Kommentar

Der Spieler: Rechnen, einmal so, einmal anders

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Zwei Mathematikspiele wollen mit unterschiedlichen Konzepten Freude an Zahlen vermitteln. Es geht um «Pharao Code» und «Talo».

Ich kenne sie aus eigener Erfahrung, die Nöte der Menschen, die kein Verständnis für Zahlen haben. Mathematikstunden waren mir immer ein Gräuel. Irgendeinmal habe ich in der Algebra den Faden und damit den Anschluss verloren. Das war, wenn ich mich richtig erinnere, kurz nach der ersten Ableitung. Ich war, wie man so sagt, ein hoffnungsloser Fall, und der Mathematiklehrer im Gymnasium gab mir das auch zu verstehen.

Glücklicherweise hat mich meine Mathematik-Schwäche erst erreicht, als ich schon mehr als 15 Jahre alt war. Wäre das bereits früher, in der Primarschule oder in der Bezirksschule (Untergymnasium), der Fall gewesen, wäre eine gutmeinende Seele garantiert noch auf die Idee gekommen, mich mit einem Rechenspiel zu beglücken. Den Zugang zu den Geheimnissen der Zahlen spielerisch fördern, das wärs gewesen. Wäre es das? Ich bezweifle es. Wenn jemand an einer Zahlenschwäche leidet, hat er gegen alles, was mit eins, zwei, drei und mehr zu tun hat, eine tiefe Abneigung. Auch gegen Spiele, die ihm vorgaukeln, wie leicht doch der Umgang mit Zahlen sei, wie spielerisch. Das Rechenspiel wird folglich auf Nimmerwiedersehen in der hintersten Ecke eines Schrankes verschwinden, bis es früher oder später in einer Brockenstube wieder auftaucht.

Ein Spiel nur für echte Männer

Mein Verhältnis gegenüber Rechen- und Zahlenspielen ist immer noch gespannt. So habe ich die Ankündigung zweier Verlage, je ein Rechenspiel auf den Markt zu bringen, mit einiger Skepsis zur Kenntnis genommen. Die Spiele heissen «Pharao Code» (Amigo) und «Talo» (Drei Hasen in der Abendsonne). Immerhin, stelle ich fest, haben sich beide Verlage darum bemüht, dem Thema den Schrecken zu nehmen, auf völlig unterschiedliche Art und Weise.

Amigo setzt voll auf Abenteuer. Eine Tempeltür steht offen und ein grelles Licht blendet den Archälogen, der kurz davor steht, seinen Lebenstraum zu erfüllen, ins Innerste des ägyptischen Heiligtums vorzudringen. Doch zuvor muss er noch den Code knacken, der ihm den Weg frei macht. Breitbeinig steht er da, was signalisiert: Nur für echte Männer, die etwas wagen wollen. Wer jetzt ein spannendes Expeditionsspiel erwartet, liegt total daneben. Denn «Pharao Code» ist ein reines Rechenspiel durch und durch. Wer den Text auf der Schachtelunterseite liest, bevor er die Verpackung öffnet, ist zumindest ein wenig vorgewarnt. «Einmal falsch gerechnet und schon hagelt es Minuspunkte», heisst es da. Immerhin nur Minuspunkte, keine schlechte Noten …

Für Zahlenkünstler ist «Pharao Code» ein Fest. Wer an der Reihe ist, wirft drei Würfel. Nun versuchen alle Mitspielenden gleichzeitig, mit mindestens zwei der drei Würfel über Multiplizieren, Dividieren, Addieren und Subtrahieren zu einem Ergebnis zu kommen, das auf einem der Zahlenplättchen, die in der Pyramide auf dem Spielplan ausgelegt worden sind, zu finden ist. Wer meint, eine Lösung zu haben, nimmt sich das Plättchen in der Auslage und legt es offen bei sich ab. Bis die Sanduhr abgelaufen ist, dürfen die anderen Spielerinnen und Spieler weiter knobeln. Ist die Lösung richtig, bekommt man die auf dem geschnappten Plättchen abgebildeten Skarabäen gutgeschrieben, andernfalls zählen sie als Minuspunkte. Gewinn und Verlust wiegen umso schwerer, je weiter oben das betreffende Zahlenplättchen in der Pyramide liegt. Es kann sich also auszahlen, schwierigere Codes anzuvisieren. Dabei geht man allerdings das Risiko ein, dass ein konkurrenzierender Archäologe besser ist im Kopfrechnen und Kombinieren und einem das punkteträchtige Plättchen kurzerhand wegschnappt.

