chinesischername

Kwok Yuen Yorke kann jetzt seinen Namen schreiben © Jc/Flickr/cc

Die mutigen Drachen sterben langsam aus

Peter G. Achten /  In China nehmen ausgefallene Vornamen überhand. Das chinesische Parlament ruft Eltern auf, «die soziale Moral zu respektieren».

Familien- und Vornamen sind in der Volksrepublik China eine delikate Angelegenheit. Das Namensrecht ist durch Verfassung und Gesetz geregelt, doch bei 1,37 Milliarden registrierten Chinesinnen und Chinesen gibt es immer wieder bürokratische Probleme. Die Familiennamen, zum Teil mehrere Tausend Jahre alte Clan- und Sippennamen, werden üblicherweise vom Vater auf die Kinder übertragen. Die Eltern können dem Kind aber auch den Familiennamen der Mutter geben. Diese Wahl kann jederzeit geändert werden, auch durch das Kind selbst wenn es volljährig ist. Das macht die Sache kompliziert.

Hinzu kommt: In China gibt es nur etwas mehr als 700 Familiennamen. Etwa ein Viertel aller Chinesinnen und Chinesen heissen Zhang, Wang oder Chen. Wird zu den drei erwähnten Namen noch Li und Liu hinzugefügt, teilen sich 450 Millionen Chinesen nur fünf Familiennamen. Oder anders ausgedrückt: Rund die Hälfte aller Chinesen teilen sich nur etwa zwanzig sehr häufig vorkommende Namen.
Der Ständige Ausschuss der Nationalen Volkskongresses (Parlament) hat jetzt die junge Generation aufgerufen, «die soziale Moral zu respektieren» und sich an die traditionellen Familiennamen als «kulturelles Symbol und Teil der chinesischen Sozialstruktur» zu halten. Mit andern Worten: Häufiger Namenswechsel ist der sozialen Stabilität abträglich, weil das den Familienzusammenhalt unterminiert. Professer Yan Dawen von der Pekinger Volksuniversität Renmin Daxue doziert: «Die Familie ist noch immer die Grundzelle der Gesellschaft.» In der Tat. Laobaixing – übersetzt: die hundert alten Familiennamen – sind ein gut gehütetes kulturelles Erbe. Der Begriff Laobaixing ist mittlerweile in den allgemeinen chinesischen Wortschatz eingegangen und bedeutet in etwa dasselbe wie im Deutschen «Otto Normalverbraucher» – also der ganz normale Durchschnittsbürger.

Die junge Generation hält sich im grossen Ganzen an die vom Nationalen Volkskongress postulierten Richtlinien für Familiennamen, allein schon wegen des konfuzianisch geprägten Familiendrucks. Umso kreativer ist man bei der Wahl des Vornamens beziehungsweise des persönlichen Namens. Dieser folgt stets nach dem Familiennamen, der in China immer an erster Stelle steht. Darin widerspiegelt sich auch das grundsätzliche chinesische Denken: Chinesinnen und Chinesen definieren sich in erster Linie über die Gruppe und nicht vom Individuum her.
Die Freiheit bei den chinesischen Vornamen ist fast grenzenlos. Der persönliche Name kann im Prinzip aus allen Elementen des allgemeinen Wortschatzes bestehen. Berge, Blumen, Ereignisse, Städte, Länder, Wetter, Charaktereigenschaften, Jahreszeiten und vieles mehr stehen zur Auswahl. Eltern der jungen Generation geben ihren Sprösslingen gerne möglichst unverwechselbare, originelle Vornamen. Besonders Hongkong-Chinesen fügen ihrem Namen häufig einen englischen Vornamen hinzu. Diese Praxis ist mittlerweile auch im übrigen China verbreitet. Einer meiner Bekannten zum Beispiel, ein Fan des amerikanischen Schauspielers Tom Hanks (Forrest Gump), setzt seinem chinesischen Familien- und Vornamen stolz ein Forrest hinzu.
Viele Eltern wählen für ihr Kind einen Namen, der ihre Wünsche ausdrückt, zum Beispiel Reichtum, Glück oder langes Leben. Manche Namen widerspiegeln auch den Zeitgeist und politische Rahmenbedingungen. Beliebte Vornamen waren einst etwa «Liebe das Vaterland», «Aufbau der Nation», «Liebe die Partei», «Verehre Mao», «Mutig» oder «Tugendhaft». Nach wie vor beliebt sind Namen mit den Schriftzeichen für Drache oder Phoenix – beides Glückssymbole in China. Gerne übernommen werden auch die Namen alter Dichter, Helden oder verdienter Staatsmänner.
Die Liste liesse sich schier endlos fortsetzen. Die chinesische Praktik wäre – ins Schweizerische übertragen – etwa so, wie wenn Ihr Korrespondent nicht Peter sondern zum Beispiel Anbauschlacht Achten oder Minger Achten hiesse. Junge Schweizer und Schweizerinnen könnten etwa Ogi Müller oder Sommernacht Widmer heissen. Ebenfalls möglich wären Internet Meier oder WhatsApp Müller.

Genug des grausamen Spiels. Denn auch in China ist bei Vornamen zwar viel, aber nicht alles erlaubt. «Exotische Vornamen», so die chinesischen Parlamentarier, «sind zu vermeiden». Denn, so bemerkt Professor Ma Yinan von der Pekinger Eliteuniversität Beida durchaus korrekt, «ausgefallene Namen bringen Unannehmlichkeiten». So werden in China zum Beispiel Vornamen in lateinischen Buchstaben nicht registriert. Ein ganz Schlauer wollte seinen Sprössling sogar @ nennen. Bei aller Originalität ging das dann aber zu weit.

PS: Firmen oder Personen, die in China tätig sind, erhalten natürlich chinesische Namen. Dabei werden nicht einfach die westlichen Silben in chinesische Laute übersetzt. Die hohe Kunst besteht darin, den chinesischen Namen einigermassen so klingen zu lassen, wie der ursprüngliche westliche Name. Gleichzeitig sollte er aber auch etwas Positives bedeuten. Coca-Cola zum Beispiel heisst auf Chinesisch Ke-kou-ke-le, was so viel heisst wie «es schmeckt herrlich». Ihr Korrespondent wiederum heisst auf Chinesisch echt poetisch A He-teng, übersetzt «der Kranich, der sich in die Lüfte erhebt».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

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Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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Eine Meinung zu

  • am 1.12.2014 um 20:20 Uhr
    Permalink

    Das ist ein interessanter und wirklich hübscher, ja poetischer Artikel, Herr A-he-teng!

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