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«In-Formation» im Schauspielhaus-Schiffbau, nach dem Motto: «Print ist tot» © R.

Ein brillanter Presse-Zirkus

Robert Ruoff /  «Print ist tot», heisst es im Zürcher Schauspielhaus. Aber die Zeitung erlebt eine überraschende Auferstehung.

Der Applaus war lang und begeistert, das Publikum war kundig, das Stück geschliffen, die Regie stilsicher und einfallsreich und die schauspielerische Leistung brillant. Und mit dem Stück ist das Schauspielhaus – diesmal im Schiffbau – nahe an den Themen der Zeit.

«In Formation» ist ein Stück von Guy Krneta, der manchmal auch für «Infosperber» schreibt und mitverantwortlich ist für «Rettet Basel!» vor der «Basler Zeitung» unter Christoph Blocher und Markus Somm, kurz: «In Formation» ist ein Stück, das von Anfang an den Tod der Zeitung verkündet, die es «gly nümme git», die es «bald nicht mehr gibt.»

Klaus Brömmelmeier, Rahel Hubacher, Henrike Johanna Jörissen, Nicolas Rosat geben die Journalistinnen und Journalisten und andere Persönlichkeiten in der Revue, hervorragend eingespielt aufeinander und immer mal wieder von der Regie (Sebastian Nübling) aus der Routine gerissen durch Worte aus der äusseren Welt: von «Experten» oder dem anwesenden Publikum. Laurin Buser als Conferencier zieht uns alle durch die 25 Nummern der Presse-Show. Alle, weil wir, das Publikum, ganz schnell hineingezogen werden, mit einfachen Fragen zuerst: Wer hat noch eine gedruckte Zeitung abonniert – die Mehrheit –, wer mehr als eine – immerhin Etliche –, und wer ist bereit, für Information zu bezahlen – die Meisten. Einige finden, Information sollte gratis sein. Einer aus Deutschland sagt, der Service public sei ja schon fast gratis.

Die theatralische Nummernrevue setzt die Elemente gegeneinander bis an die Grenze der Verwirrung. Vielleicht muss man sich manchmal verwirren lassen, um zur Klarheit zu finden. Chaos ist die Zwischenstation auf dem Weg zur Erkenntnis.

Geschichten von der Presse

Selbstverständlich greift «In Formation» all die Geschichten auf, die uns beschäftigen. Der Autor, Guy Krneta, steckt selber mitten drin. So erzählt er die Geschichte vom Politiker, der sich die Zeitung und den Chefredaktor kauft, und die Geschichte von den schnellen Wechseln auf den Chefsesseln und schliesslich die Geschichte von der Machtübernahme durch den Financier. Ausserdem selbstverständlich unsere Geschichte, dass wir, zum Beispiel, vom Leser zum User werden, dass wir nicht mehr lesen sondern liken, als Follower, die den Empfehlungen anderer Follower folgen, und so die Stunden als User von Google oder Facebook verbringen, und schliesslich die Geschichte von der Vertrauensfrage, der Gretchenfrage sozusagen, die der Conférencier stellt: ob wir unserem Mediensystem vertrauen.
Und dann wäre da noch alles, was der Papst sagt. Zum Beispiel: «Journalistinne und Journaliste sötte nüt schribe, wenn sie wüsse, dass es im Grund gno nid stimmt.» Siehe unten: Unabhängigkeit.

Und gleich nach dem Papst kommt die grosse Entschuldigungsarie der Journalisten. «Mir hei d Wuet vor Bevölkerig fautsch igschetzt. Mir hei sie nid agmässe zum Usdruck bracht. Mir hei verseit.»

Und darum haben wir jetzt den Trump. Das steht nicht im Stück, es steht im Leben. In der letzten Ausgabe schreibt «Die Zeit» (51/2016): «Etwas ist schiefgelaufen. Wir Journalisten sind Teil des Establishments geworden. Es ist Zeit, das zu ändern.» – Manchmal holt die Wirklichkeit das Bühnenstück ein.

