Precht

Richard David Precht macht die Geschichte der Philosophie verständlich © Youtube

Geschichte der Philosophie – neu erzählt

Jürg Müller-Muralt /  Er gilt als Pop-Philosoph, ist erfolgreich, aber auch umstritten: Richard David Precht publiziert eine Geschichte der Philosophie.

Es ist eine eigenartige Sache mit «der Philosophie». Einst Königsdisziplin unter den Wissenschaften, spielt sie heute in den akademischen Debatten nur noch selten die erste Geige. Es wird sogar darüber gestritten, was Philosophie überhaupt ist: eher eine Wissenschaft (analytische Philosophie, Sprachphilosophie) oder doch eher eine Art Gedankenkunst, welche die «grossen Zusammenhänge» thematisiert. Zudem ist die Präsenz philosophischen Denkens in der Öffentlichkeit von Widersprüchen gekennzeichnet: Einerseits steht die Disziplin weitherum im Rufe mangelnder Bodenhaftung und starker Akademisierung, anderseits stürmen gerade populärphilosophische Bücher immer wieder die Bestsellerlisten.

Wenig schmeichelhafte Attribute

Die Autoren dieser Bücher werden – trotz oder vielleicht wegen ihres Erfolgs – rasch einmal mit wenig schmeichelhaften Attributen versehen: Richard David Precht etwa muss mit Etiketten leben wie Pop-Philosoph, Popstar der Philosophie oder Fernsehphilosoph; wobei Precht beim ZDF tatsächlich eine eigene Sendung hat. Der «Spiegel» bezeichnete ihn einmal als «intellektuelle Allzweckwaffe», die «Zeit» als «Bürgerphilosophen». Und der Publizist Eduard Kaeser hat Precht auf der Plattform «Journal 21» mit Peter Sloterdijk, Slavoj Zizek und Alain de Botton zusammen in einen Topf geworfen und sie alle als «pop-philosophische Branchenleader (…) mit Begriffs-Flatulenz» tituliert.

«Kleiner Käffer» – ganz gross

Auch miteinander gehen die publizistischen Stars nicht sonderlich pfleglich um. In der Flüchtlingsdebatte hat Precht seinem Philosophen-Kollegen Sloterdijk Nazi-Jargon vorgeworfen, weil dieser von einer allenfalls notwendigen «wohltemperierten Grausamkeit» zur Abwehr von Flüchtlingen sprach. Sloterdijk wiederum qualifizierte seinen Konkurrenten Precht, ohne ihn beim Namen zu nennen, als «kleinen Kläffer» und als «Philosophie-Journalist aus der Narren-Hochburg Köln, der offensichtlich immer noch nicht weiss, wer und wie viele er ist». Damit spielte Sloterdijk auf Prechts Bestseller «Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?» an. Es ist also, auch unter Philosophen, ein frohes verbales Hauen und Stechen im Gang. Von der sprichwörtlichen philosophischen Abgeklärtheit ist wenig zu spüren.

Vom «kleinen Kläffer» Richard David Precht liegt nun allerdings ein Buch vor, das Beachtung verdient. Die Thematik ist zwar nicht besonders spektakulär: Es handelt sich um eine Philosophiegeschichte (Titel: «Erkenne die Welt»), und sie behandelt die Zeit von der Antike bis zum Mittelalter. An Philosophiegeschichten herrscht kein Mangel: Von wissenschaftlichen Wälzern über Kurz- und Kürzestfassungen bis hin zu populärwissenschaftlichen Darstellungen zur Geschichte des Denkens ist alles zu haben. In die letzte Kategorie gehört der Klassiker von Wilhelm Weischedel mit dem Titel «Die philosophische Hintertreppe» von 1966. Jostein Gaarder hat Anfang der Neunzigerjahre mit «Sofies Welt» versucht, Philosophie dem Publikum in Romanform näher zu bringen.

«Grosse Erzählung»

Auch Richard David Precht bedient sich einer Art Erzählung, allerdings nicht in der gekünstelten Form des Romans wie Gaarder. Prechts Ziel ist ehrgeiziger. Für ihn ist Philosophieren «das Schärfen des Denkens in der Hoffnung, die begrenzte Zeit unseres Daseins ein wenig bewusster zu erleben. Und sei es auch nur, um zu verstehen, was wir nicht verstehen», wie er in der Einleitung schreibt. «Dieses Buch ist keine Philosophie und auch nicht einfach deren Geschichte. Es ist, in einer Formulierung Immanuel Kants, eine ‘philosophierende Geschichte der Philosophie’, dabei so allgemeinverständlich wie möglich gehalten und eingehüllt in das Gewand einer grossen Erzählung».

