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Milliardengeschäft mit Medikamente verleitet zu Schmiergeldern © Evans

Novartis in USA wegen Ärztebestechung angeklagt

upg /  Der Konzern bestreitet, Apotheker und Ärzte geschmiert zu haben. Doch die Vorwürfe sind happig. Novartis wäre Wiederholungstäterin.

Erst vor drei Jahren zahlte Novartis eine Busse von 185 Millionen Dollar ans US-Justizdepartement. Mit zusätzlich 237 Millionen Dollar entschädigte der Konzern Zivilkläger wegen Falschanpreisung von Trileptal und fünf weiteren Medikamenten, nämlich Diovan, Zelnorm, Sandostatin, Exforge and Tekturna. Novartis hatte Ärzten und Spitälern für das Verschreiben seiner Medikamente Kickbacks (Geld) bezahlt. Novartis gab zu, unter anderen das Medikament Trileptal gegen Epilepsien auch für weitere, nicht zugelassene Anwendungen empfohlen und vermarktet zu haben. Infosperber hat darüber berichtet.
Neben Busse und Entschädigungen musste sich Novartis in einem «Corporate Integrity Agreement» zu verschiedenen Massnahmen verpflichten, um in Zukunft einen ähnlichen Fall zu verhindern.
Und jetzt dies: Laut Klageschriften der US-Staatsanwaltschaft eines Bezirks von New York, die der Sonntags-Zeitung vorliegen, hat Novartis mehreren Apotheken bereits seit 2005 mussmasslich illegale, nicht weiter gereichte Rabatte in Höhe von 650’000 Dollar gewährt. Über zwanzig Apotheken hätten sich wie «Verkaufspersonal von Novartis verhalten».
Und gleich noch ein Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Novartis habe Ärzte gekauft mit Zahlungen, die als Honorare für Referate kaschiert wurden. Auch «üppige» Essen oder extravagante Freizeitvergnügen habe Novartis Ärzten bezahlt.
Ausgekommen sei das Fehlverhalten dank eines Whistleblowers, der seinen Arbeitgeber im Januar 2011 angezeigt habe.
Weil Novartis als Wiederholungstäterin gälte, drohen dem Konzern besonders grosse Sanktionen. «Novartis riskiert Milliardenbusse», titelte die Sonntags-Zeitung am 28. April 2013. Novartis streitet jedes Fehlverhalten ab.

DIE GROSSEN FÄLLE DER LETZTEN JAHRE
Aus Infosperber-Bericht vom 5.12.2012:
Verschiedene Pharmafirmen mussten in den USA in den letzten Jahren Strafen in Milliardenhöhe zahlen, u.a. weil sie Ärzte und Patienten über Risiken zu wenig informierten. Pharmafirmen wie Pfizer, Novartis, Eli Lilly, GlaxoSmithKline und Merck MSD haben über die Wirkung von Medikamenten ungenügend informiert und andere Arzneimittel illegal vermarktet.
Pfizer hatte sich 2009 schuldig bekannt, das Schmerzmittel Bextra mit illegalen Methoden vermarktet zu haben, und zahlte dem US-Justizdepartement 2,3 Milliarden Dollar.
Eli Lilly bekannte sich 2009 vor einem Bundesgericht in Pennsylvania schuldig, das Psychopharmakum Zypressa für unerlaubte Anwendungen beworben, vertrieben und verkauft zu haben. Lilly willigte in eine Busse von 550 Millionen Dollar ein, wie das US-Justizdepartement bekannt gab. Zudem musste Lilly über 32’000 betroffene Patientinnen und Patienten mit insgesamt über 800 Millionen Dollar entschädigen.
Schuldeingeständnis auch von Novartis
Novartis gab im Jahr 2010 in den USA zu, unter anderen das Medikament Trileptal gegen Epilepsien auch für weitere, nicht zugelassene Anwendungen empfohlen und vermarktet zu haben. «Das ‹Off-Label’Marketing kann die Vertrauensbeziehung zwischen Ärzten und Patienten untergraben», erklärte Zane D. Memeger, Staatsanwalt in Pennsylvania.
Der Konzern zahlte eine Busse von 185 Millionen Dollar ans US-Justizdepartement. Mit zusätzlich 237 Millionen Dollar entschädigte Novartis Zivilkläger wegen Falschanpreisung von Trileptal und fünf weiteren Medikamenten, nämlich Diovan, Zelnorm, Sandostatin, Exforge and Tekturna. Novartis hatte Ärzten und Spitälern für das Verschreiben seiner Medikamente Kickbacks (Geld) bezahlt.

