Kommentar

Bashirs Flucht: Der Westen misst mit zwei Ellen

Erich Gysling © zvg

Erich Gysling /  Sudans Präsident al-Bashir wird weltweit per Haftbefehl als Kriegsverbrecher gesucht. Trotzdem hat Südafrika ihn entwischen lassen.

Keine Frage: Omar al-Bashir, Staatspräsident des Sudan, trägt schwer wiegende Verantwortung für den Tod von Hunderttausenden Menschen in der Darfur-Region. Kein Zweifel darüber, dass sein Staatsapparat tagtäglich Unterdrückung verschiedener Bevölkerungsgruppen praktiziert. Keine Zweifel aber auch zum Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gegen al-Bashir?
Als man noch Witze nach dem Muster von «Radio Erewan» machte, hätte man wohl gesagt: Im Prinzip ja, das heisst, die Ausschreibung al-Bashirs als Kriegsverbrecher ist richtig. Aber in den letzten Jahren, so sahen und sehen das nicht nur Afrikaner, sondern auch Politiker in westlichen Ländern, hat al-Bashir sich als Bollwerk gegen die Gefahr der Ausbreitung des Terrors nach dem Muster des Islamischen Staats und der ash-Shabaab-Milizen im nahe gelegenen Somalia erwiesen. International setzte sich allmählich (stillschweigend, wohl mit schlechtem Gewissen) die Meinung durch, besser ein Brutalo namens al-Bashir an der Macht im Riesenstaat Sudan als ein schwacher Politiker. Denn Sudan ist potentiell ein Opfer der Terroristen-Ideologie. Also geriet die Forderung nach Verhaftung des Diktators allmählich in den Hintergrund.
Heimliche Abreise vor der Festnahme
In manchen Ländern Afrikas konnte (und kann) al-Bashir sich weiterhin frei bewegen. Ich hatte vor sieben Jahren einmal die «Ehre», im Victoria-Falls Hotel in Simbabwe drei Zimmer entfernt von al-Bashir zu nächtigen. Dort fand damals eine Gipfelkonferenz der Comesa, des gemeinsamen Markts des östlichen und südlichen Afrika statt, und al-Bashir war einer der vielen nach europäischem Muster eingekleideten Teilnehmer (schwarzer Anzug, weisses Hemd, Krawatte). Dass Simbabwes Herrscher, Robert Mugabe, seine schützende Hand über ihn halten würde: keine Frage. Auch in anderen Regionen des Kontinents konnte al-Bashir unbehelligt herumreisen – und wahrscheinlich dachte er nun, auch Südafrikas Türen würden ihm für die Ein- wie auch die Ausreise weit offen stehen. Falsch gedacht – Jacob Zuma mag ihm alles Denkbare versprochen haben, aber die Justiz Südafrikas tickt eben nach wie vor anders. Und so blieb dem Sudan-Diktator nur die heimliche, illegale, von Jacob Zuma wohl gebilligte Ausreise im luxuriösen Jet.
Warum keine Anklagen gegen westliche Politiker?
Wir, in Europa, mögen über all das die Köpfe schütteln und uns moralisch empören. Betrachtet man die Sache versuchsweise aus einer afrikanischen Perspektive, sieht es anders aus. Im «schwarzen Kontinent» stellt man, und dies nicht ganz zu unrecht, fest, dass die internationalen Justiz-Gremien die Welt mit ungleichen Ellen messen. Ein westlicher Politiker ist noch nie wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden – auch nicht George W. Bush, der den Irak-Krieg (2003) vom Zaum brach; auch Tony Blair nicht, der bewusst mit Lügen in diesen Krieg mit mindestens 150’000 Toten zog. Wohl aber Verlierer der Balkan-Konflikte und Uhuru Kenyatta, dem Verantwortung für den Tod von etwa tausend Kenyanern im Vorfeld der vorletzten Wahlen vorgeworfen wurde. Der dann aber, mangels Beweisen, doch wieder als freier Mann nach Nairobi zurück reisen konnte.
Wir können, von unserer Warte aus, sozusagen «neutral» argumentieren: Verschiedene Klagen gegen afrikanische Politiker und Militärs wurden bei den internationalen Gerichtshöfen von Afrikanern, nicht von Europäern, initiiert. Stimmt. Aber aus der Perspektive wohl der Mehrheiten in den afrikanischen Ländern bleibt dieses Argument schief: Die Grundlagen des Vorgehens gegen Afrikaner (und Verlierer auf dem Balkan) seien von Europa, seien vom Westen geschaffen worden, lautet da die generelle Meinung.
Und so kommt es, dass in der «Stunde der Wahrheit» (die kann man nicht global definieren, sie ist regional und kontinental unterschiedlich) Südafrikas Populisten-Präsident Zuma den verfolgten al-Bashir entkommen liess. Weil er weiss: Hätte er anders gehandelt, wäre ihm das von einer riesigen Mehrheit in seinem Lande sehr übel angekreidet worden. Und in anderen Ländern in Afrika ebenso.
Die koloniale Vergangenheit ist in Afrika eben immer noch nicht vergangen, sondern Teil der Gegenwart.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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2 Meinungen

  • am 16.06.2015 um 05:58 Uhr
    Permalink

    "Als man noch Witze nach dem Muster von «Radio Erewan» machte, «
    Das macht man aber heute nicht mehr, obwohl die gedruckte Presse hier als vertrauenswürdiger gilt als das Staatsradio/TV.

    MfG
    Werner T. Meyer, Yerevan Armenia

  • am 16.06.2015 um 22:35 Uhr
    Permalink

    Keine Klage gegen westliche Staatsmänner soll es geben.
    Soweit mir recht ist, sind Dick Cheney und Donald Rumsfeld in Spanien zur Verhaftung ausgeschrieben.

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