Kommentar

Strafbehörden foutieren sich ums Bundesgericht

Dominique Strebel © zvg

Dominique Strebel /  Kantonale Behörden der Strafverfolgung halten Einstellungsentscheide geheim, obwohl die Verfassung Öffentlichkeit verlangt.

Wenn Strafbehörden ein eröffnetes Strafverfahren einstellen, ist dies ein richterlicher Freispruch. Wird eine solche Verfügung rechtskräftig, kommt dies laut Gesetz einem freisprechenden Endentscheid gleich.
Obwohl die Bundesverfassung öffentliche Urteilsverkündungen verlangt – ausser das Gesetz sehe Ausnahmen vor – halten sich kantonale Strafverfolgungsbehörden nicht daran. In einem neuen Urteil hat das Bundesgericht festgehalten, dass Einstellungsverfügungen mindestens dann öffentlich zugänglich sein müssen, wenn der Entscheid erfolgte, nachdem ein Angeschuldigter eine Wiedergutmachung geleistet, das heisst den Schaden des Opfers gedeckt bzw. das Unrecht ausgeglichen hat. Diesen Entscheid hat der Beobachter publik gemacht. Es ging um eine Verfügung, mit der die Zuger Staatsanwaltschaft im Mai 2010 ein Korruptionsverfahren gegen zwei hochrangige Funktionäre und den Weltfussballverband Fifa eingestellt hatte.
Kantone verstossen gegen die Verfassung

Die Praxis sämtlicher Kantone, solche Einstellungsverfügungen nicht öffentlich aufzulegen, widerspricht somit dem verfassungsmässigen Prinzip der Justizöffentlichkeit (Artikel 30 der Bundesverfassung).

Die Kantone Sankt Gallen, Zürich und Bern, die über den Zugang der Medien zu Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB sogar erst nach einem langwierigen Stellungnahmeverfahren bei den Betroffenen entscheiden, verhalten sich gar doppelt verfassungswidrig.

Offenbar macht dieser verfassungswidrige Zustand den Strafbehörden nichts aus. Sie empfehlen Journalisten, eben einen Pilotprozess zu führen. Doch: Was soll ein Pilotprozess, wenn das Bundesgericht die Rechtsfrage bereits entschieden hat?
Journalisten dürfen nicht kopieren
Genau gleich verhalten sich die Strafbehörden der meisten Kantone (Ausnahme Sankt Gallen) bei der Frage, ob Journalisten von Einstellungsverfügungen oder Strafbefehlen eine Kopie anfertigen dürfen. Die Strafbehörden verbieten das den Medien entgegen einem klaren Präjudiz des Bundesgerichts (Urteil 1P.298/2006 vom 1. September 2006).

So teilte mir der Zürcher Oberstaatsanwalt Martin Bürgisser lapidar mit: »Wir haben die Frage der Kopien damals eingehend besprochen und möchten einstweilen bei unserer Praxis bleiben.”

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Jurist und Journalist Dominique Strebel beobachtet, wie Polizistinnen, Staatsanwälte, Gutachterinnen, Rechtsanwälte und Richterinnen das Recht anwenden. Link zu seinem Blog unten.

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