Kommentar

Die Verspätung der Verleger

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Robert Ruoff /  Auch der Verband Schweizer Medien äussert sich zur Bedrohung der Medienfreiheit. Spät - aber es könnte eine Anregung sein.

Der Verband Schweizer Medien VSM – ehemals der Verband der Schweizer Zeitungs- und Zeitschriftenverleger – konnte bei seiner Jahresversammlung gerade noch «mit Befriedigung» zur Kenntnis nehmen, dass das Kantonsgericht im «Fall Rocchi» dem Neuenburger Staatsanwalt die Rechtslage erklärt hat. Das war am Tag nach der Veröffentlichung des Gerichtsurteils.

Der übereifrige Herr Aubert, Staatsanwalt des Kantons Neuchâtel, hatte bekanntlich Mitte August beim Enthüllungsjournalisten Ludovic Rocchi aus einem juristisch konstruierten Anlass in dessen Wohnung in La Chaux-de-Fonds und beim Filmfestival Locarno Computer und andere journalistische Materialien beschlagnahmt. Auch Computer seiner Frau und seines elfjährigen Sohnes.

Die Journalistenverbände und auch die Schweizerische Chefredaktorenkonferenz hatten alle gegen diesen Eingriff in die Medienfreiheit protestiert. Die einen taten es rasch und heftig, die anderen später und ein bisschen pflichtgemäss. Nur die Verleger liessen gar nichts von sich hören, und noch kurz vor ihrem jährlichen Medienkongress erklärte Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument gegenüber Infosperber, man könne bei dieser Jahresversammlung ja «vielleicht» etwas machen.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, soll der russische Reformer Michail Gorbatschow gesagt haben, und ein bisschen trifft das nun auch auf den Verlegerverband VSM zu. Nachdem «Le Matin», die Zeitung, für die Ludovic Rocchi arbeitet, das Urteil veröffentlicht hatte, konnten Branchenverbände wie «impressum» triumphierend feststellen: «Die Pressefreiheit hat gewonnen!», und sich einen Teil des Erfolgs selber zugute halten. Der VSM konnte nur noch befriedigt zustimmen.

Ein richtungweisendes Urteil

Das Neuenburger Kantonsgericht hat in der Tat den Neuenburger Staatsanwalt scharf kritisiert und festgestellt, «die Aktion sei unverhältnismässig und die Vorwürfe (gegen den Journalisten) rechtfertigten das Vorgehen in keiner Weise» , wie SRF im «Rendez-vous» berichtete.
Das Urteil stärkt klar und unmissverständlich die Rechte von Journalisten auf Quellenschutz und Zeugnisverweigerung, die für eine freie Presse unverzichtbar sind. Diese Rechte garantieren allen, die einen Missstand öffentlich machen wollen, den Schutz der Vertraulichkeit, ohne den die Presse ihr Wächteramt in der Demokratie nur sehr eingeschränkt wahrnehmen könnte.

Staatsbehörde manipuliert Staatsbehörde

Immerhin hat der Verlegerverband VSM nicht nur das Urteil im schweizerischen «Fall Rocchi» begrüsst. Tamedia-Verleger Pietro Supino hat in seinem Jahresbericht zu Rechtsfragen sich ausführlich mit «besorgniserregenden Entwicklungen» im Ausland wie im Inland befasst.

Mit gutem Grund, wie die neueste «Story» aus den USA zeigt. Die staatliche Behörde für Normen und Technologie NIST (National Institute of Standards and Technology) hat offiziell und auf eigene Initiative und ohne vorangegangene Enthüllung durch Edward Snowden empfohlen, vorerst die von ihr angebotenen Methoden zur Verschlüsselung von Informationen im Internet nicht mehr zu verwenden, weil die mittlerweile berüchtigte staatliche Behörde NSA (National Security Agency) in diese Verschlüsselungsmethoden von Anfang an Elemente eingebaut hat, die wiederum die Entschlüsselung der verschlüsselten Informationen erleichtern. Staatlich präparierte Hackermethoden, sozusagen…

Warnfinger der Verleger

Auf die Frage, wie denn nun der Verband Schweizer Medien künftig mit den Problemen von Überwachung und Medienfreiheit umgehen wolle, erklärte der Verleger Norbert Neininger (Schaffhauser Nachrichten) als Präsident des zuständigen VSM-Departements Publizistik, es sei selten und daher bereits aussergewöhnlich, dass der VSM sich zu diesen Fragen überhaupt äussere. Der Verband habe jetzt mal «den Finger gehoben», um zu warnen und die Aufmerksamkeit auch auf die Vorgänge im Ausland – etwa bei der Belästigung und Bedrohung und «Einschüchterung» des britischen «Guardian» – zu lenken.

Vielleicht regt das ja Journalistinnen und Journalisten aller Hierarchie-Stufen in den Schweizer Medien dazu an, die Entwicklung im Inland wie im Ausland sehr aufmerksam zu verfolgen und mit ihren Fingern in die Tasten zu greifen, um in dieser Sache nicht nur zu berichten sondern auch Stellung zu nehmen und die Öffentlichkeit für Bedrohungen der Medienfreiheit, sprich: der bürgerlichen Freiheiten, immer wieder zu sensibilisieren. Dann hätten die Verleger ihren Warnfinger trotz der Verspätung nicht umsonst in die Luft gestreckt.


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Zum Infosperber-Dossier:

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