Sperberauge

In Paris «Courant normal»

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Die Journalisten suchen gefährliche Orte. Die Touristen aber erleben die Stadt anders. Ein Augenzeugenbericht.

Während sich die Medien hier alle Mühe geben, die Angst vor Terror-Attacken noch zu schüren (und damit den Terroristen zum gewünschten Erfolg verhelfen ), gibt es Leute, die das Augenmass nicht verloren haben und, wie geplant, das Wochenende in Paris verbringen.

Aus dem Bekanntenkreis der Infosperber-Redaktion erreichte uns heute Sonntagmorgen aus Paris folgendes (private) Mail:

«Wir hatten am Freitag, 20.11., wie schon lange geplant, aber jetzt halt eine Woche nach den Attentaten, den TGV in Basel bestiegen. Um 8.30 Uhr ungefähr. Ganz normales Einsteigen, gar keine Kontrolle am Bahnhof Basel, keine Grenzer, keine Polizei, nix. Erster Halt dann in Mulhouse, da stand das Militär am Perron, schwer bewaffnet, einer hatte seine MP wirklich im Anschlag, die anderen hatten sie einfach umgehängt. Aber niemand kam in den Zug für eine Kontrolle. Vereinzelte Personen stiegen dem Zug zu. Danach nochmals ein Halt in (Name gerade entfallen). Da überhaupt kein Militär, keine Polizei, nix.

In Paris sind wir weder im Hotel noch in den aufgesuchten Restaurants, Cafés, Brasserien, auch nicht auf der Strasse, echt nirgends auf die Attentate angesprochen worden. Es herrscht bereits wieder Courant normal. Im TGV übrigens eine Schweizer Familie mit drei Kindern, die wohnen im selben Hotel wie wir, beim Gare de Lyon. In der Metro, teils sind die Wagen vollgestopft, sind Touristen mit ihren Stadtplänen, die Einheimischen und wie üblich auch die Sturzbetrunkenen im Tiefschlaf.

Auf der Champs-Elysées keine bedrückten oder besorgten Blicke, einzig patrouillieren (und das ist wahrscheinlich sonst nicht der Fall) Einheiten der Polizei, des Militärs, der Spezialeinheiten, immer zu dritt, immer bewaffnet bis auf die Zähne, aber immer mit entspannten Gesichtszügen. Nur einmal sahen wir Kontrollen von Sicherheitsleuten, eine Gruppe Jugendlicher wollte in ein Kellerlokal und sie mussten erlauben, dass der Sicherheitsmann ihre Rucksäcke öffnete und sie kurz abtastete. Gegen den Place des Invalides ein Weihnachtsmarkt, fröhlich und gut besucht.

Gestern beim Abendessen schaute der Patron immer gebannt in den laufenden Fernseher. Ui, dachten wir, doch wieder etwas? Aber nein, er verfolgte ganz einfach gebannt einen Fussballmatch, wie wir beim Rausgehen dann sehen konnten…

Wenn wir nicht wüssten, was am 13.11. hier in Paris Schreckliches geschehen ist…

Aber, wirklich wahr, gestern morgen, hier um die Ecke, stehen wir am Fussgängerstreifen und warten auf Grün. Es wird grün, wir schauen noch kurz in die andere Richtung und gehen deshalb nicht sofort … und schrumms, fährt ein Motorradfahrer tatsächlich bei Rot – für ihn Rot! – über den Fussgängerstreifen! Hätten wir den Fussgängerstreifen grad bei Grün betreten, ich läge jetzt in Paris im Spital… «


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