Kommentar

Der Spieler: Warum Nichtspieler unbekehrbar sind

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Gibt es das, den Nichtspieler? Ja. Ihn mit Spielen von der Schönheit des Spielens überzeugen zu wollen, bringt nichts.

S. K. hat ein Problem. Er leidet unter einem «Mitspieldilemma». Er spiele ungern strategische Spiele, müsse aber, wenn im Kreise von Freunden Jasskarten auf den Tisch kommen, wohl oder übel mitmachen. «Ein glücklicher Mitspieler bin ich dann aber kaum, eher eine Spassbremse, die sich dauernd ärgert über den Zwang, mitspielen zu müssen.» In seiner Not wendet sich S. K. an den Psychoanalytiker Peter Schneider, der in der Tageszeitung «Der Bund» jede Woche Fragen zur Philosophie und Psychoanalyse des Alltagslebens beantwortet. Diese Woche war es diese, gestellt eben von Leser S. K.: «Was wäre ein adäquates Verhalten für Nichtgernspieler wie mich?»

Mit seinem Problem ist S. K. an jemanden geraten, der sich voll in seine Situation versetzen kann. Peter Schneider ist nämlich selber Nichtspieler oder Nichtgernspieler. Irgendwelche Spielregeln lernen zu müssen, empfindet er als «lästige Zumutung», und mit der vielgelobten Zweckfreiheit des Spiels sei es auch nicht weit her, wenn man sehe, wie verbissen Fussball, Handball, Jass oder Monopoly gespielt werde. Das erkläre zwar die Spielunlust nicht, von der man sagen könne, dass es sie gebe, aber nicht, woher sie komme. Schneiders Antwort auf die Frage lautet denn auch ganz ehrlich und banal: «Es ist eben so: Manche Menschen spielen halt gerne, andere nicht. Spielen fühlt sich für einen Spielmuffel so an wie Vögeln für einen Asexuellen. Beide denken bloss: Wie lange geht das noch?»

Zum Scheitern verurteilt

Wenn der Psychologe das sagt, ist es wohl so. Und deshalb müssen alle Bekehrungsversuche zum Scheitern verurteilt sein, die aus Nicht-, Unlust- oder Nichtgernspielern Spieler machen wollen. Manche spielen halt gerne, andere nicht. Das müssen wir Spielbegeisterten wohl oder übel akzeptieren, selbst wenn es uns schwerfällt – was, ein Mensch, der nicht spielt?!?!

Trotz dieser Erkenntnis versuchen Verlage und Handel immer wieder, an das zahlenmässig vermutlich grosse Segment der Abseitsstehenden heranzukommen und als neue Käuferschichten zu gewinnen. Dieses Bemühen illustriert exemplarisch die Liste der «Spiele für ‚Nichtspieler‘», die auf der Homepage des Onlineversandhändlers «Spiele-Offensive.de» zu finden ist. Dort sind rund hundert Titel aufgezählt, von «Heckmeck am Bratwurmeck», «Einfach genial», «6nimmt!» über «Carcassonne», «Uno» und «Werwölfe» bis hin zu «Qwizz», «Qwirkle», «Kakerlakenpoker», «Verflixxt» und «Malefix». Diese Spiele bieten einen schnellen Einstieg dank einfachen und kurzen Regeln, der Spielablauf ist unkompliziert, die Spieldauer höchstens eine halbe Stunde. Umfassendes strategisch-taktisches Können ist nicht gefragt, Spielwitz und eine gewisse Leichtigkeit versprechen Spass und gute Unterhaltung. Kurz: Die meisten der «Spiele für ‚Nichtspieler‘» haben zweifelsohne ein hohes Verführungspotenzial. In der Spielkritik ist denn auch sehr oft die Rede davon, dass man mit solchen Titeln Menschen, die selten spielen oder spielungewohnt sind, an den Tisch bringen und sie die Schönheit des Spielens direkt erleben lassen könne.

Beste Botschafter ohne Wirkung

Aber eben: Ihre Wirkung entfalten diese Spiele nur bei Menschen, die mit dem entsprechenden Gen ausgerüstet sind. Nicht- oder Nichtgernspieler fragen sich auch bei einem «Carcassonne» oder einem «6nimmt!», die beste Botschafter für das Spielen an sich sind, wozu sie dafür eine halbe Stunde an einem Tisch sitzen müssen. Oder, um den spielunlustigen Peter Schneider zu zitieren: «Wie lange geht das noch?»

