Seite 147 des Buches steht, geschrieben von Marion: «Bin ich schuldig, dumm oder naiv oder alles zusammen, weil ich meinem mir angetrauten und anvertrauten Mann in das Land gefolgt bin, in das ihn die Schweiz mit ihrem Rechtssystem, ihrem Ausländerrecht verstiess, nachdem sie ihn bestraft, therapiert, krank und schliesslich todkrank gemacht hatte? » Das Buch von Peter Zihlmann nähert sich einer Antwort.

Formal nicht ganz geglückt …

Das Buch, 200 Seiten in grosser Schrift, liest sich locker in einem Tag. Formal ist es allerdings kein Meisterwerk. Schon das glänzende Papier hätte nur mit farbigen Fotos Sinn gemacht, zum Lesen ist es im Licht einer Lampe eher unangenehm. Das Lektorat hat Dutzende von Fehlern durchgelassen, die Kommas scheinen gelegentlich mit dem Zufallsgenerator gesetzt oder eben weggelassen worden zu sein. Irritierend ist vor allem auch, dass öfters im selben Abschnitt Marion in der Du-Form zu Hassan spricht oder in der Wir-Form über sich selbst, im nächsten Satz dann aber, unvermittelt, steht, dass Marion das und das gesagt oder getan hat. Das Subjekt der Erzählung wechselt. Ein Beispiel: «Man traf sich an der Autobahn, zwei weitere Autos stiessen zu uns und sie eskortierten uns zum freistehenden Haus des Polizeichefs. Die Stimmung erinnerte Marion an gewisse Szenen, die sie aus Mafia-Filmen kannte.» Da haben offensichtlich sowohl Marion, die Beichtende, als auch Peter Zihlmann, der Beichtvater, ihre Finger im Schreib-PC gehabt …

… dafür authentisch

Diese formalen Schwächen haben aber auch eine gute Seite. Sie zeigen, dass «Hassan und Marion» kein Buch sein will, das als belletristisches Meisterwerk im Literatur-Zirkel ankommt. Es ist die lebensnahe Rückschau, die Auseinandersetzung mit sich selbst, die Anklage und der Versuch der Bewältigung eines Lebensabschnittes einer einmal zartbesaiteten Klavierlehrerin und einer zur Kämpferin gewordenen jungen Frau, mal anklagend, mal dankend, mal rächend, mal entschuldigend, und immer suchend und erklärend. Auch die in Marions Geschichte Direktbeteiligten oder aus anderen Gründen im Buch erwähnten Personen sind alle mit ihren echten Namen erwähnt, die involvierten Juristen, die involvierten Psychiater, und so auch der hier Schreibende. Da steht dann eben nicht «ein Journalist», da steht dann eben sec und einfach «Christian Müller».

Zum Lesen empfohlen sei das Buch also nicht primär den Literatur-Durstigen, nicht den Thomas Mann-Liebhabern, die Literatur um der Sprache willen geniessen wollen und können. Zum Lesen empfohlen sei das Buch jenen, die lernen wollen aus der unsäglich intensiven Liebe einer Schweizerin, die alles auf eine Karte gesetzt und schliesslich doch verloren hat.

Ohne dabei unterzugehen, notabene. Folgt nach der öffentlichen Aufarbeitung jetzt der Neustart? Allein? Oder mit einer neuen Liebe?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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Eine Meinung zu

  • am 3.03.2017 um 21:17 Uhr
    Permalink

    Der obige Titel «die Beichte» hat etwas. Schon fast intim sind die Bekenntnisse. Und doch ist nichts peinlich. Im Gegenteil. Jeder Gedanke, jedes Erlebnis hat mich berührt und war im Ablauf nachvollziehbar.

    Als Leser konnte ich kaum Atem holen. Wie muss es erst der Autorin im realen Leben damit gegangen sein?

    Ein Ereignis bereitet den Boden für das nächste. Als ob die Tragik unausweichlich wäre. Oder gab es eventuell Alternativen? Wurde etwas übersehen? Hätten die beiden der Geschichte eine andere Wendung geben können? Irgendwo?

    Das beschäftigt mich, lässt mich nicht so schnell los. Das sind Lebensthemen.

    Hätte ich die Ausdauer gehabt, über Jahre hinweg gegen so viel Widrigkeiten anzukämpfen?
    Hätte ich den Mut gehabt, die Geschichte des persönlichen Scheiterns so öffentlich zu machen?
    Hätte ich die Grösse besessen, bei aller Betroffenheit auch gleichzeitig so viel Abstand für eine sachliche Reflexion und einen sinnvollen Überblick einnehmen zu können?

    Die im obigen Artikel genannten formalen Unebenheiten gingen für mich in der Lese-Spannung ganz unter. Perfekt wäre womöglich sogar weniger packend gewesen.

    Ein Buch, das auch Fragen aufwirft, ohne sie zu stellen. Filmreif, finde ich.

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