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Türkische Mauer an der Grenze zu Syrien © Euronews

Die Türkei mauert sich ein

Amalia van Gent /  Viel medialer Lärm um angekündigte US-Mauer zu Mexiko. Türkei baut Mauer zu Syrien und Iran unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Von der insgesamt 911 Kilometer langen Grenze, die die Türkei mit Syrien teilt, seien 764 Kilometer bereits von einer undurchdringlichen Mauer versiegelt worden, erklärte ein Regierungsvertreter der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu letztes Wochenende. Gemäss seinen Ausführungen setzt sich die Mauer aus Betonblöcken zusammen, die je zwei Meter breit, drei Meter hoch und sieben Tonnen schwer seien, und zieht sich von der Mittelmeerprovinz Hatay, entlang den historischen Städten Urfa, Mardin und Nusaybin, bis zur irakischen Grenze hin. Eine «gigantische Mauer», nach der chinesischen Mauer und der Mauer entlang der US-Mexiko-Grenze die drittlängste Mauer der Welt, lobpreiste die regierungsnahe Presse unisono die jüngsten Leistungen Ankaras.

Ankara hat den Bau der «Mauer» 2015 zunächst aus «Sicherheitsgründen» beschlossen: Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die seit 1984 im hauptsächlich von Kurden bewohnten Südosten des Landes eine Revolte gegen die türkischen Sicherheitskräfte führt, zieht traditionell ihre Kämpfer im Winter aus der Türkei über die relativ durchlässigen Grenzen nach Syrien, in den Iran oder in den Irak zurück, um sie über denselben Weg im Frühling wieder in die Türkei zurückzuschicken. Die bewaffneten Auseinandersetzungen finden in der Regel im Sommer statt. Die Friedensgespräche zwischen der Regierung Erdogan und der PKK zu Beginn der 2010-er Jahre bescherten dem unruhigen Südosten der Türkei vorübergehend eine Art «Frieden». 2015 hat Erdogan die Friedensgespräche mit der PKK aber fallen gelassen und setzt seither einmal mehr auf die militärische Lösung der Kurdenfrage seines Landes. Der Bau der Mauer ist Teil dieser «Lösung».

Neben den PKK-Kämpfern benützten auch Schmuggler die verborgenen Täler und vergessenen Pässe, um ‹ihren Handel› jenseits der Grenze zu Iran, Irak oder Syrien zu betreiben. Kurdische Aufständische und kurdische Schmuggler betrachteten die Grenze, die vor hundert Jahren im kurdischen Siedlungsraum neu gezogen worden war und die Kurden zu türkischen, syrischen, irakischen beziehungsweise iranischen Bürgern machte, ohnehin nur als eine Angelegenheit der jeweiligen Regierungen. Verwandte lebten hüben und drüben, Kontakte wie Hochzeiten unter ihnen waren schon immer rege und der wirtschaftliche Austausch ebenso.

Die «Mauer» setzt nun dieser langen «Tradition» ein abruptes Ende. Die Stadt «Nüsaybin» im Südosten der Türkei beispielsweise war von «Qamisli» in Nord-Syrien durch einen Grenzübergang und Stacheldraht getrennt. Nun versperrt die drei Meter hohe Mauer jede Sicht hinüber. Der biblische Strom Tigris bildete im äussersten Osten Syriens sowie der Türkei eine natürliche Grenze und war für die Bauern von Cizre und Silopi lebensspendend. Nach dem Bau der Mauer hatten Dörfer wie Karuh aber auf einmal keinen Zugang zum Fluss mehr. Die Bauern können ihre Felder nicht bewässern und werden künftig wohl in die Flucht gezwungen. Jahrelang waren Orte wie Nüsaybin, Cizre, Kiziltepe und Silopi als PKK-Hochburgen bekannt. Einen Preis dafür müssen nicht nur die Aufständischen, sondern auch die Zivilisten zahlen.

Flüchtlinge werden ausgegrenzt

Der Bau der «Mauer» wurde aber auch geplant, um Flüchtlingen den Weg in die Türkei zu versperren. Nach Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien 2011 hatte der türkische Präsident Erdogan geglaubt, er könnte syrische Flüchtlinge instrumentalisieren, um die Zukunft Syriens massgeblich mitzubestimmen. Anfänglich schlug Ankara deshalb eine Politik der sogenannten «stillschweigenden Toleranz gegenüber Flüchtlingen aus Syrien» ein. Diese Illusion war 2015 bereits verflogen. Zu Tausenden strömten nur tief traumatisierte Menschen aus Syrien in die Türkei und stellten das Land vor riesige Herausforderungen. Insgesamt 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge leben heute in der Türkei, mehr als in jedem anderen Land. Wohl auch aus diesem Grund ging Ankara laut dem türkischen Journalisten Metin Gürcan zu einer Politik der «Null Toleranz gegenüber Flüchtlingen» über.

Nichts versinnbildlicht diese neue Politik Ankaras klarer als die «Mauer». Die Folgen dieser Politik für die «neuen» Vertriebenen aus den zerstörten Ost-Ghuta oder Aleppo oder Idlib dürften verheerend sein. 920’000 Menschen wurden in Syrien laut UNO-Angaben allein in diesem Jahr in die Flucht getrieben, das ist mehr als je zuvor. Rund 2,5 Millionen leben zusammengedrängt in der Provinz Idlib. Sollte die syrische Regierung versuchen, die Kontrolle über Idlib wie zuvor in Ost-Ghuta zu gewinnen, dann werden diese Menschen «mehr und mehr in Richtung Türkei gedrängt», warnte vor Kurzem ein UN-Vertreter eindringlich. Und führte gleich hinzu: «Aber für diese Menschen gibt es kein zweites Idlib, das sie hätte aufnehmen können. Es gibt wirklich keine andere Ortschaft, wo sie hätten hinziehen können».

Die türkische Regierung liess noch eine zweite «Mauer», entlang der türkisch-iranischen Grenze, errichten. Diese 144 Kilometer lange Mauer soll offiziellen Angaben zufolge in erster Linie afghanische Flüchtlinge davor abschrecken, den Weg in die Türkei und später nach Westeuropa zu wagen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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