Kommentar

Tränen und die letzten Cowboys im zahmen Westen

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Jürgmeier /  Schweizer General weint. US-Präsident zieht mit dem «Taschenmesserchen» ins «Schlachthaus». Der Welt droht «finstere Zukunft».

Es gibt diese Momente, in denen einen, mich, die verlorene Hoffnung befällt, es könnte, irgendwann & irgendwie, doch noch alles gut kommen. (Wie es Hausbesetzer*innen vor langer Zeit an die Zürcher Wohlgroth sprayten.) Generäle & Präsidenten könnten doch noch Menschen werden statt Härte zeigen. Aber gleichzeitig flüstert einem so ein hinterhältiges Männchen oder vielleicht auch Frauchen ins Ohr: Freu dich nicht früh.

Der General weint

Es hatte etwas Rührendes & Beruhigendes, wie Aldo C. Schellenberg, Chef der Schweizer Luftwaffe, nach dem jüngsten Absturz eines Superpumas am Gotthard an diesem 28. September 2016 in einem Interview mit Telebärn beim Gedanken an den toten Piloten nur noch ein «Ich bin unendlich traurig» über die Lippen brachte, zu weinen begann, alle Medientrainings vergass und schliesslich aus dem Fokus der Kamera flüchtete. Der General weint. So könnte ein Roman beginnen.

Aber schon am nächsten Tag will der Blick am Abend wissen: «Darf ein Luftwaffenchef weinen?» Und erhält, anscheinend, andere Antworten als erhofft. «Von links bis rechts tönt es: Mega sympathisch.» Das «handzahme Boulevardblatt» (Philipp Gut, Weltwoche, 6.10.) treibt es bei so viel offiziellem Verständnis für Tränen in Uniform auf die Strasse. Da treffen die Journalist*innen, nebst weiteren Mitleidenden, einen Physiotherapeuten, der vom Luftwaffenchef «Fassung bewahren» erwartet. «Ein Interview abbrechen kommt unseriös daher.» Und bei allem Verständnis für Gefühle meint eine Gymischülerin: «Im Militär lernt man Disziplin. Gerade der Chef sollte gefasster darauf reagieren.» Das ist die Stimme des Volkes, hätte die SVP in vergangenen Zeiten, vermutlich, gejubelt, aber 2016 lässt sich ihr eigener Bundesrat & Verteidigungsminister Guy Parmelin in den Schaffhauser Nachrichten mit dem Satz zitieren: «Ich verstehe die Emotionen vollkommen. Das Gegenteil hätte mich viel eher gestört.» 
«Mit einem solchen Militärführer in den Krieg»?

Philipp Gut von der Weltwoche muss sich bei so viel softer Empathie wie der letzte Mohikaner vorgekommen sein und erinnert mit seiner Frage – die rhetorisch zu denken ist – ans Kerngeschäft einer Armee: «Kann man mit einem solchen Militärführer in den Krieg ziehen?» (Weltwoche, 6.10.2016). Er stellt sie weder dem Luftwaffenchef mit feuchtem Blick, dessen sensiblem Vorgesetzten noch irgendeinem «betroffenen» Mitglied der eidgenössischen Sicherheitskommissionen. Sondern bohrt weiter: «Wie reagiert er, wenn nicht nur ein einzelner Helikopter verlorengeht, sondern eine halbe Flotte? Wie tritt er vor seine Leute, wenn ganze Städte bombardiert werden? Weint er dann nur noch?» Und gibt selbst die Antwort: «Die militärischen Führungsorgane müssen in der Lage sein, unter schwierigsten Bedingungen zu funktionieren und auch im Pulverdampf kühlen Kopf zu bewahren. Ob Luftwaffenchef Schellenberg solchen Situationen gewachsen wäre, daran bestehen ernsthafte Zweifel.» Mit Heulen hat schliesslich noch keiner (und keine) einen Krieg gewonnen. Das schreibt er nicht, der letzte Mann von der Weltwoche.

Aber es wird ihn gefreut haben, dass ihn, welch Zufall, am gleichen Tag der Korrespondent aus dem fernen US-Amerika im ungeliebten Tagesanzeiger unter dem Titel «Die finstere Zukunft» zu grüssen scheint. Von «Mann» zu «Mann». Als wär’s ein Kamerad. Was der Hubert Wetzel, vermutlich, nicht wirklich ist. Obwohl er in seinem Text an die guten alten Zeiten erinnert, «als der Westen noch wild und gefährlich war», der amerikanische Präsident noch Sheriff sein wollte. Den abtretenden Barack Obama zeichnet er wie einen Bruder des Schweizer Friedensapostels Max Dätwyler, der die Welt mit der weissen Fahne in der Hand in einen friedlichen Ort verwandeln wollte und dafür mehr als einmal für verrückt erklärt worden ist. In einer Welt, in der die Friedfertigen als lächerliche Figuren erscheinen.

