Kommentar

Syrien: Ein neuer Tiefpunkt

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Der Angriff auf einen Hilfskonvoi spaltet Russland und die USA. Die Chancen für eine neue Waffenruhe in Syrien stehen schlecht.

Stephen O ’Brien, Chefkoordinator für die humanitären Einsätze der UNO, hat völlig recht. Für den feigen und tödlichen Luftangriff auf einen Hilfskonvoi nahe Aleppo «gibt es keine Erklärung und keine Entschuldigung, keinen Grund und keine Rechtfertigung». Doch die von O ’Brien geforderte Untersuchung dieses Kriegsverbrechens dürfte – falls sie denn überhaupt stattfindet – nach allen bisherigen Erfahrungen mit ähnlichen Vorfällen der letzten Jahre in Syrien, im Irak oder in Afghanistan wahrscheinlich im Sande verlaufen.
Ob der Angriff auf die klar und auch aus grosser Höhe gut erkennbar als Hilfskonvoi markierten Lastwagen gezielt erfolgte oder ein Versehen war, ob syrische oder russische Kampfflugzeuge die Bomben abwarfen – all das wird wahrscheinlich nie beweiskräftig geklärt werden. Dasselbe gilt für den ebenfalls tödlichen Luftangriff der US-geführten Koalitionsstreitkräfte zur Bekämpfung des «Islamischen Staats» auf syrische Regierungsstreitkräfte vom letzten Freitag.
Haben, wie manche spekulieren, auf der einen Seite Präsident Assad ohne Zustimmung Moskaus und auf der anderen Seite die Militärs im Pentagon an Obama vorbei die beiden Luftangriffe angeordnet, um die zwischen den Aussenministern Kerry und Lawrow vereinbarte Waffenruhe zu torpedieren? Der eine, weil er weiterhin den militärischen Sieg anstrebt? Die anderen, weil sie die geplante militärische Zusammenarbeit mit Russland bei der Bekämpfung des IS nicht wollen?
Der Krieg geht weiter
Fakt ist: Die beiden Luftangriffe haben den Zusammenbruch der Waffenruhe beschleunigt und besiegelt. Und sie markieren einen neuen Tiefpunkt der Beziehungen zwischen Washington und Moskau seit Ende des Kalten Krieges. Beide Grossmächte haben ihre im Rahmen der Genfer Vereinbarung gemachten Zusagen nicht erfüllt. Entweder weil sie nicht wollten oder – was noch schlimmer wäre – weil sie ihre jeweiligen Verbündeten im Syrienkonflikt nicht (mehr) unter Kontrolle haben.
Für Syrien ist damit die Fortsetzung des Krieges und des Leidens der Bevölkerung um zumindest viele Monate programmiert. Im Ukrainekonflikt und bei anderen bilateralen Streitpunkten zwischen den USA und Russland droht eine Eskalation. Zur Hoffnung auf eine Verbesserung der Beziehungen nach einem Amtsantritt von Trump oder Clinton in Washington gibt es leider keinen Anlass.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

BasharalAssad

Der Krieg in Syrien

Das Ausland mischt kräftig mit: Russland, Iran, USA, Türkei, Saudi-Arabien. Waffen liefern noch weitere.

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4 Meinungen

  • am 21.09.2016 um 11:46 Uhr
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    "ob syrische oder russische Kampfflugzeuge die Bomben abwarfen…» – Also ist es für den Autor schon jetzt klar, dass es ganz sicher syrische oder russische Kampfflugzeuge waren ? Da wär ich mir nicht so sicher. Es gibt einige Faustregeln, die man heutzutage bitte beachten sollte: Wenn bereits wenige Stunden nach einem Angriff oder einem Terroranschlag die Schuldigen genannt werden oder sogar noch eine ID (Anschläge von Paris u.a.) des vermeintlichen Attentäters am Tatort auftaucht, handelt es sich dabei meistens NICHT um die Wahrheit ! Und wenn man sich mal die Zeit nimmt, Bücher zu lesen, die nicht auf Spekulationen beruhen, verändert das oft sein eigenes Wahrnehmungs(welt-)bild. Buchempfehlung: Dr.Daniele Ganser – NATO Geheimarmeen in Europa

  • am 21.09.2016 um 12:17 Uhr
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    Fakt ist: Die UN spricht seit gestern nicht mehr von einem Luftangriff sondern von einem Angriff.
    Fakt ist: Das russische Verteidigungsministerium hat ein Video veröffentlicht, auf dem Drohnenaufnahmen des Angriffs auf den UN-Konvoi in der syrischen Stadt Aleppo zu sehen sind.
    Fakt ist: Diese Tatsachen waren bereits gestern in einigen Tageszeitungen zu lesen. Wieso nimmt der Verfasser des obigen Artikels dies nicht zu Kenntnis?

  • am 21.09.2016 um 18:33 Uhr
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    Vielen Dank für die immer besseren Leser-Beiträge. Mittlerweile lese ich sie auch auf infosperber mehr und mehr und habe oft das Gefühl, dass diese Leserzeilen die Weltlage nicht selten distanzierter und kritischer Beleuchten, als dies die angeblichen »Qualitäts-Medien» tun. Infosperber nicht ganz ausgeschlossen… Trotzdem vielen Dank an infosperber für eure Arbeit. Ich werde euch auch weiterhin unterstützen..

  • am 25.09.2016 um 12:24 Uhr
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    In der Schlussfolgerung (siehe Titel) stimme ich Andreas Zumach zu. In den Details wird vieles vereinfacht.

    Speziell an der letzten „Waffenruhe“ war, dass die Details, auf die sich Lawrov und Kerry einigten, auf Wunsch der USA geheim sind bis heute.

    Am 12.0. verkündeten diverse „moderate» Rebellen den Waffenstillstand abzulehnen. Die Waffenruhe wurde von Beginn an – einseitig – nicht eingehalten.

    Am 17.9. in der Gegend um Deir Ezzor bombardiert die US-Luftwaffe die SAA, als diese im Vormarsch ist gegen den IS .
    Und seit Tagen unterstützt die israelische Luftwaffe in den Golanhöhen die Al-Nusra im Kampf gegen die SAA.

    Zum Angriff des Konvois: Es ist unklar, in welche Richtung er gefahren ist, was er enthalten hat und wie und von wem er bombardiert wurde. Trotzdem wurde von Beginn an die SAA beschuldigt einen Zug mit „Hilfsgütern» bombardiert zu haben.

    Am 22.9 wurde dann der Waffenstillstand von Seiten des offiziellen Syriens als gescheitert und von Seiten Russlands als beendet erklärt.

    Auf diplomatischer Ebene wurde ein Tiefpunkt erreicht.
    Während sich Lavrov wegen Deir Ezzor in der UNO beschwert, verlässt Samantha Power demonstrativ den Raum.
    Wegen des Angriffs des Konvois forderte Kerry gestern eine Flugverbotszone für die SAA und deren Alliierten über Syrien!

    Die Frage ist, ob «der Westen“ bereit ist noch vor den US-Wahlen die „Libyen-Nummer“ nun auch in Syrien durchzuziehen. Und es bleibt offen, wie weit Russland und der Iran gehen würden, um dies zu verhindern.

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