Kommentar

Israel-Iran: Beginnt der Krieg der Kulturen?

Erich Gysling © zvg

Erich Gysling /  Kommt es zum wirklichen Krieg – oder bleibt alles beim Krieg der Worte?

Israels Premier Netanyahu droht Angriffe auf die iranischen Nuklearanlagen an, angeblich, um die Iraner von der Entwicklung von Atombomben abzuhalten. Irans Führung erklärt, man werde sich entsprechend verteidigen – und gibt zu verstehen, dass «verteidigen» nicht nur heisst, die möglicherweise drohenden Angriffe abzuwehren, sondern den oder die Angreifer auch selbst zu attackieren. Sei es mit Raketen, sei es durch Anschläge. Mehrere tausend potentielle Selbstmordattentäter ständen auch schon bereit, wird ab und zu betont.
Eine Menge Differenzen
Was steht hinter diesen Drohungen, wie ernst muss man sie nehmen? Hat die Regierung in Jerusalem recht mit der Erklärung, dass der iranische Staatspräsident, Mahmud Ahmadinejad, immer wieder mit der Vernichtung Israels drohe, und dass Iran gezielt nach der Atombombe strebe, um den Judenstaat auszulöschen?
Gewiss, weder Ahmadinejad noch die wichtigeren Repräsentanten der islamischen Republik sind Freunde Israels. Zwischen den beiden Staaten gibt es eine Menge Differenzen:
• Iran unterstützt die Hizballah-Milizen in Libanon.

• Iran half einige Jahre lang der Hamas im Gaza-Streifen.
• Die Führung in Teheran vertritt die Meinung, Israel müsse sich mit den Palästinensern auf die Bildung eines gemeinsamen Staates einigen. Solange dies nicht geschehe, sei der Zionismus (nicht das Judentum) ein Kernproblem in Nahost.
• Israel habe keinen Anspruch auf den Status einer Atommacht.
• Israel sei ein Aussenposten der USA im Nahen Osten und verweigere sich jeglicher Minimal-Integration ins Wertesystem der Region.
• Israel anderseits unterstellt den Herrschern in Teheran, dass sie ihr Modell einer islamischen Republik einem Grossteil des Nahen und des Mittleren Ostens aufstülpen wollen.
• Und dass Iran sich nicht scheue, seine Ziele mit Terror zu realisieren.
Aufrüstung von Husseins Irak gegen den Iran
Die Spannungen lassen sich bis in die Zeit der Gründung der islamischen Republik im Jahr 1979 zurück verfolgen. Ayatollah Khomeini verkündete damals, die «islamische Revolution» müsse bis nach al-Quds getragen werden, also bis nach Jerusalem. Ob er das in militärischem Sinn meinte oder nur symbolisch, bleibt offen. Aber Khomeini verstörte durch diesen Satz nicht nur Israel, sondern auch die ganze westliche Welt.
Daher das Engagement der USA (auch anderer westlicher Staaten) zugunsten des irakischen Diktators Saddam Hussein im Krieg gegen Iran (1980 bis 1988, mindestens 500 000 Tote auf jeder Seite, wahrscheinlich noch bedeutend mehr).
Iran unterstützt Verbündete
Dann begann Iran, sich für die Schiiten und deren Hizballah-Miliz im Libanon zu engagieren – mit Geld und auch mit Waffen. Die libanesischen Schiiten verdankten ihren sozialen Aufstieg innerhalb Libanons tatsächlich zu einem gewissen Teil der Hilfe aus Teheran – nur sollte man sich dabei auch klar machen: Hizballah war und ist nicht nur eine militärische Truppe, sondern auch eine sozial engagierte Institution, die den lange Zeit benachteiligten Schiiten Schulen, Krankenhäuser, Ambulanzen etc. verschaffte.
Anderseits verhalf die Waffenhilfe mit Ursprung Iran (transportiert durch Syrien) Hizballah, die Israeli im Krieg von 2006 zu neutralisieren. Israel machte die Erfahrung, dass seine Truppen in einem regionalen Konflikt nicht mehr unbesiegbar waren. Das bedeutete eine Kränkung, die ihre Spuren hinterlassen musste.
Und ähnlich war’s im Gaza-Streifen: Israel konnte dort zwar die Infrastruktur des Küstenstreifens weitgehend zerstören, aber das änderte nichts an der Dominanz der islamistischen Hamas-Führung. Die blieb zumindest halbwegs intakt, auch wenn Israel durch gezielte Raketenattacken immer wieder einzelne Führungsleute eliminierte.
Absichtliche Zuspitzungen
Die iranische Führung fokussierte ihre Aussenpropaganda etwa ab 2004 auf Israel. Als Reaktion auf israelische Drohungen gegen Iran (bisweilen machten so genannte Experten entsprechende Äusserungen, manchmal sogar Mitglieder der Regierung) tauchten in den grossen Städten Irans Plakate auf mit einer Sanduhr, welche «die Zeit des Zionismus» als fast schon abgelaufen darstellte. Im Hintergrund wurde noch ein Onkel Sam als Protektor der Zionisten portraitiert.
Und Präsident Ahmadinejad erklärte: «Besser wäre es, es gäbe Israel nicht in diesen Zeitläufen». Er ergänzte dann noch, dass Iran keine Absicht habe, Israel zu attackieren – aber in den Übersetzungen in westliche Sprachen (da waren die US-Agenturen an vorderster Stelle) las sich das dann anders: Israel müsse von der Landkarte verschwinden, lautete die sprachliche Umsetzung. Bei solchen Zuspitzungen blieb es auch in den folgenden Jahren.

