Kommentar

Das Märchen von der schädlichen Quersubvention

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Ein Sommerthema: Der argumentativ oft falsch eingesetzte Begriff gehört hinterfragt. Nicht jede Quersubvention ist des Teufels.

Hand aufs Herz: Welcher Politiker, welche Politikerin hat nicht schon das Wort Quersubvention in den Mund genommen, um irgend etwas schlechtzureden? Quersubvention! Etwas Grauenvolles! Da wird etwas «von der Seite her» finanziell gestützt! Ein Verstoss gegen die «Kostenwahrheit»!

Ein kleines Beispiel: Als die Schweizerische Post vor ein paar Monaten die Detailpreise für gewisse Dienstleistungen überproportional erhöhte und deshalb kritisiert wurde, sagte ihr Pressesprecher sinngemäss: Ja, es stimmt, dass das Jahresergebnis der Post erfreulich gut war. Trotzdem kann es sich die Post nicht leisten, dass einzelne Dienstleistungen, für sich allein gerechnet, seit Jahren defizitär sind. Querfinanzierungen dürfen nicht sein!

Eine solche Argumentation ist Unsinn. Nehmen wir doch mal ein Hotel als durchschaubares Beispiel eines Unternehmens. Das Hotel erbringt, vereinfacht gesagt, folgende «Leistungen»: Frischgemachte Betten zum Schlafen, das Frühstück, den Restaurationsbetrieb, die Bar, den Hemden-Wasch-Service, die Telefon/Internet-Verbindung, den Shuttle-Dienst zum Flughafen. Ist da jeder Bereich in sich selbst profitabel? Gibt es da keine Quersubventionen?

Und ob es die gibt! Es gibt viele Hotels, die – als Unternehmen – nur der Bar wegen profitabel sind! Da, wo ein Whisky das Fünffache des Einstandspreises kostet, da, wo gestresste Geschäftsleute sich die Enttäuschungen des Tages von der Seele trinken oder gehabten Erfolg im Champagner sprudeln lassen, da wo die Euros also nicht mehr so genau zählen, da fliesst Geld und da wird Geld verdient. (Ein anderes schönes Beispiel wurde in der NZZ am Sonntag vom 13.5.2012 aufgezeigt: Die Schweizer Kinos leben vom Popcorn, das sie dem Publikum verkaufen.)

Was aber, wenn der Absolvent der Hochschule St. Gallen – zum Beispiel als frischgebackener «Berater» im Dienste des internationalen Unternehmungsberatungsunternehmens McX – in den Betrieb kommt und sagt, Quersubventionen seien zu vermeiden? Gesagt getan, das Hotel offeriert keine Betten mehr, serviert kein Frühstück mehr, hat keinen Shuttle mehr zum Flughafen. Nur: wie soll dann die Bar laufen?

Der «white collar» ohne weissen Kragen?

Als vor etlichen Jahren an den Management-Schulen das Outsourcing als Universallösung für alle nur denkbaren Probleme empfohlen wurde, gaben viele Hotels den (für sich gerechnet nicht profitablen) Hemden-Wasch-und-Bügel-Service auswärts. Die Einnahmen von den Hotelgästen für zum-Waschen-gegebene Wäsche reichten nun auch tatsächlich aus, um die neuentstandenen Fremd-Kosten zu decken, denn eine zentrale Wäscherei, die mehrere Hotels bedienen kann, arbeitet günstiger. Das Outsourcing war also – so schien es zumindest – «erfolgreich». Nur: Jetzt musste man auf den übernächsten Tag warten, bis die Hemden sauber zurück waren. Doch welcher vielfliegende Manager geht in ein Hotel, in dem er keine Chance hat, sein verschwitztes Hemd, seinen legendären «white collar», nicht nur zu einem realen Preis, sondern auch schnell reinigen zu lassen? Die Hotels nahmen den Service deshalb schon bald wieder zurück ins eigene Haus, auch wenn er intern quersubventioniert werden musste.

Quersubventionen als Begründung von Preiserhöhungen

Da, wo etwas mit dem Verweis auf bisherige Quersubventionierung teurer wird, geht es in 90 von 100 Fällen nur um die Erhöhung des Profits. Denn Quersubventionen sind oft vernünftig und sinnvoll. Dass Frauen statistisch gesehen mit ihren komplizierten Gebär-Organen die Krankenversicherungen mehr belasten als die Männer, scheint statistisch erwiesen zu sein. Dass sie deshalb mehr zahlen sollten, wäre ein Skandal. Die Quersubventionierung der Kostenstelle Männer an die Kostenstelle Frauen im Versicherungswesen ist also total ok.

Öffentlicher Verkehr: Quersubvention als Steuerungsmechanismus

Am meisten werden Quersubventionen zur Zeit beim Verkehr diskutiert. AvenirSuisse-Chef Gerhard Schwarz zum Beispiel forderte kürzlich im Radio Verzicht auf die Quersubventionen des öffentlichen Verkehrs. Die Pendler sollten, so Schwarz, auf der Basis des Verursacher-Prinzips und der Kostenwahrheit mehr als das Doppelte des heutigen Preises zahlen müssen. Tönt auf Anhieb einleuchtend. Aber wer sind zum Beispiel die «Verursacher» des überproportional angewachsenen Pendlerverkehrs? Die Pendler? Fragen Sie einen Burgdorfer oder einen Langenthaler! Die Oberaargauer pendeln nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Ihre Arbeitgeber-Firmen sind in den letzten Jahren bald alle von grossen, oft transnationalen Konzernen übernommen worden. Die Mitarbeitenden hatten nur die Wahl zwischen Verlust des Arbeitsplatzes und Pendeln.