Das US-Justizdepartement hat Merck MSD im April 2012 zu einer Strafe von 322 Millionen Dollar verknurrt, weil die Firma über die Risiken des Schmerzmittels Vioxx ungenügend informiert hatte und Vioxx zudem für illegale Anwendungen empfahl. Bereits im Jahr 2011 hatte Merck MSD eingewilligt, geschädigte Patientinnen und Patienten sowie Gesundheitsorganisationen mit insgesamt 629 Millionen Dollar zu entschädigen. Zuvor hatte Merck MSD mit Vioxx 11 Milliarden Dollar verdient.
«Die Beilegung der zivilen Klagen bedeutet nicht, dass Merck irgend eine Schuld anerkennt», meinte Merck MSD in einem Communiqué.

Der Pharmakonzern GlaxoSmithKline GSK willigte im Juli 2012 in eine Zahlung von drei Milliarden Dollar ein, weil er die Medikamente Avandia und Advair mit irreführenden Angaben beworben hatte.

Klagen gegen Roche wegen Akne-Mittel
Der Schweizer Konzern Roche verkauft das seit den Achtzigerjahren vermarktete Akne-Mittel Accutan und Roaccutan mit dem Wirkstoff Isotretinoin, ohne über die mittlerweilen vermuteten Risiken von Colitis Ulcerosa, Depressionen und Suizide genügend zu informieren. In den USA sind über 7000 Klagen von Geschädigten noch hängig. Viele haben sich in der Accutane Action Group zusammengeschlossen.
Im Juli 2012 verurteilte ein Gericht in New Jersey Roche zum Zahlen von je neun Millionen Dollar an zwei Klägerinnen. Roche hat Rekurs eingelegt. Die europäische Arzneimittelbehörde kam im Juni 2012 zum Schluss, dass Roche Berichte über Risiken von Accutane «systematisch ignoriert» und die Aufsichtsbehörden darüber nicht informiert habe. Die US-Aufsichtsbehörde FDA hat eine ganze Liste von Symptomen aufgelistet, bei deren Auftreten das Akne-Mittel sofort abgesetzt werden soll. In der Schweiz müssen die Krankenkassen diese Akne-Medikamente mit dem Wirkstoff Isotretinoin von Roche und Generika-Herstellern immer noch zahlen.

Letztes Jahr hat die ARD-Sendung FAKT den Suizid eines Akne-Patienten dokumentiert. Roche streitet jeden Zusammenhang ab.

In der Schweiz müssen Konzerne kaum Klagen fürchten

Die Wirtschaftsprüfungfirma KPMG hat nach Angaben in der «NZZ am Sonntag» in einer Analyse festgestellt: «Die Pharmafirmen stehen im Ruf, dass sie ihre kommerziellen Ziele über die Interesssen von Politik, Ärzten und Patienten stellen.»
Über Medikamente wie Vioxx, Zypressa, Trileptal oder Accutan haben die Pharmakonzerne in der Schweiz nicht besser informiert als in den USA. Doch das Schweizer Haftungsrecht greift offensichtlich nicht. Auch das Offlabel-Marketing (Das verbotene Anpreisen eines Medikaments für nicht bewilligte Anwendungen) ist in der Schweiz verbreitet. Doch sowohl Swissmedic wie Bundesamt für Gesundheit blieben und bleiben weitgehend passiv.
Risiken und Schaden tragen die Patientinnen und Patienten. Ein drastisches Beispiel: Wenn man Zahlen des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesens IQWiG auf die Schweiz überträgt, müssen bei uns über 600 Personen an den Folgen des Schmerz- und Rheumamittels Vioxx gestorben sein und Tausende einen Herzinfarkt erlitten haben.
Swissmedic hält sich bedeckt

