Flchtlingssatire_4

Das Mittelmeer – ein Sehnsuchtsort für Flüchtlinge & TouristInnen © www.aida.ch

Urlaub von Flüchtlingen & anderen Unbilden (1)

Jürgmeier /  Sie vermiesen uns (fast) alles, die Fragebogen, die Qualität steigern sollen. Keine Reise ohne Auswertung. Eine fast reale Satire.

Red. Menschen machen immer noch Urlaub am Mittelmeer. Menschen flüchten immer noch übers Mittelmeer. Menschen ertrinken immer noch im Mittelmeer. Das ist schon seit Sommern so. Deshalb stellen wir noch einmal den satirischen Beitrag «Urlaub von Flüchtlingen & anderen Unbilden» aus dem Jahre 2015 online. Der Kapitän übrigens würde heute, vermutlich, als Schleppergehilfe vor Gericht gezerrt.

Guten Tag

Sie zwingen mich ja dazu. Den obligaten Fragebogen – wie sie ihn heute nach jeder Hundsverlochete verteilen – habe ich wie gewohnt & gnädig unausgefüllt in der Kajüte liegen lassen. Und hatte das Ganze – ich bin seit Wochen wieder im Alltag gefangen – schon beinahe vergessen. Aber jetzt fordern Sie mich per Mail auf, und Sie tun es freundlich, Ihnen zu helfen, Ihre Reisen «noch besser auf die Bedürfnisse unserer Kunden auszurichten» (2). Wer verweigert schon eine offensichtlich benötigte Hilfeleistung. Selber schuld, wenn ich Ihnen ungenügende Noten verpassen muss.

Am Anfang machte mich der Blick aufs Meer tatsächlich «ganz einfach glücklich». Mein «Rundum-Sorglos-Paket» schien zu halten, was mir verkauft worden war: «Ankommen, abschalten und sich entspannt einen wunderschönen Urlaub gönnen …» (3) Und in den ersten Tagen der Kreuzfahrt – zu der ich mich hatte überreden lassen – konnte ich beim «köstlichen Frühstück» auch wirklich «nach Herzenslust schlemmen». Aber gegen Ende der Reise musste ich, trotz Ihrer Versprechungen, nicht nur auf meine «heiss geliebten Frühstücksbrötchen oder das Vollkornbrot am Morgen verzichten», auch die «frischen Pfannkuchen und Waffeln» dufteten nicht mehr «unwiderstehlich». Obwohl ich, von der «Auszeit vom Alltag» bestens erholt, früher aufwachte als zu Beginn der Reise, stand ich vor einem faktisch leer gefressenen Zmorgebuffet, «Geniessen mit Leib und Seele» ade.

Wenn Kussmundschiffe auf Flüchtlingsboote treffen

Alles hatte damit begonnen, dass Ihr bestimmt bestens qualifizierter Kapitän die «grenzenlose Erlebnisvielfalt» und den «Hauch von Nervenkitzel», womöglich, etwas anders interpretierte, als Sie es in Ihrem Katalog ankündigen. Er fuhr mit seinem «Kussmundschiff» so nahe an eines dieser überladenen Flüchtlingsboote heran, dass dieses in den Wellen unseres umweltfreundlichen «3-Liter-Schiffs» (4) zu kentern drohte. Nur damit diese TouristInnen auch mit einem vier Jahre alten Smartphone noch zu scharfen Erinnerungsbildern kamen. Am Abend haben sie stolz ihre Fotos herumgezeigt. Wer hat das beste, das verzweifeltste Flüchtlingsgesicht im Kasten? Einen Walliser Tour Guide oder eine Bergeller Bergbäuerin hätten sie, vermutlich, zuerst um Erlaubnis gefragt, aber diese AfrikanerInnen kennen ja kein Recht auf das eigene Bild. Dafür sind sie leichter aufzuspüren als bedrohte Tierarten. Flüchtlingsshooting statt Whale Watching – davon stand auch im Kleingedruckten nichts. Oder meinen Sie diese perverse Gafferei, wenn Sie schreiben: «Das Mittelmeer: Ein Flirt mit dem Süden»?


© de.wikipedia.org

Natürlich hätte ich auch an der Westküste Jütlands Ferien machen können, da hätte ich eher eine lebende Robbe als Boat People aus England oder Norwegen zu Gesicht bekommen. Aber wenn mir nach Abenteuerurlaub mit hautnahen Kontakten zu sozialen beziehungsweise ökologischen Brennpunkten gewesen wäre, hätte ich direkt beim schweizerischen Katastrophenkorps, auf einem Schiff von Greenpeace oder einem dieser sozialpädagogischen Dreimaster mit verhaltensgestörten Jugendlichen angeheuert. Sie haben mir in Ihrem Vierfarbenprospekt versprochen: «Sie haben Urlaub – die Welt steht Ihnen offen – Willkommen auf Wolke sieben.»

