Ausschaffung

Ausschaffung à la SVP © SVP

«Pfefferscharf» gegen Menschenrechte II/II

Jürgmeier /  Schwarze Schafe raus. Sagt die SVP. Aber wären potenzielle Opfer nicht sicherer, wenn sie hierzulande weiss gewaschen würden?

  • Lesen Sie hier, falls verpasst, den ersten Teil von «‹Pfefferscharf› gegen Menschenrechte»

Wäre es bei der Durchsetzungsinitiative nur um kriminelle AusländerInnen beziehungsweise die detaillierte Verankerung der Zweiklassen-Justiz in der Verfassung gegangen, das Resultat am letzten Wochenende, so ist zu vermuten, wäre ein anderes gewesen. Denn, so Hansi Voigt, Chefredaktor von Watson: «Keiner will kriminelle Ausländer.» Alle wollen nur echte Schweizer VerbrecherInnen.

«Keiner will kriminelle Ausländer»

Als der Zürcher SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt hier geborene «AusländerInnen» vom Ausschaffungsautomatismus befreien wollte – «Secondos gehören zu unserer Rechts- und Sozialgemeinschaft. Aus dieser können und sollen wir Menschen nicht ausschliessen.» (Blick online, 3.1.2016) – sprach Christoph Blocher, vom Tages-Anzeiger darauf angesprochen, ein Machtwort: «Zu unserer Rechts- und Sozialgemeinschaft gehört es auf jeden Fall nicht, Verbrechen zu begehen.» Kriminalität – ganz & gar unschweizerisch.

Roger Köppel gibt sich am Tag der Ablehnung der Durchsetzungsinitiative erfreut über den in der Schweiz noch nie da gewesenen Konsens, «dass schwer kriminelle Ausländer ausgeschafft werden müssten» (Tages-Anzeiger, 29.2.2016). In der Weltwoche 2/2016 rechnet er vor: «Die Schweiz hat ein Problem mit der Ausländerkriminalität. Mehr als sieben von zehn Gefängnisinsassen sind Ausländer, zwei weitere höchstwahrscheinlich erst vor kurzem Eingebürgerte…» Nach Köppelschem Einmaleins ist gerade mal ein halber von zehn Inhaftierten ein richtiger Schweizer, und der hat bestimmt eine Grossmutter aus Transsylvanien oder einen Onkel in Alaska. Kriminalität ist etwas Importiertes. Wir exportieren nur Käse, Uhren & Schokolade. Und natürlich Waffen.

Schwarze & weisse Schafe & Zebras

Das von der SVP erstmals in den Wahlen von 2007 und seither (auch im Abstimmungskampf über die Durchsetzungsinitiative) in Variationen immer wieder verwendete Bild – auf dem unter dem Motto «Sicherheit schaffen» ein schwarzes Schaf aus dem roten Feld mit weissem Kreuz bugsiert wird, so dass nur noch drei weisse Schafe auf eidgenössischem Boden zurückbleiben – suggeriert, die Schweiz werde durch Ausschaffung krimineller Ausländer in «Mein Zuhause» verwandelt und da sei der Mensch geschützt vor Gewalt sowie anderen Bedrohungen. Diese Vorstellung erfüllt mehr oder weniger bewusste & verbreitete Sehnsüchte.

Das Bild vom schwarzen Schaf provoziert aber auch Empörung und Rassismusvorwürfe. Nur: Die Frage, ob die Metapher des schwarzen Schafes, die keineswegs nur von der SVP verwendet wird, rassistisch sei – weil sie Schwarze als «Böse» ausgrenzt, Weisse als «Gute» ins Zentrum stellt – oder ob das ikonenartige Bild der schwarzen beziehungsweise weissen Schafe gerade nicht rassistisch gedeutet, Menschen schwarzer Hautfarbe nicht mit dem schwarzen Schaf gleichgesetzt werden dürfen – weil auch Menschen schwarzer Hautfarbe weisse, Menschen weisser Hautfarbe schwarze Schafe sein können –, diese Frage lenkt von der tatsächlich rassistischen Vorstellung ab. Was BerufsschülerInnen in der Schweiz lernen, müssten auch die VordenkerInnen der SVP wissen – dass Schweizer BürgerInnen dank ihrer staatsbürgerlichen Rechte in jedem Fall vor Ausschaffung geschützt sind und folglich sämtliche schwarzen Schafe mit Schweizer Pass auf eidgenössischem Boden bleiben. Dass sich auf dem SVP-Plakat im Schweizer Ländchen nur noch weisse Schafe tummeln, nachdem das schwarze fremde Schaf ausgeschafft ist, dass also unterstellt wird, SchweizerInnen seien unisono weisse Schafe – das ist die rassistische Denkfigur.

