Kommentar

Auch der Ständerat auf Abwegen

Beat Allenbach © zvg

Beat Allenbach /  Beim Asylgesetz spricht man auch in der Kleinen Kammer aneinander vorbei. Wenigstens die Bundesrätin sollte gehört werden.

Die Kleine Kammer hat am Mittwoch den Fehlentscheid des Nationalrats korrigiert: Asylsuchende werden während ihres Verfahrens weiterhin Sozialhilfe erhalten. Im Vergleich zur hier lebenden ausländischen Bevölkerung ist die Zahl der Asylsuchenden klein, doch eine Minderheit von ihnen macht Schlagzeilen wegen arrogantem und kriminellem Verhalten; darunter leiden auch die andern Asylsuchenden. Das Klima ist emotionell aufgeladen, aber gleichwohl sollten die Politiker, welche die Gesetze gestalten und beraten, einen kühlen Kopf bewahren.

Die staatspolitische Kommission des Ständerats hat im Zusammenhang mit Nothilfe oder Sozialhilfe für Asylsuchende u.a. die Kantone angehört, und den nicht durchdachten und widersprüchlichen Gesetzesartikel des Nationalrats zurechtgebogen. In diesem Punkt wurde die Kleine Kammer ihrem Ruf als «chambre de réflexion» gerecht; sie hat mit ihrem Entscheid eine grosse Verwirrung und Ungerechtigkeit verhindert. Vor allem ihre Kommission hat für die Revision des Asylgesetzes eine grosse und weitgehend sorgfältige Arbeit geleistet. Aber auch die Kleine Kammer hat zeitweise den Kopf verloren. Dazu ein Beispiel.

Starke Argumente gegen die Dringlichkeit

Der Flüchtlingsbegriff – ein Kernpunkt im Asylrecht – wurde präzisiert. Danach sollen Wehrdienstverweigerer und Deserteure nicht mehr Asyl erhalten. Der Nationalrat hat diese Einschränkung verlangt, weil die Zahl der Asylgesuche von jungen Männern aus Eritrea stark gestiegen ist. Diese Änderung hat jedoch praktisch keine Wirkung, denn Menschen, z.B. Deserteure, denen in ihrem Land eine unmenschliche Strafe wie z.B. Folter droht, erhalten gleichwohl Asyl: Sie dürfen aufgrund der Flüchtlingskonvention nicht in ihr Land zurückgeschickt werden. Das Parlament begnügte sich nicht mit dieser Änderung: es hat die praktisch wirkungslose Bestimmung dringlich erklärt, d.h. der abgeänderte Flüchtlingsbegriff soll sofort nach Annahme durch National- und Ständerat in Kraft treten. Das bedeutet, dass die Volksrechte «vertagt» werden, denn ein Referendum kann erst nach Ablauf der Dringlichkeitsfrist von einigen Jahren ergriffen werden.

Gegen diesen Vorschlag wehrten sich im Ständerat nicht nur Sozialdemokraten und Grüne. Der freisinnige Neuenburger Raphaël Comte erinnerte daran, dass gemäss Verfassung nur ausnahmsweise, sofern eine Dringlichkeit bestehe, ein Gesetz dringlich erklärt werden könne. Dass die Mehrheit möglichst keine Differenzen zum Nationalrat schaffen wolle, sei verständlich, sagte Comte, doch wenn der Nationalrat mit seinem Entscheid die Bundesverfassung missachtet habe, dann müsse der Ständerat eingreifen. Der Neuenburger zitierte die entscheidenden Sätze eines Gutachtens aus dem Justizdepartement, wonach die Dringlichkeit in diesem Fall eindeutig nicht gegeben ist. Comte findet es unhaltbar, wenn aus politischen Erwägungen – einige Parlamentarier betonten, man müsse ein Zeichen setzen – die Verfassung verletzt werde. Das sei gefährlich, denn der Rechtsstaat sei ein hohes Gut, er dürfe nicht missachtet werden, um Emotionen nachzugeben.

