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Ein Lager der muslimischen Rohingyas in Myanmar © srf

Myanmar: Friedensverhandlungen ohne Rohingyas

Peter G. Achten /  Myanmar steht vor der grössten Herausforderung seiner jungen demokratischen Geschichte. Endlich wird über Frieden gesprochen.

In der Hauptstadt Naypyidaw im Zentrum des Landes versammelten sich Ende August über 1500 Vertreter von Regierung, Armee, Rebellenstreitkräften und ethnischen Minderheiten, um über Frieden und Entwicklung in den Randgebieten der Union von Myanmar und über die nationale Einheit zu reden. Für einmal darf man für die Konferenz ohne Zögern das Beiwort «historisch» verwenden. Der komplexe Konflikt schwelt seit langem und reicht bis in die Zeit vor der britischen Kolonialisierung. An den Gesprächen nehmen 17 der 20 grössten in der Union eingebundenen Ethnien teil, darunter die Karen, Kachin, Shan, Chin und Wa. Zusammen machen die Minderheiten in der Union rund 35 Prozent der Bevölkerung aus.

Teile und herrsche

Viele, vor allem in den nördlichen und östlichen Randregionen Myanmars ansässige Minoritäten genossen unter den britischen Kolonialherren eine, wenn auch juristisch ungeregelte Autonomie nach dem britischen Motto «teile und herrsche». Burma war Teil von Britisch-Indien und wurde erst 1937 eine eigenständige Kronkolonie. General Aung San, Vater von Aung San Suu Kyi, wollte die Unabhängigkeit von Grossbritannien beschleunigen und berief deshalb eine Konferenz zur Beilegung der Minoritäten-Konflikte ein. In Panglong im Shan-Staat wurde am 12. Februar 1947 ein Abkommen mit den Shan, Kachin und Chin unterzeichnet. Damit kam man der Kolonialmacht Grossbritannien entgegen, die eine schnellere Unabhängigkeit gewährte. Volle Autonomie für innere Angelegenheiten innerhalb der Union von Burma war ein Kernpunkt der Vereinbarung. General Aung San wurde ein Jahr später ermordet. Die Panglong-Vereinbarung wurde nie umgesetzt.

Lukrative Interessen

Seit der Unabhängigkeit 1948 griffen Rebellen zu den Waffen, zunächst gegen demokratische Regierungen und dann seit 1962 bis 2011 gegen die Militärmachthaber. Seit den Wahlen 2010 und der Öffnung 2011 schlossen die Militärs in den Ressourcen-reichen Minderheitsgebieten mit acht Rebellen-Armeen einen Waffenstillstand. Viele Interessen standen und stehen auf dem Spiel. Die Minoritäten finanzieren sich mit und die Militärs verdienen am Handel mit Drogen, Jade, Edelsteinen und wertvollen Tropenhölzern. Jetzt versucht Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi mit der «Panglong-Konferenz des 21. Jahrhunderts», Myanmar endlich dem Frieden näher zu bringen. Die fünftägigen Verhandlungen sind, wie alle Beteiligten wissen, nur der Anfang. Kommissionen sollen die hochkomplexe Materie vertiefen. Halbjährlich soll dann der Friedenprozess in grösserem Rahmen vorangetrieben werden.

«Konstruktive Rolle»

Schon am zweiten Tag verliessen die Vertreter der mächtigen Vereinigten Wa-Staatsarmee die Verhandlungen, weil sie nur als «Beobachter» akkreditiert waren. «Ein bedauerliches Missverständnis» stellten die Organisatoren sogleich fest. Der Zwischenfall mit der Wa-Delegation zeigt auch, wie wichtig für Nachbar China die Gespräche sind. Mit Burma verbindet China eine 2’200 Kilometer lange Grenze. 20’000 bestens bewaffnete Wa-Rebellen haben in dieser nördlichen Grenzregion ein eigenes Reich aufgebaut. Der Drogenhandel, vornehmlich Heroin und Methamphetamine, ist das Rückgrat der Wirtschaft.

Mit dem Drogen-Erlös werden Waffen gekauft und die Kämpfer besoldet. Die Verbindungen jenseits der Grenze zum organisierten chinesischen Verbrechen sind evident. Dass China in seiner südlichen Grenzregion Ruhe will, unterstrich Staats- und Parteichef Xi Jinping beim Staatsbesuch von Aung San Suu Kyi in Peking in der letzten August-Woche. Staatsrat und Aussenministerin Suu Kyi wurde wie ein Staatschef empfangen. Xi versprach, dass China bei der Lösung der Konflikte an der chinesisch-burmesischen Grenzregion «eine konstruktive Rolle» spielen werde.