Die Schäfchenplakate der SVP sind die perfekte Illustration der in psychologischen Lehrbüchern beschriebenen Projektion des Dunkeln beziehungsweise eigener Abgründe auf das Fremde. Während Menschen grundsätzlich eine so genannte Zebrastruktur haben, versuchen sowohl Individuen als auch Kollektive, sich als weisse Zebras beziehungsweise Schafe zu konstruieren, aber «die Phantasie vom weissen Zebra», schreibt Thomas Auchter in seinem Essay «Angst, Hass und Gewalt» (Thomas Auchter u.a.: Der 11. September, Giessen: Psychosozial-Verlag, 2003), «ist nur aufrechtzuerhalten, wenn ich alles Schwarze von mir auf den anderen übertrage. Er muss als Müll-Container für alles Negative bei mir selbst Abgelehnte dienen.» Erst die Leugnung der Zebrastruktur, das heisst, zum Beispiel, eigener Potenziale zur Gewalt, ermöglicht die stereotypisierende und stigmatisierende Denkfigur der «Ausländerkriminalität» beziehungsweise der fremden Gewalt. Wo die Gewalt zur Gewalt der Fremden wird, erscheint das Leben unter Einheimischen & Vertrauten, das Leben im «eigenen» Land als sicher. 

Schwarze Schafe – weiss waschen statt ausschaffen

Natürlich ist die Schwarz-Weiss-Formel, die Vorstellung, Fremde seien kriminell, wir nicht, Ressentiment, nicht Realität. Zum einen werden die wenigsten Fremden zu VerbrecherInnen, zum anderen gibt es auch kriminelle SchweizerInnen. Vor allem Männer, seltener Frauen. Das ist in allen Ländern & Kulturen so. Aber selbst wenn zutreffen sollte – was nicht sozialer Wirklichkeit entspricht, sondern blosses Vorurteil ist –, müsste danach gefragt werden, warum AusländerInnen (abgesehen von so genannten KriminaltouristInnen), warum Menschen fremder Nationalität – die mit unterschiedlichsten Aufenthaltsbewilligungen in der Schweiz leben, aufwachsen und/oder geboren werden – im Gegensatz zu verbrieften EidgenossInnen straffällig & verurteilt werden; was in unseren Verhältnissen mit ihnen geschieht, dass sie unter uns zu VerbrecherInnen oder zumindest eines Verbrechens beschuldigt werden. (Bekanntlich werden bestimmte soziale beziehungsweise kulturelle Gruppen von der Polizei häufiger überwacht, verdächtigt und verfolgt als andere.)

Denn es sind – trotz aller postulierten individuellen Entscheidungsfreiheit & Selbstverantwortung – immer auch gesellschaftliche, also unsere sozioökonomischen Verhältnisse, die Menschen in ihre Biografie stürzen. «So weit und so tief geht unsere Verantwortung für den Mörder, der aus unserer Mitte kommt», bringt es Arno Plack in seinem Buch «Wie oft wird Hitler noch besiegt» (Düsseldorf: Erb Verlag, 1982) auf den Punkt, «dass wir die Bedingungen überprüfen, unter denen er aufgewachsen ist. Wir müssen uns fragen, ob nicht im Gesamtzusammenhang unserer Werte Ideale und Lebensziele wie der tatsächlich gelebten sozialen Wirklichkeit ein Sprung ist, eine Lücke klafft, aus der das Unheil mit psycho-logischer Notwendigkeit hervorquillt – und jederzeit wieder hervorbrechen kann.»

Die Erweiterung individualistischer Denkfiguren sind wir nicht nur den TäterInnen schuldig, sondern vor allem möglichen Opfern. Das Ausschaffen oder lebenslängliche Wegsperren einzelner, bereits zu TäterInnen Gewordener wiegt potenziell Gefährdete in falscher Sicherheit. Systemisches Denken, Denken in Zusammenhängen und Interdependenzen von Individuum & Umwelt, wie es in soziologischen, ökonomischen, ökologischen, pädagogischen sowie therapeutischen Zusammenhängen praktiziert & propagiert wird, kann & darf bei Gewalttaten beziehungsweise anderen Verbrechen nicht selektiv aufgegeben werden, nur weil es uns in Unerträgliches verwickelt. Erst wenn die sozialen Bedingungen, die Kriminalität & VerbrecherInnen hervorbringen, überwunden werden, sind wir sicher. Sonst gilt, was Bertolt Brecht, mit Blick auf den Nationalsozialismus, schrieb: «Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.»