Es ist nicht bekannt, dass die Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic die erwähnten, von den US-Behörden sanktionierten Marketing- und Werbemethoden auch nur beanstandet, geschweige denn ein Gerichtsverfahren gegen diese Firmen eingeleitet oder eine Strafanzeige erstattet hätten. Sie dürfe sich «zu konkreten Einzelfällen nicht äussern», behauptet Swissmedic in einer Stellungnahme.
Offensichtlich gewichtet Swissmedic die Geschäftsinteressen von Pharmafirmen höher ein als das öffentliche Interesse.
Selbst das Bundesgericht, das auf Betreiben der Swissmedic in einem andern Fall eine Firma wegen Werbung für nicht bewilligte Anwendungen im Jahr 2008 verurteilte, hat das Urteil anonymisiert, so dass der Name des betroffenen Medikaments nicht bekannt wurde.
Die betroffene Firma wurde einzig dazu verurteilt, die rechtswidrige Werbung künftig zu unterlassen und 5000 Franken Gerichtskosten zu zahlen. Eine Busse oder eine Rückforderung von unerlaubt erzielten Gewinnen gab es nicht.
Pharmafirmen riskieren wenig, die Patienten viel
Pharmafirmen können in der Schweiz darauf zählen, dass ihr Name und ihr Produkt nicht in die Schlagzeilen kommen, und dass erst im erwiesenen Wiederholungsfall eine (bescheidene) Busse von höchstens 50’000 Franken droht (Mit den oben erwähnten Medikamenten wurden Milliarden-Umsätze erzielt). Das kommt einer Einladung für die Firmen gleich, den Nutzen ihrer Medikamente zu übertreiben, die Risiken herunter zu spielen, und die Medikamente zudem für Anwendungen zu propagieren, für die sie gar nicht zugelassen sind.
Bei den Pharmakonzernen geht es um Umsatzziele und Boni, bei den Patientinnen und Patienten um Risiken und Nebenwirkungen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor vertritt Patientinnen und Konsumenten in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission EAK.

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

Swissmedic

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Diese BAG-Behörde erlaubt alle Medikamente, deren Nutzen grösser ist als der Schaden. Zu viel läuft geheim.

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5 Meinungen

  • am 29.04.2013 um 12:01 Uhr
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    BRAVO Herr Gasche!! Ich werde das ganz sicher weiterverbreiten. Es ist schon längstens ÜBERFÄLLIG, dass auch hier in der Schweiz die betreffenden Quellen GENAUSTENS unter die Lupe genommen werden. Herzlichen Dank für Ihren Einsatz!

  • am 29.04.2013 um 12:22 Uhr
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    Ausserordentlich gut, dass dieses Thema jetzt veröffentlicht und möglichst weit verbreitet wird. Denn so können griffige Massnahmen im neuen Heilmittelgesetz, das jetzt in den Kommissionen besprochen wird, gleich einfliessen. Denn eigentlich sollte ja auch in der Schweiz das Wohl und der Schutz des Patienten höher gestellt sein als die Umsatzzahlen und Profite der Pharmakonzerne.

  • am 29.04.2013 um 13:36 Uhr
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    Der von Herrn Gasche auf diesem Portal veröffentlichte Artikel zeigt generell auf, wie ‚finanzielle Fehlanreize’ bei der Abgabe und Verschreibung von Arzneimitteln von der Industrie systemisch weltweit angewendet werden. Der eigentliche Skandal stellt hingegen die aktuelle Problematik dar, dass das Einfordern, Anbieten und Gewähren von ‚geldwerten Vorteilen’ oder ‚Schmiergeldzahlungen’ im ‚volkswirtschaftlichen Interesse’ – Sicherung Steuersubstrat, Arbeitsplätze – in der Schweiz in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden, der FMH und den Krankenkassen bei der Revision des HMG’s (2. Etappe) bewusst geduldet, protektioniert, ja sogar noch zusätzlich gefördert wird.