«Machen Sie das Meer zu Ihrem Traumreich»

Ich weiss nicht, ob sie von diesem Kahn kamen, auf jeden Fall wurde mir später erzählt, der Kapitän habe in der gleichen Nacht einen dieser «Schwärme» (5) von Schwarzen aus dem Salzwasser gefischt. Die hätten sich dann an unserem Frühstücksbuffet den leeren Magen vollgeschlagen, und am Nachmittag schauten sie uns gut zahlenden Gästen zu, wie wir «auf dem schönsten Sportplatz der Meere» eine Partie Basketball spielten und anschliessend beim Yoga in unsere Füsse atmeten. «AIDA Gäste mit eingeschränkter Mobilität sind an Bord herzlich willkommen.» Aha. Jetzt war natürlich Schluss mit «Urlaubsfeeling», mit dem Glück, das mich durchs Mittelmeer begleiten sollte. Oder wie stellen Sie sich einen halbwegs empfindsamen Menschen vor, der angesichts dieser in Wolldecken gehüllten Gestalten mit ängstlichem Blick noch genüsslich «schauen, staunen, shoppen» kann?

Kommen Sie mir jetzt nicht mit den internationalen See- und Menschenrechten, die es gebieten würden, in Not geratene Menschen zu retten. Mit dieser Aktion sorgt Ihr Kapitän doch nur dafür, dass sich noch mehr dieser bedauernswerten Menschen auf die risikoreiche Reise, womöglich ohne Schwimmweste und regelmässig überprüftes Schiff, begeben. «Angebot schafft Nachfrage, das gilt nirgendwo mehr als bei den weltweiten Flüchtlingsströmen.» (6) Und nächstes Mal leeren sie nicht nur Brotkorb, Orangensaft und Lachsplatte, sondern machen es sich gar in unserer Panoramasuite gemütlich. «Als Ihr persönliches Plätzchen an der Sonne bieten unsere Balkonkabinen sogar eine eigene Hängematte.» Wer verhindern will, dass der Sehnsuchtsort Mittelmeer – «Machen Sie das Meer zu Ihrem Traumreich!» – für immer mehr Menschen zur Mordsee wird, «muss den Todeskanal übers Mittelmeer schliessen» (7), muss diese Flüchtlinge in ihren lecken Booten absaufen lassen und ins Meer zurückstossen, wenn sie versuchen, sich an unseren Tauen aus dem Wasser zu ziehen. So brutal es klingen mag – jede & jeder Tote sorgt dafür, dass Tausende in der sicheren Heimat bleiben.  
«Den Todeskanal übers Mittelmeer schliessen»

Im Übrigen sind es nicht die Bedürftigsten, sondern «die Bessergestellten und relativ Wohlhabenden, die Tausende von Franken bezahlen, um die Schlepperdienste in Anspruch zu nehmen… Wer in Nordafrika ein Boot besteigt, ist definitionsgemäss nicht mehr asylberechtigt» (8). Schliesslich weiss heute jedes Kind, dass Fliegen billiger ist als Schiff- und Zugfahren.

Natürlich sind nicht nur die Ärmsten an Leib & Leben bedroht, aber die wenigsten bringen sich aus Überzeugung in Gefahr. Seien wir ehrlich, die meisten von uns schweigen, wenn Reden oder Handeln gefährlich werden könnte. Sei es nur, um eine in Aussicht stehende Lohnerhöhung oder die feste Anstellung nicht zu gefährden. «Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.» (9) Und da sind diese AfrikanerInnen bestimmt nicht anders. Nein, die meisten fliehen, weil sie mehr im Teller und ein neues Handy, weil sie ein besseres Leben wollen. Das ist verständlich, ein Asylgrund ist es nicht. «Wir sind nicht zuständig für alles Elend der Welt.» (10) Schon gar nicht in den Ferien.


© www.aida.de

Ich befasse mich das ganze Jahr über, aus beruflichen Gründen, mit den Problemen dieser Welt. Drei Wochen im Jahr will ich nichts davon wissen – keine Zeitungen, kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet, kein Handy, keine Sachbücher, nur Kitschromane und Meer. «Willkommen zu Ihrer Auszeit vom Alltag!», schreiben Sie in Ihrem Prospekt. Da können Sie mir das afrikanische Elend nicht real & hautnah aufs Deck eines Ihrer «Kussmundschiffe» setzen. Das schlägt mir auf den sensiblen Magen. Da bin ich anders als die Frau, die der 20-Minuten-Reporterin Vroni Fehlmann im August 2015 auf der Insel Kos gestanden hat: «Nur weil jetzt hier ein paar Flüchtlinge ertrunken sind, sage ich doch nicht, ich gehe jetzt nicht mehr im Mittelmeer baden.» Sie hat natürlich recht, es hilft den syrischen Kriegsflüchtlingen nichts, wenn wir nicht mehr in der Ägäis wellnessen – Die übernachten ja nicht in unserer Preisklasse. –, und den GriechInnen schon gar nicht. Aber ich könnte das nicht. Ich müsste mir ernsthaft überlegen, nächstes Jahr wieder in die Schweizer Berge zu fahren. Ein Marsch über die Alpen ist auch den Ärmsten zu beschwerlich. Da bin ich mir sicher.

