Kommentar

Der Spieler: Von Oberlehrern und Grüblern

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Im Spiel offenbaren die Menschen ihren Charakter. Deshalb gibt es auch die unterschiedlichsten Typen von Spielern.

«Infosperber»-Nutzer Eduard Baumann hat keine gute Meinung von den Nichtspielern. Sie seien «verbissen und vergrämt», schrieb er in einem Kommentar zu meiner letzten «Spieler»-Kolumne. Bedeutet das umgekehrt, dass Menschen, die viel und gerne spielen, die Leichtigkeit des Seins verkörpern – freundlich, fröhlich, offen?

Ehrlich, mit solchen Verallgemeinerungen tue ich mich schrecklich schwer. Denn die Erfahrung lehrt etwas Anderes: Wer oft mit so genannten Viel- oder Gernspielern am Tisch sitzt, kann bestätigen, dass unter diesen Verbissene und Vergrämte sind wie unter Nichtspielern. Den Spieler als Typ gibt es so wenig wie den Nichtspieler als Typ. Was es hingegen gibt, sind unterschiedliche Typen von Spielern.

Beschäftigen wir uns doch mit diesen und beginnen mit den Hellsehern. Sie haben die unglaubliche Fähigkeit, nach einem kurzen Blick auf die Verpackung (Titelbild) zu entscheiden, ob ihnen das Spiel gefällt oder nicht. Sie brauchen es nicht einmal zu spielen. Kommt ein Cover zu leicht daher, lohnt sich für diesen Typ eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Inhalt nicht. Die Hellseher könnte man auch als Voreilige bezeichnen, weil sie aufgrund von Äusserlichkeiten vorschnell Schlüsse ziehen. Mit «voreilig» möchte ich jedoch lieber jene Ungeduldigen charakterisieren, die beim Erklären der Spielanleitung dauernd Fragen stellen, die später, wo sie hingehören, eh beantwortet werden. Zu den Ungeduldigen gehören für mich auch jene, die beim Anspielen von Neuheiten bereits in den ersten Runden, die eigentlich fürs Kennenlernen und Aufwärmen gedacht sind, aufs Ganze gehen. Ihnen ist auch egal, wenn sie dabei andere, die langsamer einsteigen wollen, einfach niederwalzen. Es gibt unter den Spielenden eben auch den Typ des Rücksichtslosen.

Gelangweilte und Meckerer

Nochmals zurück zur Situation beim Regelerklären: Immer weniger Spieler sind bereit, sich selber mit einer Spielanleitung richtig auseinanderzusetzen. Ihnen fehle die Geduld oder sie würden nicht drauskommen, sagen sie. Und wenn jemand sich bereit erklärt, die Regeln zu erklären, macht sich gern ein anderer Spielertyp bemerkbar: «Können wir nicht endlich anfangen?» Dies ist der Klassiker unter den meist in quengelndem Unterton vorgetragenen Fragen, welche die Gelangweilten verraten. Im Spielverlauf mutieren sie nicht selten zu Meckerern. Schlechte Spielregeln, zudem noch mangelhaft erklärt – sie sind schuld, wenn sie nicht wissen, was zu tun ist, wenn sie an der Reihe sind. Hätten sie doch besser zugehört!

Eine ganz seltene Spezies offenbart sich, wenn es darum geht, die Spielerfarbe zu bestimmen. Ich kenne viele Spielerinnen und Spieler, die immer die gleiche Farbe wollen. Zugegeben, ich habe auch eine Vorliebe für Grün, erstens weil grüne Figuren tendenziell eher hell und deshalb auch bei schlechtem Licht besser erkennbar sind, und zweitens, weil Grün immer auch Hoffnung ausdrückt. Wenn Grün jedoch weg ist, nehme ich auch Blau oder Rot, egal. Nun gibt es aber auch ganz Sture, die partout immer Gelb spielen wollen. Sonst würden sie nicht mitspielen …

Spielen wir endlich! Jetzt offenbaren sich die unterschiedlichsten Charaktere: Da gibt es die Aufpasser oder, eleganter gesagt, die Dirigenten, die jedem, der an die Reihe kommt, den Einsatz geben: «Du bist dran!» Dieser Spielertyp bekommt auch kribbelige Finger, wenn er sieht, dass eine Figur ein wenig neben dem Platz steht, der ihr auf dem Spielplan zugewiesen ist. Den Ordnungsfanatikern geht die Arbeit nie aus, da Spieltische Chaoten fast magisch anziehen, Leute, denen es nichts ausmacht, wenn ihre Karten nicht akkurat aufeinander gestapelt sind oder das (Spiel-)Geld schön nach Werten geordnet neben dem Brett liegt. Die Schusseligen darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Keine Figur, und sei sie noch so standfest, ist vor ihnen sicher. Hat man mit Menschen dieser Art gespielt, so sollte man am Ende eines Spielabends unbedingt einen Blick unter den Tisch werfen …

Vielschwätzer und Besserwisser

Die Vielschwätzer und Kommentatoren wiederum geben ihren Senf zu jedem Zug, der auf dem Brett gemacht wird, sowohl die eigenen wie auch jene der anderen. Einige tun es zurückhaltend, andere wiederum halten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg zurück. Hier zeigt sich auch, was ein Besserwisser ist. Nicht selten erteilen diese Oberlehrer ihren Mitspielenden auch mehr oder weniger uneigennützige Ratschläge. Grübler, die vor ihrem Zug alle Möglichkeiten während Minuten durchdenken, kann diese gutgemeinte Unterstützung durchaus aus der Ruhe oder aus dem Konzept bringen. Bei den Draufgängern hingegen prallt sie ab: Sie spielen so, als hätten sie eine Stoppuhr in der Hand. Dieser Spielertyp ist per se beratungsresistent.

Bei den kooperativen Spielen, wo die Zusammenarbeit im Vordergrund steht, zeigen die Dominatoren rasch ihr wahres Gesicht. Diskutiert eine Gruppe, welche Schritte sie als nächstes machen will, so geben sie den Ton an. Ihre Vorschläge und Ideen sind gleichsam versteckte Befehle: «Du ziehst hier drei Schritte vorwärts, während Du wartest ….» Widerspruch dulden diese selbsternannten Chefs meistens nicht. Einigen Mitspielenden passt es sogar, wenn jemand das Kommando übernimmt, es sind die Lauen und Lustlosen, denen letztlich egal ist, wie ein Spiel verläuft. Diese Gruppe trifft man in allen Spielgattungen. Ebenso ihr Gegenteil, die Engagierten, die mit Herzblut dabei sind, die aber, im Unterschied zu den Verbissenen, auch mal eine Fünf gerade sein lassen können. Denn sie wissen, dass man beim Spielen immer wieder von vorne beginnen kann. Neue Runde, neue Chance. Die Verbissenen hingegen spielen, als ob es ihr letztes Spiel wäre, der Sieg oder die Niederlage endgültig. Sie dulden keine Fehler und bringen kaum Verständnis dafür auf, dass man ein Spiel auch mal ein wenig lockerer nehmen darf. Aber auch nicht so locker, dass man am Ende gar noch zum Spielverderber wird, indem man unüberlegt zieht und auf diese Weise anderen Vorteilen verschafft.

«Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen, als im Gespräch in einem Jahr», soll der griechische Philosoph Platon gesagt haben. Dem ist nichts beizufügen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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