Ja, man kann die Quersubvention des öffentlichen Verkehrs durch die öffentliche Hand streichen, dann aber bitte auch die echten Verursacher belasten, nicht nur die Opfer: die Firmen nämlich, die aus den Fusionen Synergien schöpfen und durch die Konzentration der Arbeitsplätze höhere Profite machen. Die «freie» Marktwirtschaft also, die systemimmanent zu immer mehr Firmen-Fusionen und zu immer mehr Arbeitsplatz-Konzentrationen in den grossen Zentren führt. Dann also soll die Wirtschaft zahlen, die Firmen, zum Beispiel über eine progressiv ansteigende Steuer nach Anzahl Mitarbeiter!

Im Güter-Transportwesen dagegen wäre eine Vollkosten-Rechnung mehr als gerechtfertigt. Die Gleichung ist dort nämlich einfach: Je tiefer die Transportkosten, umso höher die Verlagerung der Arbeitsplätze ins lohnkostengünstigere Ausland. Soll diese Entwicklung tatsächlich vom Staat quersubventioniert werden? Nein, sicher nicht!

Quersubventionen müssen genauer hinterfragt werden

Politikerinnen und Politiker, aber auch Journalistinnen und Journalisten tun gut daran, die roten Warnlampen aufleuchten zu lassen, wenn das Wort Quersubvention auftaucht. Auch wenn das Wort als «Schimpfwort» auftaucht, soll es hinterfragt werden. Viele pauschal als Quersubventionen verteufelte Finanzflüsse sind nämlich

a) sinnvolle Ausgleichszahlungen zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Alten, zwischen Glücklichen und Unglücklichen, vor allem natürlich im Versicherungs- und Renten-Bereich. Oder
b) volks- und/oder betriebswirtschaftliche Zuschüsse, um die übergeordnete, grössere Recheneinheit als Ganzes profitabel zu halten (siehe oben das Beispiel Hotel). Oder
c) indirekte Stützzahlungen, um das brutale Gefressen-Werden der Kleinen durch die Grossen etwas abzufangen oder zumindest zu verlangsamen. In diese Kategorie gehören zum Beispiel viele Subventionen und Quersubventionen zugunsten der Landwirtschaft. Oder, und dies besonders oft
d) die Folge eines Service public-Auftrages an den Staat. Im Verkehrsbereich zum Beispiel beim Ausgleich zwischen hochindustrialisierten Regionen und mehrheitlich landwirtschaftlich orientierten Regionen. Die Transjurane A16 zum Beispiel könnte sicher nicht nur den Jura-Einwohnern belastet werden.

Kostentransparenz: ja, Verursacherprinzip: ja aber

Kostentransparenz muss sein, sie zu scheuen oder zu vernebeln wäre mit nichts zu rechtfertigen. Kluge Entscheidungen kann nur fällen, wer weiss, wo und warum welche Kosten anfallen.

Nicht ganz einfach zu handhaben ist aber das Verursacherprinzip und die daraus abgeleitete sogenannte Kostenwahrheit. Denn fast nie ist eine Ursache einfach und eindeutig. Wer etwa ist der Verursacher der Bildungskosten? Die Schüler? Eher nicht. Die meisten Schüler müssen ja zur Schule gehen. Die Eltern der Schüler? Schon eher. Sie wollen ja, dass Ihre Kinder sich dereinst selber durchs Leben schlagen können. Oder vielleicht die Kranken? Ihretwegen brauchen wir doch die Mediziner. Sollen die doch unsere Universitäten finanzieren!

Quersubventionen können durchaus Sinn machen

Betriebswirtschaftliche Kenntnisse tun jedem Politiker, jeder Politikerin, aber auch jedem Medien-Schaffenden gut. Sie erlauben oft ein besseres Verständnis von komplexen Zusammenhängen. Wenn aber betriebswirtschaftliche Argumentation einseitig oder gar ausschliesslich zur Durchsetzung des sogenannten Verursacherprinzips und der sogenannten Kostenwahrheit dient, wird sie unversehens zur mentalen Stützung neoliberalistischen Denkens. Insbesondere Vater Staat muss gelegentlich so denken, als hätte er eine Familie zu betreuen, wo es eben stärkere und auch schwächere Mitglieder gibt und wo es öftermal einen Ausgleich braucht. Der Staat kann sich nicht gerieren wie ein kommerzieller Betrieb, wo die schwächeren Betriebsangehörigen aus betriebswirtschaftlichen Gründen gefeuert, frühpensioniert oder sonst vertrieben werden können – und oft tatsächlich auch vertrieben werden! Christoph Blochers Aussage, er als Unternehmer wisse, wie man den Staat wirtschaftlich führen müsse – nämlich wie eine Unternehmung – ist deshalb nur auf den ersten Blick einleuchtend. Dem zweiten Blick hält seine Argumentation nicht stand.

Ja, die Quersubvention ist die kleine, illegitime Schwester der Solidarität: schlecht erzogen, widerspenstig, aber oft auch liebenswert und zum ins-Herz-Schliessen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Gerhard_Schwarz_Portrait

Der ordoliberale Gerhard Schwarz

«Ordoliberale Prinzipientreue» propagierte Schwarz jahrelang in der NZZ und bis März 2016 bei Avenir Suisse

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