Bei Amigo bleibt das Rechenspiel ein Rechenspiel. Für bereits Bekehrte, zu denen ich nicht zähle, sogar ein ausgezeichnetes Rechenspiel. Aber höchst fraglich ist für mich, warum der Verlag «Pharao Code» mit der Coverillustration zu einem Abenteurspiel macht, was es partout nicht ist. Verkaufsüberlegungen mögen da mitgespielt haben. Marketing in Ehren, in Wirklichkeit aber ist das eine Mogelpackung.

Ein Lehrmittel, aber noch kein Spiel

Agierte Amigo am Ende der Pipeline, so setzte der Verlag Drei Hasen in der Abendsonne viel früher an, nämlich bei der Entwicklung des Spiels «Talo». Die beiden Mathematiklehrer Uta Krüger und Bernd Poloczek hatten ursprünglich die Idee, mit einem Spiel Grundschulkindern zu helfen, vom zählenden Rechnen wegzukommen. Zufällig lernten sie den Spielautoren Jens-Peter Schliemann kennen, ein Rechnen- und Zahlengenie, der schon lange den Wunsch hatte, Kindern auf spielerische Weise ein besseres Gefühl für Mathematik zu vermitteln. Gemeinsam entwickelten sie aus verschieden langen Holzsteinen, wie man sie in der Mengenlehre kennt, so etwas wie ein Bauspiel, bei dem man Zahlen begreifen konnte. «Ein Lehrmittel, noch kein Spiel», lautete das Urteil des Verlags nach der Präsentation. Und die Lehrer und der Erfinder arbeiteten weiter…

Jetzt liegt «Talo» vor uns, ein Würfel-Bauspiel. Kern des Spiels sind immer noch die 55 unterschiedlich langen Holzsteine. Dazu gekommen ist neu ein zehnseitiger Würfel. Ihn wirft man, wenn man an der Reihe ist. Die gewürfelte Zahl gibt an, wie viel Holz man in dieser Runde verbauen darf, entweder mit dem exakt zum Würfelergebnis passenden Holzstein oder stattdessen mit zwei Holzsteinen, die zusammen die gewürfelte Zahl ergeben. Durch das Setzen der Hölzer entsteht nach und nach ein Bauwerk mit bis zu zehn Ebenen. Jede Spielerin und jeder Spieler versucht dabei, eine Treppe für die eigene Figur zu bauen, um mit ihr möglichst als Erste oder Erster ganz oben anzukommen. Nutzen darf man dabei alle Holzsteine, auch jene der Mitspielenden.

Der Weg nach oben ist allerdings voller Tücken. So kann es vorkommen, dass gewünschte Holzsteine, die es nur in beschränkter Anzahl gibt, bereits verbaut sind. Das zwingt dazu, andere mögliche Längenkombinationen zu wählen, was unter Umständen längere Wege und damit Zeitverlust bedeutet. Aufpassen muss man auch auf die lieben Mitspielenden, damit sie einem mit ihren Steinen nicht die Direttissima verbauen, die man von langer Hand geplant hat. Das sind dann die Überraschungen, die man als Taktiker liebt…

Wo bleibt denn da die Mathematik? Die ist zwar hinterlegt, aber man realisiert beim Spielen überhaupt nicht, dass es hier wie in «Pharao Code» um das Kombinieren von Zahlen geht. Man konzentriert sich voll auf das Bauen, man «rechnet» und vergleicht dabei mit dem Auge, nicht mit dem Lineal bzw. mit Zahlen. Sind Zahlenjongleure bei «Pharao Code» immer im Vorteil, ist «Talo» ausgewogener und aus diesem Grund als Familienspiel geeigneter. Wer mit einem Spiel den Umgang mit Zahlen fördern will, ist mit «Pharao Code» gut bedient, während man mit «Talo» als Spieler besser auf die Rechnung kommt.

Pharao Code: Zahlen-Reaktionsspiel von James Lim für 2 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Verlag Amigo (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil). Fr. 24.90.

Talo: Würfel-Bauspiel von Uta Krüger, Bernd Poloczek und Jens-Peter Schliemann für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 7 Jahren. Verlag Drei Hasen in der Abendsonne (Vertrieb Schweiz: Simba/Dickie, Schlieren), Fr. 55.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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