Überzeugende Bundesrätin wird nicht gehört

Bundesrätin Simonette Sommaruga argumentierte mit gleicher Klarheit und Sachlichkeit. Die vom Parlament gewollte neue Fassung des Flüchtlingsbegriffs ändere an der heutigen Praxis nichts, und gerade deshalb sei die Dringlichkeit gemäss Bundesverfassung nicht gegeben. Als hätte die Mehrheit der Ständeräte Wachs in den Ohren, sie hörten die Argumente nicht, sie hielten an ihren vorgefassten Meinungen fest und bejahten die Dringlichkeit. Die Parlamentarier wiegen sich in der Illusion, auf diese Weise dem Unmut im Volk Rechnung getragen zu haben, sie wollten zeigen, dass sie die Bevölkerung ernst nehmen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Dringlichkeitsentscheide wecken Erwartungen im Volk, dass sich die Lage bald verbessere. Es wird sich jedoch gar nichts ändern. Mit andern Worten: Mit dem Vorwand, das Volk ernst zu nehmen, führt man es mit einer solchen «Zeichen»-Politik hinters Licht. So verspielen National- und Ständerat ihre Glaubwürdigkeit.
Trotz der emotionsgeladenen Atmosphäre gibt es in der französischen Schweiz Freisinnige und Christdemokraten, die in der Asyldiskussion einen kühlen Kopf bewahren und kristallklar argumentieren, wie das im Ständerat der Fall war. Ihre Kollegen aus der deutschen Schweiz hingegen verlieren den Kopf, wenn es ums Asylgesetz geht. Glauben sie wirklich, dass es ihnen etwas bringt, wenn sie ihrem Angstgegner nacheifern, der kompromisslosen SVP, die nach jedem Entgegenkommen ihre Forderungen noch höher schraubt?


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5 Meinungen

  • am 15.09.2012 um 12:48 Uhr
    Permalink

    Natürlich wird hier einmal mehr unterschwellig die SVP kritisiert, ein gewohntes Bild leider … !

    Sie sagen :

    „…Die vom Parlament gewollte neue Fassung des Flüchtlingsbegriffs ändere an der heutigen Praxis nichts … Dringlichkeitsentscheide wecken Erwartungen im Volk, dass sich die Lage bald verbessere… Es wird sich jedoch gar nichts ändern…“

    Genau, das sage ich auch, denn jede „wirksame Verschärfung“ wurde schon im Nationalrat torpediert. Was nach der Marathon Debatte hinten raus kam war ja nur noch blöterliwasser … Ob einer der kriminell veranlagt ist 3 fr. mehr oder nicht pro Tag bekommt ist auch irrelevant, der bleibt ja sowieso wie er ist.

    Schlussendlich hat es sich längst in den betreffenden Ländern herumgesprochen dass wir Schweizer wehrlos am Boden liegen, und dies wird von den professionell geführten Asylanten-Export-Organisationen … weidlich ausgenutzt ! …

    Enorme Ressourcen werden so unnütz verbrannt. Tut mir leid, aber „ mit menschenrechte und Schutz der verfolgten“ hat dies alles nichts mehr zu tun !

  • am 15.09.2012 um 16:24 Uhr
    Permalink

    Die Sandsteuer
    Immer wieder gefällt es den intellektuellen und pseudointellektuellen Journalisten in ignoranter Manier, die Anzahl der Ausländer und die der Asylanten kleinzureden. Dieses Jahr werden insgesamt 30‘000 Asylanten in die Schweiz kommen. Und erfahrungsgemäss wird kaum die Hälfte davon je ausgewiesen werden. Die meisten erhalten ein provisorisches Bleiberecht, mit dem Argument , die Rückführung sei unzumutbar. Die Eriträer zum Beispiel kommen als Fahnenflüchtige Jahr um Jahr in der Anzahl von 2500 – 3500 in die Schweiz (Das macht in 11 Jahren so viel, wie die Stad Zürich derzeit Einwohner zählt) .
    Und mit dem Bleiberecht erhalten sie auch die Möglichkeit, Angehörige zu importieren. Da leben nun diese meist jungen Familien in ihrer Kinderfreundlichkeit und erhalten die Wohnung und den Tagesbedarf bezahlt. Das ist vor allem auch für die Betreffenden eine absolut unwürdige Situation und uns kostet das Millionenbeträge. Und das stellt für die hiesige Bevölkerung ein nicht geringes Aergernis dar.
    Reden wir aber von der Anzahl , die von unseren Journalisten ständig verniedlicht wird, müssen wir auch die Papierlosen hinzu zählen. Das sind Abgewiesene, die abgetaucht, statt ausgewandert sind. Man spricht hier von 80‘000 – 120‘000.—und täglich werden es mehr. Diese Leute werden sehr oft als Billigstarbeitskräfte nicht zuletzt von den Ausländerfeinden missbraucht.
    Es ergibt sich folgende Rechnung: Asylbewerber, die hier im Verfahren stecken und solche mit Bleiberecht und vorläufigem Bleiberecht haben wir in den letzten 10 Jahren ca. 150’00 Menschen aufgenommen. Hinzu kommen die Sans-Papier, nehmen wir mal 100‘000 an (so genau will es offenbar niemand wissen) , ergibt bereits 250‘000 fremdländische Menschen, die nicht mit uns reden können.
    Menschen, die allermeisten ohne jegliche Berufs-Ausbildung, oftmals aus dürftigem Bildungsmilieu, die sich hier munter vermehren und Kinder in die Welt stellen, die in einem sogenannten bildungsfernen Milieu aufwachsen. Was kommt da auf uns zu? Ist diese, unsere Jugend wirklich unsere Zukunft??
    250000 Menschen, die auf dem Asylweg zu uns gekommen sind, von der übrigen Million Ausländern sei hier nicht die Rede, machen bei 7 Mio Schweizer (eingeschlossen die in den letzten 10 Jahren 400‘000 Eingebürgerten, inkl. Einheirat) ergibt das einen Anteil von satten 3,5 %. Das bedeutet: Auf einen Ort wie Affoltern a.A. mit 11‘000 Einwohnern kommen 385 Menschen mit Asylhintergrund und der bekannten Sozialfürsorgeabhängigkeit. Und diese Zahl wird von den Journis noch immer als harmlos bezeichnet. Für sie, in ignoranter Atmosphäre lebend oder schwebend, besteht noch immer kein Handlungsbedarf.