Geschichten aus dem Theater

Die theatralische Revue in der Arena des Schiffbau war von Anfang bis Ende ein Fluss von Rede und Gegenrede und ein Wechsel vom kreisrunden, zentralen Schauplatz hinaus in die Runde des Publikums und wieder zurück, immer geführt von der schnellen, eleganten, schlagfertigen Conférence mit ihren wiederholten Fragen ins Premierenpublikum mit seiner sachkundigen Präsenz.

Roger de Weck war da, Generaldirektor SRG, Tamedia-Kolumnist Daniel Binswanger und Schreibdenker Constantin Seibt, bereits auf Marketing-Tour für sein geplantes Web-Magazin, EMEK-Präsident Otfried Jarren – «wir benötigen neue Plattformen für die Öffentlichkeit und ihre Vielfalt» – und nicht zuletzt der WOZ-Redaktor und Historiker Stefan Keller und AZ-Verleger Peter Wanner. Wanner und Keller waren diesmal als «talking guests» eingeladen, als sprechende Gäste zum Thema. Wanner hatte am selben Tag angekündigt, dass er ab März 2017 aus der «Schweiz am Sonntag» die «Schweiz am Wochenende» machen wird (mit Erscheinungstag Samstag), und dass er die Einsparungen in die redaktionelle Arbeit investieren will. Das wurde in der «In-Formation» nicht erwähnt.

«Unabhängigkeit», sagte Wanner auf die Frage des Conférenciers, «totale Unabhängigkeit von Journalisten gibt es nicht.» Journalisten dürften allerdings nicht einfach für fremde Interessen und gegen ihre Überzeugung schreiben. »Native Advertising», die Werbung, die wie eine journalistische Geschichte daherkommt, und die von seinem Medienhaus zum Beispiel in «Watson» gepflegt wird, verteidigte er mit dem Hinweis, sie müsse ganz einfach deklariert, deutlich angeschrieben sein. Dann sei sie vertretbar.

Geschichten aus der Medienszene

Stefan Keller, Redaktor bei der Wochenzeitung WOZ, sieht das anders. Seine Zeitung ist ohnehin nur zum kleineren Teil von Werbung abhängig, und sie hat ihre Reichweite im laufenden Jahr um mehr als ein Viertel (25 Prozent) gesteigert – eine einzigartige Ausnahme in der Schweizer Presselandschaft. «Native Advertising», sagt Keller, «ist der Todesgesang der Werbung»; sie wirke sowieso nur kurzfristig.
Die traditionelle Presse, sagt Keller, sei insgesamt bedroht durch ökonomische Übernahmen, politische Übernahmen und durch die Verdrängung durch die «sozialen Medien». Und auf die Frage des Conférenciers meinte er: Ein Service public-Modell für die Presse sei durchaus bedenkenswert. Ganz im Gegensatz zum klassischen «In Formations»-Motto der privaten Zeitungsverleger: «Der Markt wird es schon richten.»

Und so sorgte AZ-Verleger Wanner für die Schlusspointe. «Service public», meinte er, sei unter den heutigen Bedingungen auch für die private Presse durchaus ein Modell, über das man nachdenken sollte. Nicht in der Form einer direkten staatlichen Finanzierung, aber zum Beispiel in Form einer Stiftung.

«Print is dead», die gedruckte Presse ist tot», verkündete «In Formation» in der Nummer #22 (von #25). – Für die Premiere hiess es aber am Schluss: Es lebe die private Medienszene auf dem Fundament des Service public!

Für die kommenden Vorstellungen sind unter anderen Tamedia-Kolumnist Daniel Binswanger (19.12.2015), Miriam Meckel, Constantin Seibt, WOZ-Chefredaktorin Susan Boos (Chefredaktorin des Jahres 2016), Christof Moser, Verleger-Präsident Pietro Supino und Online-Medienpionier Hansi Voigt eingeladen.
Es wird spannend.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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