In Zeiten der Globalisierung ist der Landesverweis von Secondos und anderen ihrer Ursprungsheimat Entfremdeten, ist der Rückgriff auf papierne Staatszugehörigkeiten ebenso anachronistisch wie (Spezialfall Schweiz) der Eintrag des bedeutungslos gewordenen Heimatortes in Pässen & Identitätskarten. Und vor allem: Wo ist die Chance für eine erfolgreiche «Resozialisierung» von kriminell Gewordenen nach Absolvierung der «normalen» Strafe grösser – in der Schweiz, wo sie (zumindest teilweise) integriert sind, oder in einem Land, das sie nur aus den Ferien beziehungsweise Reiseführern kennen? Ist uns der Schutz potenzieller Opfer in jenen fremden Ländern gleichgültig? Müssten wir die bei uns zu VerbrecherInnen Gewordenen (oder die, wenn es das geben sollte, genetisch Kriminalisierten) nicht «einschweizern», in unsere sozialen Verhältnisse – die wir für die besten der Welt halten – integrieren? Müssten wir nicht auf die befriedende & zivilisierende, ja, «heilende» Kraft des «Sonderfalls Schweiz» vertrauen – die auch die schwärzesten Schafe weiss wäscht – statt Menschen in Staaten auszuschaffen, denen wir (zu Recht) unterstellen, sie würden die emanzipatorischen Werte der Aufklärung, Menschenrechte sowie den zivilisatorischen Gewaltverzicht nicht respektieren, sie seien ein Nährboden für Verbrechen aller & fürchterlichster Art. Weil es, wenn alle «SchweizerInnen» würden, keine Kriminalität mehr gäbe und die potenziellen Opfer endlich sicher vor sexueller, häuslicher sowie anderer Gewalt wären – bis ans Ende ihrer Tage.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

4 Meinungen

  • am 4.03.2016 um 12:29 Uhr
    Permalink

    Der Titel von Arno Placks Buch ist inkorrekt. Er heißt richtig: Wie oft wird Hitler noch besiegt.
    Freundlichen Gruß

    Kurt Schwob

  • am 4.03.2016 um 12:42 Uhr
    Permalink

    Die geradezu rassistische Unterscheidung in schwarze und weisse Schafe ist das eine, dass jedoch insgesamt die Bevölkerung als blökende Schafe und Herdentiere dargestellt wird, mag ev. für SVP-Wähler, die blindlings ihren «Führern» folgen zutreffen, dass sich der Rest der Schweizer Bevölkerung gegen diese Etikettierung nicht wehrt ist erstaunlich!

  • am 5.03.2016 um 08:13 Uhr
    Permalink

    Hass, der zu psychischer und physischer Gewalt bis hin zu Krieg führen kann, fruchtet einzig in der willkürlichen Unterscheidung zwischen Gut und Böse; zwischen moralisch vorbildlich und moralisch verwerflich.
    Rassistische Motive bilden keinen eigentlichen Grund für Hass, sie sind lediglich äussere Erkennungsmerkmale für viel tiefer liegende, egoistische Gründe.
    Rassistische Motive dienen dazu, das «Schlechte» «dingfest» zu machen. Nur so kann sich das Ego konkret über andere stellen.

    Mitnichten ehrenvoller sind allerdings auch alle anderen Motive, welche eine künstliche Unterscheidung machen zwischen sich selbst als einem guten, sozial denkenden und intelligenten Menschen im Gegensatz zu diesen bestimmten anderen, die doch alle soooo tief unter dem eigenen Niveau liegen.

    Nichts liebt das Ego mehr, als sich über andere stellen zu können – was in dieser Künstlichkeit (und es ist immer künstlich, da niemand mehr wert ist als jemand anderes) nur durch das willkürliche Schlechtmachen anderer überhaupt möglich ist.

    Für dieses beliebte Spiel gibt es keine Grenzen. Alle Arten von Vorhaltungen und Kleinmachen der «Schlechtmenschen» scheinen erlaubt, welche sich gefälligst schon gar nicht erdreisten dürfen, sich beleidigt zu fühlen. Sie sollen nur endlich nach dem eigenen, überlegenen Weltbild tanzen.

    Glücklicherweise gibt es auch moralisch Angegriffene, die nicht auf diese «verführerisch» ausgelegte Eskalationsschiene aufsteigen; wie zB die allermeisten SVP-ler.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...