Den Hardlinern in Israel und auch in den USA dienten die vergröbernden, verzerrenden Übersetzungen. Sie werden als Hinweise dafür gewertet, dass Iran sich die Vernichtung Israels als vorrangiges Ziel auf sein Banner gesetzt habe. Und rechtfertigt damit alle Szenarien einer «Auslöschung» der iranischen Atomanlagen durch einen «chirurgisch reinen» Schlag.
Unterschiedliche Strömungen in Irans Machtgefüge
Man kann, muss, davon ausgehen, dass in der iranischen Führung sehr unterschiedliche Strömungen auf die Entwicklung der Strategie Einfluss nehmen. Es gibt, wahrscheinlich, einen harten Kern, der die Entwicklung einer Atombombe als Mittel zum Erlangen von Unverletzbarkeit das Wort redet. Vorbild ist da wohl Nordkorea, das, seit dem Bekenntnis zur Atombombe im Jahr 2002, von den USA nur noch mit Samthandschuhen angefasst wird.
Es gibt darüber hinaus eine Reihe von Fachleuten, welche die Fortentwicklung der Atomtechnologie respektive der Urananreicherung bis zu jenem Punkt fordern, von dem aus es nur noch einen kleinen Schritt bis zum Bau einer Bombe zu bewältigen gäbe. Würden wir attackiert, lautet da wohl die Mehrheitsmeinung, müssten wir diese Schwelle überschreiten. Und man muss davon ausgehen: Würde sich Israel, mit dem stillschweigenden Einverständnis der USA (anders ist das ja nicht vorstellbar) zum Schlag gegen Atomanlagen in Iran entscheiden, dann gewännen die Vertreter dieser Linie die Überhand. Das heisst, dann würde Iran wirklich zur militärischen Atommacht.
Bei einem «chirurgischen Eingriff» wird es nicht bleiben
Wie würde Iran aber direkt auf einen israelischen, allenfalls US-amerikanischen Angriff reagieren? Tatenlos hinnehmen könnte dies das Regime in Teheran nicht. Also: Raketen mit konventioneller Munition gegen Tel Aviv oder Haifa etc von den Stellungen im Westen des Landes? Und / oder Cyber-Krieg gegen die Angreifer? Iran ist in diesem Bereich möglicherweise recht fortgeschritten. Schliesslich konnten die Iraner bereits mehrere US-Drohnen neutralisieren – zwei gerieten bei der Landung zu Bruch, eine konnte offenbar mittels eigener Software so umgelenkt werden, dass sie unbeschädigt landete. Und fast zeitgleich gelang es einem iranischen Hacker, in ein israelisches Kreditkartensystem einzudringen. Um zu zeigen, dass die Iraner dabei sind, auch im elektronischen «Krieg» Fortschritte zu machen.

Was wären die Folgen eines Kriegs für den Westen, für uns? Nochmals drastisch steigende Preise für Erdöl, Benzin, Heizöl. Noch mehr Migranten. Noch dringendere Fragen, ob wir uns auf einen Krieg der Kulturen zu bewegen. Noch mehr Hoffnungslosigkeit.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor hat alle Länder des Mittleren Ostens besucht und kam soeben von einem Aufenthalt im Iran zurück.

Zum Infosperber-Dossier:

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Atommacht Israel und ihre Feinde

Teufelskreis: Aggressive Politik auf allen Seiten festigt die Macht der Hardliner bei den jeweiligen Gegnern.

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Eine Meinung zu

  • am 27.03.2012 um 14:06 Uhr
    Permalink

    Eine nüchterne Analyse ohne das übliche Geschwurbel, auch die «Uebersetzungsfehler» westlicher Nachrichtenagenturen werden herausgerabeitet. Als ferner Beobachter fragt man sich : Warum sollte Iran Israel militärisch angreifen oder sogar Nuklearwaffen einsetzen. Das wäre selbstmörderisch, es hätte die sofortige Zerstörung Irans zur Folge. Jeder iranische Politiker und Militär ist sich dessen bewusst, auch die Scharfmacher.

    Hingegen sind eigene Nuklearwaffen ein wirksamer Schutz gegen Interventionen. Das ist der Hintergrund des iranischen Atomprogramms. Israel als – heimliche – Nuklearmacht betreibt genau die gleiche Politik. Das «Gleichgewicht des Schreckens» war schon in Europa durchaus wirksam. Keine Seite wagte den ersten Schritt.

    Entscheidend ist nicht, dass der Iran keine Atomwaffen besitzen darf. Entscheidend ist, dass keine Atomwaffen in die Hände von Terroristen gelangen. Darauf kann man den Iran im eigenen Interesse verpflichten. Das funktioniert durchaus, wie die Beispiele Pakistan und Indien belegen.

    Das Gerede von einem militärischen Angriff auf den Iran kann man nicht Ernst nehmen, ebenso wenig wie einen iranischen Angriff auf Israel. Das ist Propaganda. Es geht um die Vorherrschaft in der Region. Warum diese dem fernen Amerika zufallen soll, ist je länger je weniger vermittelbar, im Gegenteil: die amerikanische Vorherrschaft in der Region verhindert eine Einigung zwischen Palästina und Israel – ein ewiger Unruheherd.

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