«Dass es Leid auf der Welt gibt, ist nicht zu ändern …»

Oder – statt Ihr blödsinniges Evaluationsformular auszufüllen – behalte ich mir für nächstes Mal rechtliche Schritte vor. Es gibt da verschiedene wegweisende Urteile, die Ihnen sicher bekannt sind; wenn nicht, sollten Sie sich das unbedingt anschauen. 1980 beispielsweise hat ein Frankfurter Gericht einer Klägerin Schadenersatz zugesprochen, weil sie ihre Ferien im gleichen Hotel verbringen musste wie eine Gruppe von geistig und körperlich Behinderten. «Es ist nicht zu verkennen», hiess es damals in der Urteilsbegründung, «dass eine Gruppe von Schwerbehinderten bei empfindsamen Menschen eine Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses darstellen kann …Dass es Leid auf der Welt gibt, ist nicht zu ändern, aber, es kann der Klägerin nicht verwehrt werden, wenn sie es jedenfalls während des Urlaubs nicht sehen will.» (11) 
Voilà. Bleiben Sie bei Ihrem Kerngeschäft, pseudohumanitärer Aktionismus könnte Sie teuer zu stehen kommen. Auf dass die nächste Kreuzfahrt Ihre Werbesprüche einlöst: «Das Glück begleitet Sie durchs Mittelmeer.»

Diesmal nicht ganz glücklich

Ihr Jürgmeier


© www.aida.de

(1) «Unbilden: gehoben für Unannehmlichkeiten; die Unbilden der Witterung» (Duden)
(2) «Befragung zur Zufriedenheit mit einer kürzlich unternommenen Bahnfahrt», SBB
(3) Aus Kreuzfahrt-Katalog von «aida.de»
(4) «3 Liter Treibstoff verbraucht die AIDA Flotte pro Person an Bord auf 100 Kilometern – deutlich weniger als ein PKW», Katalog «aida.de»
(5) «David Cameron [Britischer Premierminister] hört schon besorgt ‹die Schwärme› an Kents Küsten rauschen – und tastet nach einem schützenden Netz gegen solche Naturgewalt …», SonntagsZeitung, 2.8.2015
(6) René Zeyer, Schweiz am Sonntag, 16.8.2015
(7) Roger Köppel, Weltwoche, 23.4.2015
(8) Roger Köppel, Weltwoche, 27.5.2015
(9) Bertolt Brecht, Dreigroschenoper
(10) Roger Köppel, Weltwoche, 8.7.2015
(11) zitiert aus Jürgmeier: Narren-ABC, Horgen: gegenverlag, 1981


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Afghanischer_Flchtling_Reuters

Migrantinnen, Migranten, Asylsuchende

Der Ausländeranteil ist in der Schweiz gross: Die Politik streitet über Asyl, Immigration und Ausschaffung.

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2 Meinungen

  • am 24.08.2015 um 18:28 Uhr
    Permalink

    Das Merkmal eines zivilisierten Staates ist, dass er seine Fürsorgeverpflichtung gegenüber seinen Bürgern erfüllt.
    (Da die Politiker und mit ihnen auch die Medien die PR und dahinter die Finanz- und Machtelite für die Kriege, die Armut, das Leid und Elend in höchstem Masse verantwortlich sind, gilt diese Fürsorgeverpflichtung auch gegenüber Flüchtlingen. Man produziert Armut, Not, Flüchtlingselend, jedoch wie man damit umgehen soll, dazu ist die Politik nicht fähig, fehlt jegliche Vernunft und jeglicher Verstand. Damit nicht genug: Ausser dieser Unfähigkeit mit den Folgen umzugehen die seine Kriege nach sich ziehen betreibt der Westen nun auch Kriegshetze gegen Russland und bringt seine Truppen an dessen Grenzen in Stellung)
    Politiker eines Staates wie Griechenland, einer Staatengemeinschaft wie der EU welche ihrer Fürsorgeverpflichtung gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung nicht nachkommen, haben keine Legitimität Repräsentanten dieses Staates dieser Staatengemeinschaft und deren Bevölkerung zu sein. Verträge die gegen den ausdrücklichen Willen und gegen das Wohl der Bevölkerung abgeschlossen wurden, wie in Griechenland, oder gar unter Erpressung, sind Null und nichtig.
    „Weder Hunger noch Verelendung müssten sein. Es handelt sich nicht um ein Naturgesetz, sondern um Massenmord durch Unterlassung“ (Der überflüssige Mensch, Ilija Trojanow)

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 26.08.2015 um 11:28 Uhr
    Permalink

    Formell und historisch war der erste Staatszweck noch nie die Fürsorge, sondern die Sicherheit, nach Hobbes die Verhinderung des Krieges aller gegen alle. Was passiert, wenn dieser erste Staatszweck nicht mehr funktioniert, sah man beim Sturz von Saddam Hussein und von Ghadaffi lehrbuchmässig. Ohne die sichere Kontrolle des Staatsgebietes gibt es keine Fürsorge und ausserdem ist ununterbrochen schulfrei.

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