    Fortsetzung unten

  • am 15.09.2012 um 16:25 Uhr
    Permalink

    Fortsetzung

    Punkto Ueberfremdung hätten wäre Folgendes zu unternehmen:
    Wir eruieren per Volksabstimmung, für wie viele Menschen unser Land dereinst gebaut sein soll. Dem Ergebnis entsprechend wird die Zonenordnung festgelegt und rigoros eingehalten.
    Wir haben die Aufgabe, für diese möglichst konstante Einwohnerzahl in jeder Hinsicht stabile und menschenwürdige und im positiven Fall auch freudvolle Verhältnisse und ein liebevolles Zusammenleben zu gestalten.

    Wir verpflichten uns, jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Asylbewerbern aufzunehmen. Ich schlage vor, deren 5‘000. Wir verpflichten uns, diesen Menschen gut zu schauen und wir bemühen uns aktiv, sie zu integrieren. Wir nehmen Abschied vom derzeitig schweinischen Umgang mit den hiesigen Asylanten.
    Wir erlangen die Handlungshoheit im Asylwesen. Asyl erhält nicht der Aktive, der sich vielleicht nicht zuletzt durch finanzielle Mittel und mit Hilfe der Schlepper in die Schweiz durchschlagen kann. Wir helfen proaktiv der geschlagenen und geschundenen Frau in Afghanistan. Damit sei auch ein Wort der Hilfe vor Ort geredet. Wir sollen bestimmen , wer bei uns Einlass und Asylrecht erhält und nicht der Asylant, soll bestimmen, der hier einfach ungefragt auftaucht, die Hände verwirft und nach Asyl schreit.
    Wir respektieren den Vorbehalt breiter Bevölkerungskreise gegenüber der Ueberfremdung. Diese tangiert die Identität der hiesigen Bevölkerung und verletzt in mancherlei Hinsicht das Anciennitäts-Prinzip. Was in 7‘000 Jahren an kultureller Unterschiedlichkeit und Vielfalt auf unserem Planeten herangewachsen ist, darf nicht innerhalb von 50 Jahren verschmolzen werden. Da entstehen Reibungen und Spannungen. Wir alle werden uns auf diesem Planten vermischen, so lange die Schiffe auf See unterwegs sind und die Flugzeuge unsere Kontinente umspannen. Das bedeutet aber nicht , dass wir uns derart kurzfristig zu vermischen hätten. Das muss dosiert erfolgen, um den sozialen Frieden zu wahren und den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich an die verschiedenen Mentalitäten zu gewöhnen und den Umgang damit zu erlernen.

  • am 15.09.2012 um 17:36 Uhr
    Permalink

    @ Hans Roggwiler
    Ganz ihrer Meinung ! Ich möchte nur noch folgendes hinzufügen : Es ist bekannt das Lebewesen welche gezwungenermassen zu eng aufeinander leben müssen bekriegen sich am Ende … Zuviel nähe erzeugt Stress, und an der Volks Stimmung können wir messen dass wir nahe dran sind !
    Ansonsten, Thumbs up … (wie man so sagt) für ihren konstruktiven Beitrag Herr Roggwiler, und hoffen wir dass sich daraus etwas ergibt !

  • am 15.09.2012 um 22:30 Uhr
    Permalink

    Rechnen ist Glückssache
    Unten vom ersten Abschnitt müsste es heissen:
    Innert 10 oder 11 Jaren machen die Eriträer in der Schweiz soviel aus, wie die Einwohnerzahlen von Uster, Chur, Neuenburg oder Freiburg.

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