Das erzählerische Element kommt immer dann zum Tragen, wenn das philosophische Denken in die Zeit seiner Entstehung eingebettet wird. Das hindert Precht allerdings nicht daran, immer wieder einen Bogen zur Gegenwart zu schlagen und damit aufzuzeigen, wie fern oder eben wie aktuell uns das Denken antiker Philosophen in einzelnen Punkten ist, und welche Fragen uns über Jahrhunderte oder gar über zwei Jahrtausende nicht mehr losgelassen haben.

Kein Zeitgeist-Surfer

Precht wird diese Fäden immer wieder aufgreifen, in den beiden Bänden bis zur Gegenwart, die in den nächsten zwei Jahren noch folgen werden. Damit hat er sich einiges vorgenommen. Umso verständlicher ist die Beschränkung auf die abendländische Philosophie, «wohl wissend, dass Kulturen wie Persien, China, Indien und andere eine eigene bedeutende Philosophiegeschichte haben». Doch ohne sehr gute Kenntnisse ihrer Sprachen und Kulturen ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Traditionen nicht möglich.

Richard David Precht ist mehr als ein philosophischer Zeitgeist-Surfer. Er geht der Sache auf den Grund und beherrscht seinen Stoff souverän. So gelingt es ihm, nicht einfach die einzelnen Philosophen und ihre Lehren darzustellen, sondern die grossen philosophischen Probleme von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten. Er präsentiert kein Lexikon; man schaut vielmehr lesend einem Kenner der Materie zu, wie er kritisch argumentierend die unterschiedlichen Positionen umkreist. Nicht Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit ist das Ziel dieses Buches, es dominieren die Fragen und nicht die Antworten. Dass der Autor auch etwas von Spannungsaufbau und Textdramaturgie versteht, erhöht den Lesegenuss ebenso, wie die klare Sprache und die scharfsinnige Argumentation. Richard David Precht hat Komplexität reduziert, aber nicht banalisiert.

Richard David Precht: «Erkenne die Welt. Eine Geschichte der Philosophie (I), Goldmann Verlag, München 2015, 576 S., CHF 30.90 (auch als eBook erhältlich)


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Eine Meinung zu

  • am 26.04.2016 um 22:45 Uhr
    Permalink

    Das Problem ist nicht, dass die Populärliteratur die Bestseller-Listen stürmt, sondern dass es deren Autoren heute bis in die Feuilletons schaffen. Die Herren Sloterdijk und Žižek werden hofiert, obwohl sie zu aktuellen Debatten nicht wirklich mehr beizutragen haben als ein Allrounder-Journalist. Damit wird auch ein verzerrtes Bild der Philosophie wiedergegeben, denn wie viel leichter kann man eine ganze Fachrichtung verächtlich vom Tisch wischen, wenn man glaubt, das seien eh nur postmoderne Schwätzer! Dabei gäbe es beispielsweise gerade in der Wissenschaftsphilosophie wichtige Denker, für die in den Redaktionen der Tageszeitungen offenbar nicht mehr genügend ausgebildete Fachjournalisten vorhanden sind, um solches einem Laienpublikum aufzubereiten. (Stattdessen liest man bei Besprechungen antiintellektuelle Sätze wie «Searle versteckt sich hinter Fachjargon».)

    Philosophie beschäftigt sich schon seit Aristoteles mit den Grundlagen der Wissenschaften, die dort selber nicht mehr hinterfragt werden. Um ein Problembewusstsein zu schaffen und Wahrnehmungsweisen zu hinterfragen, reicht es nicht, die (oft willkürlichen) Assoziationsketten der Populärphilosophen zu bewundern. Es braucht mehr Reflexion, die aus gegensätzlichen Standpunkten hervorgeht. Hier kann man dem Text beipflichten: Intelligente Fragen sollen provoziert werden. Es wäre wünschenswert, dass dies nicht nur Leute wie Precht zu leisten vermögen, sondern auch eine Kulturberichterstattung, die diesen Namen verdient.

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