Was hätte S. K. wohl als Antwort erhalten, wenn er an einen spielbegeisterten Philosophen und Psychoanalytiker geraten wäre? Eine spannende Frage. Das Phänomen der Spielunlust hätte auch dieser nicht aus der Welt reden können. Aber er hätte versucht, es weiter zu ergründen. Bei dieser Spurensuche würde der mit der Spielpsyche vertraute Analytiker in der Kindheit fündig werden, wo die Weichen für die weitere Entwicklung gestellt werden (wem sag‘ ich das?). Jedes Kind lernt über das Spiel die Welt kennen, seine und jene der Erwachsenen; spielerisch lernt es, Hindernisse zu überwinden und «Probleme» zu lösen. Spielerisch macht es erste Erfahrungen, positive wie negative. Vieles kommt von selbst, aber das allein genügt nicht. Das Kind braucht Anregung, Anleitung, Hinführung. Das betrifft auch das Spielen selbst. Hier erlebt das Kind schon früh Besonderes: Es erfährt die Emotionen, welche durch Sieg oder Niederlage ausgelöst werden, Lust oder Frust. Es lernt, die Gefühle, die dabei entstehen, mit anderen zu teilen. Es lernt dadurch, die Mitspielenden zu verstehen. Es erkennt, dass je nach Situation Abwarten und Überlegen eher zum Erfolg führen als schnelles Drauflosrennen. Oder dass sich Kooperation mit den Mitspielenden lohnt. Es lernt, dass es Regeln braucht, an die sich alle halten müssen, um vor Ungerechtigkeiten geschützt zu sein. Das Kind lernt so den Umgang mit einer Kulturtechnik, mit der sich im späteren Leben viele Herausforderungen leichter bewältigen lassen. Und – ein ganz entscheidender Punkt – es erlebt, dass Spielen etwas Schönes ist, etwas Befreiendes, etwas, das mit Lust verbunden ist und Freude macht.

Dies allerdings nur unter einer Voraussetzung: Kinder brauchen Menschen um sich, die ihnen neben dem Technischen auch diese Freude, die aus dem Spielen heraus entsteht, vermitteln. Sie brauchen auch für das Spiel Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Ein Vater beispielsweise, der im Spiel seine Kinder beim «Monopoly» gnadenlos niederwalzt, braucht sich nicht zu wundern, dass diese als Erwachsene schlechte Erinnerungen ans gemeinsame Spielen haben. Andere wiederum erinnern sich mit Schrecken an die sonntäglichen Jassrunden zu Hause, wo angebliche «Fehler» von Mitspielenden lauthals kommentiert wurden. Nicht zu sprechen von den vielen Familienstreitigkeiten, die ihren Ausgangspunkt nicht selten in unterschiedlicher Auslegung von Spielanleitungen hatten. Wo die dem Spiel innewohnende Ernsthaftigkeit zu Sturheit und Rechthaberei pervertiert, bleibt die Spiellust als Erstes auf der Strecke. Und schon haben wir ihn, den Nichtgernspieler.

Nur positive Erinnerungen

Gernspieler bzw. Spielbegeisterte haben hingegen ausnahmslos positive Erinnerungen an das Spielen mit ihren Eltern. An die gemeinsame Zeit. An die schönen Stunden, in denen sie die Erwachsenen zwar als Erwachsene, aber trotzdem als Gleichberechtigte erlebt haben (weil sich alle, egal ob klein oder gross, an die gleichen Regeln halten mussten).

Nichtspieler lassen sich nicht bekehren. Als Spielbegeisterter kann (oder muss) ich das zwar akzeptieren, sähe es aber viel lieber, wenn noch mehr Menschen gerne spielen würden. Dass lässt sich jedoch nicht erzwingen. Wenn Kinder aber spielend aufwachsen, bekommen sie eine gute Grundlage, nicht nur als künftige Spielerinnen und Spieler, sondern für ihr ganzes Leben. Das ist sicher auch im Sinne des nichtgernspielenden Philosophen und Psychoanalytikers.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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Eine Meinung zu

  • am 16.06.2015 um 23:32 Uhr
    Permalink

    Nichtspieler sind verbissen und vergrämt. Sie sollte sich schämen statt stolz zu verkünden, dass sie nicht gerne spielen.

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