Der Sheriff ist dann mal weg

«Naiv» – und das klingt beim Journalisten Wetzel eher wie «einfältig», nicht wie «gutgläubig» –, «naiv» sei er gewesen, der Obama, zum Beispiel gegenüber Iran und Russland, der «Mann der Vernunft, der Argumente, des Rechts. In ihm steckt kein Cowboy, sondern ein Anwalt, der ein messerscharfes Plädoyer hält. Leider hört niemand zu. Vielleicht ehrt die Weigerung, mitzuschiessen, Obama ja. Der Nahe Osten gleicht heute in weiten Teilen einem Schlachthaus. Da braucht es nicht noch einen Metzger. Einerseits.» Andrerseits – und es ist, als wolle er den zögerlichen Präsidenten ein letztes Mal zu den Waffen rufen – erinnert ihn dessen Verhalten an den sprichwörtlichen Mann, der zu einer Schiesserei nur ein Messer mitnehme. «He brought a knife to a gun fight.» Der «neue, brandgefährliche Wilde Westen» sei der Nahe Osten, den er mit einem «Schlachthaus» vergleicht. Und der Mann – Barack Obama. «All die Desperados und Outlaws, die sich von Tunesien über Libyen, Ägypten und Syrien bis zum Irak bekämpfen, haben ihre grössten Schiesseisen mitgebracht.» Aber der «US-Präsident, der einmal der Sheriff in diesem Teil der Welt war, hat nur ein Taschenmesserchen dabei. Das flösst niemandem Respekt und niemandem Furcht ein.»

Schreibt der Tagi-Korrespondent, der vermutlich ganz froh ist, dass er, wie ich, «die Welt» nur kommentieren kann, sich nicht real zwischen Friedensapostel und Sheriff entscheiden muss. Kein Wunder, dass sich die erste Präsidentschaftskandidatin – auch wenn sie kaum schweizerische Gazetten liest – im Kampf gegen den Trumpierenden bemüht, glaubhaft zu machen, dass sie nicht mit der Nagelschere, sondern, ganz «Mann», mit schwerem Geschütz zum nächsten Fight antreten wird. Weil nicht gesichert ist, was im Blatt von der Werdstrasse behauptet wird – «das amerikanische Volk will nicht mehr, dass die USA der Sheriff sind». Einen Friedensnobelpreisträger hatten sie ja schon. Aber keinen Frieden. Wetzel zu unterstellen, er meine, den gäbe es nur, wenn mann zum Krieg bereit sei, wäre Polemik. Er notiert: «Wer aber glaubt, der Region werde es besser gehen, sobald sich die Amis endlich nicht mehr einmischen, sollte einen Blick nach Aleppo werfen. Das ist die finstere Zukunft.» Und das ist nicht nur für Generäle zum Weinen.


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3 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 8.10.2016 um 13:16 Uhr
    Permalink

    In diesem Beitrag erkenne und verstehe ich Sie sehr gut und anerkenne Sie als einen der wenigen reflektierenden *Männer"-Publizisten in unserem Land. Wenn ich gelegentlich nicht Ihrer Meinung bin, zumal im sprachpolitischen Bereich, so doch auf der Basis oft der nämlichen Fragestellungen und Perspektiven.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 8.10.2016 um 16:14 Uhr
    Permalink

    Sorry, diese Meinung kann ich nicht teilen. Wenn einer nur «ein Mann» ist, wenn er die grössten Tötungsinstrumente einzusetzen weiss…

    Wie war das mit Ghandi ? Selbst Willhelm Tell hat seinen Pfeil auf den Apfel, nicht auf Gessler abgeschossen. Was Aleppo betrifft, ist Obama mit den Franzosen wohl am wenigsten legitimiert, eine historisch vetretbare Meinung abzugeben. Selbst Kain würde wohl das angezündete Feuer lieber wieder löschen.

    Wer Öl ins Feuer gibt braucht sich nicht zu wundern, selbst gebrannt zu werden.

  • am 9.10.2016 um 21:50 Uhr
    Permalink

    Da gibt es zum Schluss einen kleinen aber gewichtigen Fehler!
    Die USA mischen in Aleppo sehr wohl mit. Oder wie soll ich die direkte Unterstützung der FSA (und Al-Nusra) durch die Amerikaner sonst verstehen.

    Einige von vielen Infos:
    Daesh: Diese Fakten zeigen, dass der Westen den Terror unterstützt
    http://www.neopresse.com/politik/daesh-wenn-der-terror-vom-westen-gezielt-unterstuetzt-wird/

    Terroristen-Kommandeur im Interview: USA beliefern Al-Nusra direkt mit Waffen.

    Auf die Frage, ob die USA ihnen die Waffen über die Freie Syrische Armee, die sogenannten gemäßigten Rebellen, gegeben hätten, antwortete der Al-Nusra-Mann:

    „Die Raketen wurden uns direkt geliefert. Die Amerikaner stehen auf unserer Seite.“ Er habe sogar präzisiert, dass es sich dabei um Panzerabwehrraketen des Typs Tow handele. Allerdings werde die Kooperation nicht so gestaltet, wie es Al-Nusra wünsche, berichtet Focus Online unter Berufung auf den «Kölner Stadt-Anzeiger». (26.09.2016)

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