Kommentar

Der Spieler: Das lange Warten auf den 13. Juli

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Die Jury «Spiel des Jahres» hat die Nominierungslisten 2014 veröffentlicht. Noch selten war das Rennen so offen wie dieses Jahr.

13. Juli 2014: Dieser Sonntag ist in vielen Agenden auf der ganzen Welt als «Spiel des Jahres»-Tag markiert. Nur verstehen nicht alle das gleiche darunter: Während Millionen von Fussball-Fans das Finale der Weltmeisterschaft in Brasilien meinen, warten unzählige spielbegeisterte Menschen auf den Entscheid, den die Kritikerjury «Spiel des Jahres» gleichentags in Berlin fällt (aber erst am nächsten Morgen, dem 14. Juli, bekanntgibt).

Der Kreis der Titelanwärter ist bei den Spielen um einiges kleiner als in der Fussball-Endrunde. Je drei Titel hat die Jury für das «Spiel des Jahres» und für das «Kennerspiel des Jahres» nominiert. Das an der roten Auszeichnung erkennbare «Spiel des Jahres» ist vom Anspruch her ein Familienspiel und richtet sich an ein breiteres Publikum. Das «Kennerspiel des Jahres» (anthrazitfarbiges Logo) ist für erfahrene Spielerinnen und Spieler gedacht, die sich auch von einer umfangreicheren Spielanleitung nicht abschrecken lassen und komplexere Herausforderungen suchen. Daneben verleiht die Jury als dritten Preis auch noch das «Kinderspiel des Jahres», mit dem ich mich hier aber nicht beschäftige.

Kamelrennen und Diamantenhandel

Die drei zum «Spiel des Jahres» nominierten Titel unterscheiden sich in bezug auf Charakter und Inhalt sehr stark voneinander. Das spassigste von allen ist «Camel Up» von Steffen Bogen. Thema ist ein Kamelrennen, das nach Angaben auf der Verpackung so verrückt ist, dass sogar die Pyramiden auf dem Kopf stehen. Wer’s glaubt, wird selig. Spannend ist es auf jeden Fall, weil man auf die Kamele Wetten abschliesst, sowohl auf die besten als auch auf die schlechtsten. «Camel Up» ist bei ‹eggertspiele› erschienen, was insofern erstaunlich ist, als dieser Verlag sich bis jetzt vor allem einen Namen mit der Publikation von eher komplexen Spielen gemacht hat.
Während «Camel Up» von Gaëtan Beaujannot und Alain Rivollet mit der Cover-Illustration auf Witz macht, gibt sich das Kommunikationsspiel «Concept» mit seinem edlen Design eher intellektuell. Das bei Repos Production erschienene Spiel wartet mit einer Innovation auf: Mit Piktogrammen, die an Smartphone-Apps erinnern, müssen Begriffe illustriert werden, was für kreative Menschen eine tolle Herausforderung darstellt.
In eine völlig andere Welt entführt «Splendor» von Marc André: Spielerinnen und Spieler schlüpfen in die Rolle von Diamantenhändlern zur Zeit der Renaissance. Man erwirbt Minen, etabliert Transportrouten, heuert Diamantenschleifer an und eröffnet Schmuck-Boutiquen. Auffallend ist die Top-Ausstattung dieses bei Space Cowboys publizierten Titels.

Wer wird von diesen drei nominierten Spielen das Rennen machen und die begehrte Auszeichnung «Spiel des Jahres» gewinnen? Es gibt keinen Kronfavoriten. Wertet die Jury Spielwitz und -spass sehr hoch, dann müsste es «Camel Up» sein. Misst sie jedoch dem Aspekt der Innovation mehr Bedeutung zu, dürfte die Wahl auf «Concept» fallen, während «Splendor» in die Kränze kommen könnte, sofern das Wahlgremium das breite Publikum auf ein spannendes Taktikspiel mit hervorragender Ausstattung besonders aufmerksam machen möchte. Kam für mich im vergangenen Jahr ein einziges unter den nominierten Spielen in Frage («Hanabi»), so bin ich diesmal sehr offen: Egal, welcher Titel «Spiel des Jahres» wird, ich werde ihn mit Freude Anfang Oktober an der Suisse Toy in Bern erklären.

Schneider als ungewöhnliches Spielthema

Alle drei zum «Kennerspiel des Jahres» Nominierten sind von der Sache schwergewichtiger und komplexer als die so genannten roten Spiele. In «Concordia» von Walther Gerdts tauchen wir in die antike Welt des Römischen Reiches ein und bringen mit unseren Aktivitäten die Wirtschaft des Imperiums rund ums Mittelmeer zum Brummen. Wie bei allen Kennerspielen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedene Möglichkeiten, ins Geschehen einzugreifen und es womöglich in für sie günstige Bahnen zu lenken. Der Glücksfaktor ist gering, alles hängt von den strategischen und taktischen Fähigkeiten der Spieler ab.
Das gilt auch für «Istanbul» von Rüdiger Dorn, in dem die Kaufleute mit ihren Gehilfen durch das Basarviertel der Stadt am Bosporus eilen. Der Konkurrenz immer einen Schritt voraus, lautet ihre Devise. Um dies umzusetzen, braucht es kluge Planung, sonst werden die Wege zu lang.
«Rokoko» von Mathias Cramer, Louis Malz und Stefan Malz schliesslich wartet mit einem äusserst ungewöhnlichen Thema auf: Die Spielenden sind Schneider, die einen eigenen Betrieb mit Lehrlingen, Gesellen und Meistern führen. Sie besorgen den Einkauf von Stoffen, das Nähen, Verkaufen und Vermieten von Ballroben und sie sind auch noch für die Ausstattung der Festräumlichkeiten zuständig. Ein Riesenprogramm, das auch für erfahrene Spielerinnen und Spieler eine grosse strategische und taktische Herausforderung darstellt.

Wie schon beim «Spiel des Jahres» ist auch beim «Kennerspiel» das Rennen um den begehrten Titel völlig offen. Verdient hätte ihn jedes der drei nominierten Spiele, was auch heisst, dass das Niveau in diesem Bereich generell sehr hoch ist und die Qualitätsunterschiede äusserst minim sind.

Spielerinnen und Spieler haben den Fussball-Fans etwas voraus: Sie können die Wartezeit bis zum Entscheid aktiv überbrücken, indem sie sich intensiv mit den Titelanwärtern zusammen- oder eben auch auseinandersetzen. Die Anhänger des runden Leders dagegen müssen warten und sich mit Meldungen über den Gesundheitszustand ihrer Lieblinge und die Stimmung in den Vorbereitungslagern begnügen. Wie mager im Vergleich zu einer fetzigen «Camel Up»-Runde oder einem intensiven Schneider-Arbeitstag in «Rokoko»!


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»,

Zum Infosperber-Dossier:

Synes_Ernst 2

Der Spieler: Alle Beiträge

Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.