Kommentar

Der aalglatte Politfuchs Armstrong

Niklaus Ramseyer ©

Niklaus Ramseyer /  Nur zugeben was längst bewiesen ist. Und: «Das war halt damals üblich!» So hat sich Lance Armstrong raus zu schnorren versucht.

«Gedopt? Yes! EPO? Yes! Eigenblut-Transfusionen? Yes! Testosteron? Yes? Tour-de-France sieben Mal ohne Doping zu gewinnen? No!»
Mit diesen überraschend klar beantworteten Yes-or-No-Fragen startete Oprah Winfrey am Freitag, 19. Januar, um 03 Uhr MEZ fulminant in ihr gross angekündigtes Geständnis-Interview mit dem weltberühmtesten Rad- und Doping-Profi, dem US-Amerikaner Lance Armstrong. Dann räumte Armstrong sogar noch ein, seine beispiellose Karriere sei «eine grosse Lüge» gewesen. «Eine perfekte Geschichte, die nicht wahr war.» Und er klagte: «Für die meisten Leute kommt mein Geständnis wohl zu spät.» Er müsse sich für den Rest seines Lebens entschuldigen.

Tour-de-France auf Null abgeschrieben
Da musste ihm doch jeder zustimmen: Recht hat er! Offen ist er! Doch schon mit seinem «No» zur Frage nach der TDF zeigte Armstrong an, wie er taktisch vorgehen würde: Er hat die Tour-de-France, die er sieben Mal mit Lügen, Tricks und Doping gewinnen konnte, total abgeschrieben. Wie denn nicht? Überführt ist er da ohnehin längst, und die sieben Titel ist er eh definitiv los. Da kann er gratis aus dem Vollen schöpfen, kann in punkto TDF alles zugeben.

Und alle die dabei waren sogleich perfide mit reinziehen: Doping sei damals «eine Kultur gewesen» und er «ein Teil davon», drapierte sich der systematische Lügner und Betrüger als einer unter vielen. Er habe diese Kultur «nicht begonnen», sie aber auch nicht gestoppt. «Tat es jeder?» fragte Winfrey. Armstrong zunächst: «Ich weiss es nicht.» Dann aber doch wieder: Von den 200 Teilnehmern hätte man wohl «schon etwa fünf finden können, die nicht gedopt haben». Und: Er habe nichts genommen, was andere nicht auch nahmen. Will sagen: Ich habe zwar gedopt, weil es aber alle anderen auch taten, habe ich sie nicht beschissen. Also bin ich doch der Beste. Auch habe er nie Leute in seinem Team zum Doping angehalten. Dabei war er der ganz grosse Doping-Stratege.

Tricks wie Guttenberg oder Hildebrand
Und nicht nur örtlich auf die TDF versucht Armstrong nun seine Lumpereien einzugrenzen – sondern auch zeitlich: Nach 2005 (als er die Tour zum siebenten Mal gedopt gewann) habe er nie mehr unerlaubte Substanzen genommen, behauptete der aalglatte Armstrong keck. Er lügt damit differenziert und gezielt weiter und zeigt eine Verteidigungsstrategie auf drei Säulen:
• Nur zugeben, was ohnehin schon bekannt und bewiesen ist
• Dies nur rund um die ohnehin durch und für Armstrong massiv beschädigte TDF, wo er nur einer von vielen gewesen sei.
• Zeitlich die Lumpereien mitsamt Psychoterror gegen Kritiker und sein Team möglichst in die Vergangenheit drängen, wo es «halt so war».

Diese Tricks wenden fast alle ertappten Politiker nach Skandalen auch immer wieder an: Vom geschassten US-Präsidenten Richard Nixon über den gestrauchelten deutschen Verteidigungsminister und Uni-Plagiator Theodor von und zu Guttenberg in jüngster Zeit, bis hierzulande zum abgehalfterten Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand. Der scheinbar «reine Tisch» mit Gratis-Geständnissen zu längst Bewiesenem ist auch da eine beliebte Masche.

Handzahme Winfrey, geschönte Realität
Darüber hinaus gab es von Armstrong nichts, was nicht längst bekannt wäre: Winfrey spielte zwar immer wieder Szenen mit Armstrongs Lügen ein, fast wie Schawinski jeweils im TV SRF auf seinem Popup-Bildschirm. Doch im Vergleich zum stets hartnäckigen Zürcher Nachhaker der Nation gab sich die US-Talkshowqueen sehr Handzahm. Und je länger das Gespräch dauerte, desto mehr gewann man den Eindruck in eine durchgestylte, arrangierte Show geraten zu sein. Die brutalen Beschimpfungen und Drohungen, mit denen der Velo-Superstar Kritikerinnen stets fertig machte und teils existentiell vernichtete, wurden gar nicht zitiert. Sei es, weil das so abgesprochen war, oder weil die verlogen US-Regeln zur medialen Beschönigung der Realität (Pfeiftöne) die rüden Verbalinjurien kurzerhand verbieten.

Dort wo es wirklich spannend wurde, wich Armstrong ohnehin oft aus: «Ich will da keine Namen nennen.» Sogar den längst ebenfalls überführten italienischen Doping-Arzt Ferrari versuchte er zu decken: «Ein guter Mann.» Den Welt-Veloverband UCI habe er mit seinen «Spenden» sicher nicht kaufen wollen: «Die kamen ja zu mir.» Und immer wieder kneifte Armstrong: «Ich rede nicht über andere Leute.» Zum zweiten Teil auch noch früh aufzustehen dürfte sich kaum lohnen.

Nachsatz der Redaktion:
Im zweiten Teil des Interviews am Samstagmorgen versuchte Lance Armstrong, auf Mitleid zu machen. Er bereue alles, gewiss, und er verdiene eine Strafe, gewiss. Ja, er verdiene eine Strafe von sechs Monaten. Aber ob er eine Strafe auf Lebenszeit verdiene? Er sei ein Kämpfer und er wolle auch in Zukunft wieder kämpfen. Die ersten Kommentare auf den Internet-Infoplattformen machen allerdings deutlich, dass er seine Glaubwürdigkeit endgültig verspielt hat. So einfach kann man jahrelanges Betrügen und Lügen nicht abschütteln. Siehe BBC.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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