Kommentar

kontertext: Neue Businessidee – die Privatstadt

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsHeinrich Vogler. Geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist ©

Heinrich Vogler /  Titus Gebel, ein ehemaliger deutscher Rohstoffhändler, wittert den grossen Reibach. Er lanciert die Produktidee der Privatstadt.

Bisher gibt es nur die sogenannte Gated Community , ein geschlossenes, privates Wohngebiet, wo das Recht des freien Zutritts, wie es die Idee der Allmende verkörpert, ausgehebelt ist. Das Quartier am Suvretta-Hügel in St. Moritz ist eine solche strikt private Insel. Man kommt nur mit Erlaubnis des Sichheitsdienstes hinein. Kunden sind ausländische Schwerreiche. Eben diesen Markt will Titus Gebel um eine Dimension erweitern. Um den unerschlossen «Markt des Zusammenlebens» in Städten wittert der umtriebige Privatstädte-Propagandist das grosse Geld.
Das geht folgendermassen: «Privatstädte sollen von einem privaten Dienstleister auf strikt kommerzieller Basis organisiert werden, mit einem Bürgervertrag, der das Zusammenleben regelt und einseitig nicht abzuändern ist.» Die NZZ tituliert dies als «Leben ohne staatliche Gängelung.» Die Hoheit, die ein Gemeinwesen wie eine Stadt ausmacht, mit unabhängiger Justiz, Spitälern, Schulen gänzlich dem Gebot von Angebot und Nachfrage zu überlassen, verlangt auch dem Marktgläubigsten viel utopisches Vorstellungsvermögen ab. Titus Gebel eilt diesem zu Hilfe mit einer pauschalen Portion Demokratiekritik. Denn, so belehrt er uns, «echte Freiheit im Sinn von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung (ist) auf demokratischem Weg in der heutigen Gesellschaft nicht ausreichend nachgefragt.»
Genau in diese Angebotslücke der grossen Freiheit soll die neue Privatstadt vorstossen. Das Mantra lautet Markt statt Demokratie, Business statt Rechtsstaatlichkeit. Die neue Privatstadt soll einfach in einem Private-Public-Partnership mit dem sie umgebenden Staat stehen. Als Beispiel, das zu 70 Prozent in diese Richtung gehe, führt Gebel Honduras an, wo es die Privatstadt als gutes Geschäft schon gebe. Das mittelamerikanische Land versuche auf diesem goldenen Weg der Privatwirtschaft, als Ersatz für Staatlichkeit und Demokratie, «aus der Spirale hoher Kriminalität, Korruption und Ineffizienz auszubrechen.» Man höre und staune: Die Privatstadt als uneingelöste Friedensdividende.
Im Übrigen findet man im Internet bereits die Homepage einer Firma «Free Private Cities Ltd» mit Sitz in Panama.

Die Privatstadt als Modell für die Migrantenstadt

Titus Gebels Utopiereservoir ist noch nicht erschöpft. Die private Stadt könnte nämlich auch der Migrantenstadt Vorbild sein. Allein 65 Millionen Kriegsflüchtlinge kämen zur Zeit dabei, gemäss Totalprivatisierer Gebel, als potentielle Kunden in Frage. Warum sollten die künftigen Bewohner von privaten Migrantenstädten nicht «die Möglichkeit erhalten, sich selbst zu bewähren und ihr Leben zu verbessern,» wirft Gebel, der steuerfrei in Monaco, einer halben Privatstadt, residiert, allen Ernstes in die Runde. Wiederum von der NZZ aus. Dabei könnten «mittellose Neuankömmlinge» «für eine gewisse Zeit von den Gebühren für die Dienstleistungen in der Privatstadt befreit werden – unter der Voraussetzung, dass sie die aufgelaufenen Kosten zurückerstatten.»
Aber, wiegelt der Marktutopist umgehend ab, «der Eindruck eines Almosengemeinwesens ist zu vermeiden.» Mittellose Analphabeten sind nicht willkommen in der Gebelschen Migrantenstadt. Primäre Nachfragegruppe seien Höhergebildete, Unternehmer und Investoren. Sprich: finanzkräftige Kunden der Betreiber. Politische Konflikte würden in der Migrantenstadt vermieden, weil der Interessenausgleich schon durch den Betreiber quasi im Keim erstickt werde. Umso mehr, als der Grundsatz gelte: je weniger Politik, umso besser.