    Denn mit der aktuell vorliegenden HMG-Revision zu Art. 33 verhindert man politisch erneut eine eindeutig definierte Weitergabepflicht ‚geldwerter Vorteile’ zur Wahrung der Behandlungs- und Versorgungssicherheit unserer Patientinnen und Patienten. Diese strebt über Art. 57c nur eine ‚Offenlegungspflicht’ an, ohne hinsichtlich des ‚Vorteilsverbotes’ gemäss Art. 57b die Höhe zulässiger, resp. nicht verordnungsbeeinflussender Rabatte unmissverständlich festzulegen. Damit wird dem Rechtsvollzug die Grundlage zur strafrechtlichen Verfolgung gemäss Art. 86a erneut wirkungsvoll entzogen. ‚Schmiergelder’ sozusagen parlamentarisch geduldet, resp. als ‚Gentleman Delikt’ befürwortet. Sogar die Schweizerische Patientenorganisation SPO, die sich eigentlich für die Versorgungs- und Behandlungssicherheit unserer Patienten einsetzen sollte, distanziert sich aufgrund der vorliegenden Interessenskonflikte Ihrer Präsidentin (EQUAM in Ärztenetzwerken integrierter Versorgung, Managed Care) nicht von diesen missbräuchlichen und verordnungsbeeinflussenden ‚Schmiergeldzahlungen’, die gemäss Art. Art. 400 OR und Art. 33 (altes) oder Art. 57a & 57b HMG (geplantes Recht) der auftragsrechtlichen Rechenschaftsablegung und Herausgabepflicht gegenüber dem behandelten Patienten unterliegen.

    Zusätzliche Informationen zu Retrozessionen im Gesundheitswesen können auf der Facebook-Seite „Faire Medikamentenpreise“ eingesehen oder unter meinem XING- oder LinkedIn-Profil heruntergeladen werden.

  • am 29.04.2013 um 14:20 Uhr
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    Die aktuellen Probleme von Novartis in den USA sollten unsere Sinne für die raffinierte Art schärfen, mit welcher Bundesrat und Parlament in der Schweiz Schmiergeldzahlungen legalisieren wollen: Mit der Revision des Heilmittelgesetzes (HMG) Art. 57 (neu) soll die rechtliche Grundlage dazu geschaffen werden, dass pharmazeutische Firmen den Managed Care Netzen Rabatte in unbegrenzter Höhe anbieten dürfen, wenn sich die Netzärzte im Gegenzug verpflichten, bevorzugt die Medikamente dieser Firma zu verschreiben oder abzugeben. Der Kunstgriff: Die Rabatte werden nicht direkt den Netzen gewährt, sondern an die Krankenkassen gezahlt, die sie dann an die Netze weiterleiten, angeblich zur Förderung der Qualität der Behandlung. Nur: Rabatte (angeblich bis zu 70%) sind wirtschaftlich nie zu rechtfertigen, sondern dienen einzig dazu, das Verschreibungs- oder Abgabeverhalten zum Nachteil der Kranken zu beeinflussen, und es braucht schon eine ziemliche Unverfrorenheit zu behaupten, man bemühe sich gleichzeitig um eine Steigerung der Qualität der Behandlung. Und um den Machenschaften die Krone aufzusetzen: Geregelt werden die Überweisungen der Kassen an die Managed Care Netze in Geheimverträgen.
    Besondere Förderer von Managed Care ist laut ihrem Präsidenten der neu gegründete Kassenverband Curafutura und dabei bekanntlich die Krankenkasse Helsana, welche Managed Care Modelle erst noch unter dem irreführenden Bezeichnung „Hausarztmodell“ anpreist.

  • am 8.05.2013 um 21:31 Uhr
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    Dass viele Mitglieder des USA-Senates in Bestechungsaffäiren im Gesundheitswesen und der Pharmaindustrie verwickelt waren und sind bleibt in diesem Bericht irrelevant? Dass ein Konzern zur Kasse gebeten wird scheint logisch bei Unstimmigkeiten – das ist zu erwarten, dass aber Politiker sich persönliche Schweigegelder in hunderten von Millionen Dollars u.ä. über Jahre sich zahlen lassen und später Versicherungen des Gesundheitswesens als Vorstände, Direktoren und Besitzer in sogenannte «Wirtschaftsimperien» feiern lassen ist noch geschmackloser wie ein Konzern der Wirtschaftstaktiken entwickelt und durchführt.RE

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