Fussball_Deutschland_China_2005

Deutschland (damals 15. der Weltrangliste) gegen China (60. der Weltrangliste) im Jahr 2005 mit 1:0 © flickr.com/FUERTH

Der dunkelste Tag in Chinas Fussball

Peter G. Achten /  Parteichef Xi Jinpings Fussballtraum von der Fussball-Weltmeisterschaft ist noch weit weg von seiner Verwirklichung.

Chinas Wirtschaft ist ohne Zweifel Weltklasse und das Reich der Mitte mithin weltpolitisch vielleicht sogar auf dem ganz grossen Sprung nach vorn. Doch was den Fussball betrifft, ist China heute im FIFA-Ranking auf Platz 109 abgesackt und tiefste Provinz. Das Nationalteam ist allenfalls gerade noch in der Lage, Tahiti, Andorra, San Marino, Island, Liechtenstein oder die Schweiz zu schlagen.

Der professionelle Fussball legte im reformorientierten China in den 1990er-Jahren einen fulminanten Start auf den Rasen. Die Liga blühte, und das Nationalteam schaffte 2002 gar die Teilnahme an den Fussball-Weltmeisterschaften in Südkorea/Japan. Später wurde die Super League gegründet, alimentiert von schwerreichen Tycoons, die sich hochkarätige Teams etwa in Peking, Shanghai oder Kanton (Guangzhou) leisteten. Mit allem was dazugehört. Also sündhaft teuren ausländischen Spielern und noch teureren Trainern aus Europa und Südamerika.

Guter Start, aber keine Kontinuität

Doch die chinesische Fussballmeisterschaft verkam bald in einem wüsten Gestrüpp von Korruption, Match-Absprachen, gekauften Spielern und Schiedsrichtern. Weil Glücksspiel und Zocken – ausser an den Börsen – in China offiziell verboten ist, kam es in grossem Stil zu illegalen Wetten mit horrenden Geldsummen. Mit einem Befreiungsschlag suchten die Behörden den sportlichen Sündenpfuhl trocken zu legen. Hochrangige Mitglieder des chinesischen Fussballverbandes wurden zu langen Gefängnisstrafen verdonnert und 33 Spieler und Schiedsrichter wurden lebenslänglich von Spielfeld verbannt.

Jetzt versucht der Fussballverband das ramponierte Image des einst extrem populären Ballspiels in China aber auch international wieder aufzupolieren. David Beckham reist deshalb als Botschafter der Super League und deren Jugendprogramm durch China: im Auftrag des chinesischen Fussballverbandes für ein sattes Honorar von gerüchteweise 2,6 Millionen Dollar. Dass Beckham in China fast so bekannt ist wie Staats- und Parteichef Xi Jinping, hat mit der internationalen Vermarktung des Fussballs zu tun. Die grossen Clubs wie Real Madrid, Manchester United, Inter Mailand, Chelsea oder Bayern München haben den asiatischen und insbesondere den chinesischen Markt längst entdeckt. Europäische und lateinamerikanische Spitzenkicker treten das runde Leder auf chinesischem Rasen zu Gehältern, welche selbst hochdotierte Banker und Abzocker vor Neid erblassen lassen. Europäische Spitzenclubs gehen in Asien auf Tournee. Während der Saison werden Spiele der Primera Division, der Bundesliga, der Premier League und der Serie A am chinesischen Fernsehen gezeigt, direkt oder auch zeitverschoben und in Sportsendungen analysiert. Dass auch auf diese Spiele in grossem Stil illegal gezockt wird, versteht sich fast schon von selbst.

So schnell gibt man in China nicht auf

Der chinesische Fussball kann also nur noch besser werden. Die Klubs und deren steinreiche Besitzer tun einiges dafür. Guangzhou Evergrande zum Beispiel, Champion der letzten zwei Jahre und derzeit wieder an der Spitze der Rangliste, unterhält seit letztem Jahr in Zusammenarbeit mit Real Madrid eine Fussballschule mit Internat. Dort lernen über zweitausend junge Chinesen die technischen und taktischen Feinheiten des Spiels. Dass Guangzhou langfristig auf die Jugend setzt, hat auch mit Trainer Marcello Lippi zu tun, der einst Italien zur Weltmeisterschaft geführt hatte. Nur heimisches Schaffen, so die Überlegung, fördert und erhält die Fussballbegeisterung.

Doch die Wiederaufbauarbeit ist mühsam und braucht Zeit, viel Zeit. Das Nationalteam, seit drei Jahren vom spanischen Erfolgscoach Jose Antonio Camacho (Real Madrid, Spanische Nationalmannschaft) trainiert, hat bislang noch nicht überzeugt. Im Gegenteil. Die Teilnahme an den Fussball-WM in Brasilien 2014 ist bereits vergeigt. Jetzt geht es um die Teilnahme am Asien-Cup. Die offizielle Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) äusserte sich – für ein Staatsmedium höchst ungewöhnlich – kritisch-pessimistisch zur Lage des chinesischen Fussballs. Xinhua verglich mit gutem Gespür fürs gesunde Volksempfinden Chinas dahin dümpelnde Börse mit dem chinesischen Fussballl. Beide seien zum Gegenstand nationalen Gespötts geworden. Xinhua fügte hinzu: «Börse und Fussball, zwei Spiele, welche chinesische Menschen am meisten quälen». Ein Blogger auf Sina Weibo, der chinesischen Version von Twitter, zwitscherte: «Das Schlimmste im Leben ist es, am Tage die Börse zu verfolgen und am Abend chinesischen Fussball zu sehen».

Ernüchternde Resultate

In der Tat, die Resultate der müden Truppe unter dem Kommando von Trainer Camacho sind ernüchternd. In Freundschaftsspielen setzte es eine Niederlage um die andere ab: Gegen Usbekistan 2:1, gegen Holland 2:0 und zuvor gegen Brasilien gar 8:0. Die schmerzlichste Niederlage erlitt China jedoch gegen Thailand – im FIFA-Ranking 47 Positionen schlechter als China. Nach der 5:1-Niederlage waren die chinesischen Fans tief enttäuscht. Die Tageszeitung «Peking Abend-Nachrichten» titelte mit der Riesenschlagzeile: «Das Nationalteam hat ein neues Kapitel in seiner Geschichte der Schande geschrieben». Die Hongkonger Zeitung «Pinguo Ribao» (Apfel-Tageszeitung) schrieb vom «dunkelsten Tag im Chinesischen Fussball».

Was Staats- und Parteichef Xi Jinping zur aktuellen Leistung des chinesischen Nationaltemas denkt, ist nicht überliefert. Doch Xi, ein bekennender Fussballfan, träumt nicht nur seinen mittlerweile weltweit bekannten «Chinesischen Traum». Xi träumt, wie er einst coram publico zu Protokoll gab, auch davon, dass China eines Tages sogar die Weltmeisterschaften gewinnen werde.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Bekennender Anhänger des FCB (FC Beijing, FC Basel und FC Barcelona - in dieser Reihenfolge).

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