Der Kapitalist als Anarchist

Die Vorstellung der Abwesenheit des Staats in der Privatstadt hat eine anarchistische Note im elementaren Sinne einer Gesellschaftskonzeption, die den Willen des Einzelnen als allein massgebend anerkennt. Was man grundsätzlich ja auch auf den Liberalismus übertragen kann. Ganz ohne sozioökonomisches Fundament will es aber auch Gebel nicht machen. Denn er hält es für denkbar, dass die Einwohner dank Aktienausgaben grundsätzlich Miteigentümer einer Privatstadt werden können, was dem Interessenausgleich förderlich sei.
Profitmaximierung als sozialisierendes und Interessen ausgleichendes Element – das klingt schon beinahe nach einem philanthropischen Ideal. Mindestens Wasser sowie Energie müssten die privatisierten Städter wohl aber doch von einer umliegenden staatlichen Stelle beziehen, falls sie diese nicht autonom auf ihrem Privatstadtgebiet produzierten. Dasselbe gilt für das Gesundheitswesen und für die Justiz. Es sei denn, Gebel würde diese auch privatisieren lassen. Insofern ist in diesem Geschäftszweig am Ende doch deutlich mehr Staat im Spiel, als sich Privatstadt-Promoter Gebel eingesteht. Oder wird die private Stadt auf höchst wundersame Weise durch die berühmte Adam Smith’sche unsichtbare Hand des Markts formiert? Eher nicht.

Privatisierung wirkt keine Wunder

Die Privatisierungseuphorie legte sich spürbar seit 2000. In Deutschland holen sich Städte wie Hamburg und Stuttgart die Stromversorgung oder Gas- und Wasserwerke zurück, die sie vorher an Private abgetreten hatten («Tages-Anzeiger» 7.11.2016 und «Die Zeit» 20.10.16). Nicht zuletzt unter dem Eindruck der misslungenen Privatisierung von British Rail, die ein marodes Schienennetz und viel höhere Ticketpreise hat als zuvor. Privatfirmen trachten nach der Maximierung des Shareholder-Values. Sie tun naturgemäss das, was ihnen selbst nützt: Gewinn machen. Darüber hinaus wäre den Betreibern das Wohlergehen der Einwohner gleichgültig. Insofern herrschte in der Privatstadt mit Sicherheit weniger öffentliche Verantwortung als im Bereich der staatlichen Sphäre, solange jene nicht umfassend demokratisch verfasst wäre.

Wenig fundierte Idee

Die grundsätzliche Plausibilität der Privatstadt und der Variante der Migrantenstadt in dieser Form ist gering. Zu viele Aspekte sozioökonomischer und juristischer Natur sind ungeklärt. Allein die rechtlichen Beziehungen zwischen der Privatstadt und ihrer staatlichen Umgebung, zu regionalen Verwaltungskörperschaften und zum Mutterstaat, zu anderen Staaten oder supranationalen Gebilden wie der EU, müssten bilateral geregelt werden. Darüber verliert der Propagandist kein Wort. Titus Gebel wäre seinen Investoren noch sehr viel Denk- und Abklärungsarbeit schuldig, bevor seine «Sonderwirtschaftszone» teilautonom wäre «im Sinne territorialer Souveränität», wie er es in einem Interview postuliert, das vom Ludwig von Mises Institut Deutschland publiziert wurde.
Nein, die Vorstellung einer privaten Stadt ist höchstens eine unausgereifte Geschäftsidee. Und bei weitem keine Utopie. Dieses Etikett ist vermessen.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heinrich Vogler. Geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist / Redaktor bei Radio DRS und SRF 2 Kultur. Arbeitete als Kultur- sowie jahrelang als Literaturredaktor. Bis zur Pensionierung Ende 2015. War freier Literaturkritiker für Berner Zeitung, Tages-Anzeiger und NZZ.

  • Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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