«Geist von Panglong»

«Es ist eine einmalige Gelegenheit für uns», sagte General Aung Sans Tochter Suu Kyi zur Eröffnung der Konferenz, «ein grosses Ziel zu erreichen, das als Meilenstein in unsere Geschichte eingehen wird». Mit «Weisheit, Mut und Ausdauer» sei es möglich, eine «Zukunft voller Licht zu schaffen». Als Prinzip der Verhandlungen nannte Suu Kyi den «Geist von Panglong» und gleiche Rechte sowie gegenseitiger Respekt zwischen allen ethnischen Nationalitäten, der Bamar-Mehrheit eingeschlossen.

Als Staatsrat und Aussenministerin sowie «über dem Präsidenten stehend» sagte Suu Kyi jetzt in Naypyidaw, dass es «ohne Friede keine nachhaltige Entwicklung für Myanmar» geben könne. Obwohl Suu Kyi die neue Machthaberin ist, besetzen die Militärs noch immer die Schlüsselstellungen in der Regierung. Ohne Militärs ist somit auch kein Frieden mit den ethnischen Minderheiten möglich. Doch der oberste Soldat des Landes, General Min Aung Hlaing, ist unter den veränderten demokratischen Bedingungen zum Realpolitiker mutiert. Genauso wie Aung San Suu Kyi, die als Friedensnobelpreisträgerin die moralische Deutungshoheit in den Niederungen des politischen Alltags langsam aber sicher verloren hat.

Rohingyas

Eine Minderheit nämlich sass in Naypyidaw nicht mit am Verhandlungstisch, die Rohingyas, eine Minderheit im Rakhine-Staat an der Grenze zu Bangladesh. Die Rohingyas sind sozusagen die Minderheit der Minderheiten, denn sie werden auch von den nun an der Konferenz vertretenen Minderheiten verachtet. Suu Kyi weigert sich sogar den Namen «Rohingyas» in den Mund zu nehmen und bevorzugt den in Burma üblichen, abwertenden Ausdruck «Bengalis».

Die Rohingyas, immerhin rund eine Million, haben keine burmesische Staatsbürgerschaft, werden zu Zwangsarbeit missbraucht, sind in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, werden nach Lust und Laune der burmesischen Behörden verhaftet, hin und wieder auch exekutiert. Ultranationalistische Buddhisten hetzen im Internet und Flugblättern ungestraft gegen die muslimischen Rohingyas und Muslime im ganzen Land. Der Anteil der Muslime beträgt landesweit knapp fünf Prozent, jener der Buddhisten über neunzig Prozent. Die meisten Rohingyas leben seit Generationen im Rakhine-Staat.

Seit den Unruhen von 2012 vegetieren über Hunderttausend von ihnen in Lagern. Zehntausende sind übers Meer geflohen. Andere versuchten sich über die Grenze nach Bangladesh in Sicherheit zu bringen. Doch die Regierung in Dakha schickt die Flüchtenden wieder zurück. Die Uno ermittelt unterdessen gegen Myanmar wegen «Verbrechen gegen die Menschlichkeit». Staatlich unterstütze Diskriminierung gegen die muslimische Minderheit der Rohingyas ist seit der demokratischen Wende 2011 nicht geringer geworden. Im Gegenteil. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der im Westen verehrten Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.

Der moralische Zeigefinger

Suu Kyi, die ansonsten weltweit mit dem moralischen Zeigefinger herumfuchtelt, schweigt noch immer. Es sei eben ein «komplexes Problem», windet sie sich heraus. Die moralische Deutungshoheit jedenfalls hat sie, endgültig zur Realpolitikerin mutiert, verloren. Immerhin hat Staatsrätin Suu Kyi jetzt eine beratende Untersuchungskommission eingesetzt mit unabhängigen Mitgliedern unter dem Vorsitz des ehemaligen Uno-Generalsekretärs Kofi Annan. Konflikt-Prävention, humanitäre Hilfe, nationale Versöhnung und Menschenrechte sind im Pflichtenheft festgelegt. Ein Bericht wird für 2017 erwartet.

Möge der Panglong-Geist – endlich – auch die Rohingyas erreichen!

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