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Maulkorb für Ai Weiwei © Akmezer/Flickr

Ai Weiwei: Nach Hetzkampagne Kurzbesuch gestattet

Peter G. Achten /  Nach einem Monat in Haft an einem unbekannten Ort durfte seine Frau den Künstler Ai Weiwei zwanzig Minuten lang besuchen.

«Über die Vorwürfe der Steuerhinterziehung konnten wir nicht reden. Es ging hauptsächlich um die Familie und seine Gesundheit», erklärte Ais Frau Lu Qing nach dem Besuch der AP. «Wir passen auf und sind vorsichtig, denn wir wollen die Abmachung mit den Behörden über Besuche nicht gefährden.»
Voraus ging eine gesteuerte Hetzkampagne
Ai Weiwei ist in Chinas Künstlerkreisen wohlbekannt, wenn auch nicht unumstritten. Die Verhaftung ist mithin eine Warnung. Um ganz sicher zu gehen, wird Internet-Aktivist Ai Weiwei nun auch in Bloggs und in den Medien fertig gemacht. Auf nationalistischen Webforen sind etwa folgende Ausdrücke und Sätze zu lesen: «Verräter des Mutterlandes» – «Fünf-Stern-Lakai des Westens» – «Ai Weiwei ist ein fetter, vulgärer Mann, der sich gerne nackt auszieht und seinen Schwanz zeigt» – «Ai Weiwei ist der Abschaum der Menschheit» – «Ai Weiwei hasst unser Land» – «Pornographischer Künstler». Hasserfüllte Ausdrücke und Formulierungen, die an längst vergangene Zeiten erinnern, z.B. an die Anti-Rechts-Kampagne 1957, als Ai Weiweis Vater Ai Qing als «Rechtsabweichler» verurteilt und in die Verbannung geschickt worden war.
Ai Weiwei gehört zur Klasse der Reichen und Superreichen
Es gibt zwar auch Verteidiger Ais, deren Äusserungen aber verschwinden nullkommaplötzlich von den Internet-Foren. Auch Zeitungen halten sich nicht zurück. «Hinreichende Belege für Steuerhinterziehung» ist etwa zu lesen, eine Anschuldigung, die bei der wachsenden Mittelklasse gewiss gut ankommt. In der vom Sprachrohr der Partei, «Renmin Ribao», herausgegebenen englischsprachigen Zeitung «Global Times» heisst es, Ai Weiwei sei «mit antichinesischen Kräften im Ausland verbündet, um die Volksrepublick China ins Chaos zu stürzen». Das Gegenteil ist wohl eher der Fall. Ai Weiwei nämlich gehört zusammen mit andern modernen Künstlern mit den rasant steigenden Preisen für moderne chinesische Kunst – der frühere Schweizer Botschafter in Beijing und Kunstsammler Ueli Sigg kann davon ein profitables Lied singen – zur neuen chinesischen Mittelklasse oder gar zu den Reichen und Superreichen im Reich der Mitte.
Seit sechs Wochen ohne Lebenszeichen
Rund sechs Wochen ist es her, seit Künstler Ai Weiwei auf dem Pekinger Flughafen kurz vor seiner Ausreise verhaftet worden ist. Seit seiner Festnahme am 3. April fehlt von ihm jede Spur. Noch heute bleibt ungeklärt – auch für seine nächsten Angehörigen – wo genau sich der wortgewaltige, zivilcouragierte Künstler aufhält. «Wirtschaftsverbrechen» werden ihm vorgeworfen, die streng «nach geltendem chinesischen Recht geahndet werden», hiess es von offizieller Seite. Allerdings sieht das geltende chinesische Recht und die chinesische Verfassung keineswegs vor, das Verhaftete spurlos verschwinden. Ein Sprecher der Pekinger Regierung jedoch behauptet: «Die Ermittlungen verlaufen strikte nach den Regeln des Gesetzes».
Selber verbann in Armut aufgewachsen
Ai Weiwei, Sohn des berühmten und in ganz China verehrten Dichters Ai Qing, ist ein international berühmter bildender Künstler, Filmemacher, Photograph, Bildhauer und Architekt. Er, der mit seinem Vater – der Ende der fünfziger Jahre als Rechtsabweichler verurteilt und «aufs Land herunter» geschickt worden ist – lange Jahre im fernen Xinjiang aufgewachsen ist und dort, wie ein chinesisches Diktum es formuliert, «Bitterkeit gegessen» hat, liess sich nie den Mund verbieten. Nach seiner Rückkehr aus New York – er verbrachte dort entscheidende Jahre – wurde der heute 53 Jahre alte Wei in den 90er Jahren zunächst im Ausland mit seinen Werken, Installationen, seinen Photos, seiner Architektur bekannt. Ai Weiwei aber war auch ein Mann, der wegen seiner Erfahrungen in Xinjiang sich stets für die Benachteiligten und mit seinem wachen Gerechtigkeitssinn für die Unterdrückten einsetzte.
Ueli Sigg gehört zu den vornehmen Schweigern
In neuerer Zeit nutzte Ai dafür das Internet und war ein fleissiger, viel gelesener Blogger. So verurteilte er zum Beispiel öffentlich die mangelnde Bauqualität der Schulen in der Provinz Sichuan, die beim Erdbeben zum Tod von Tausenden von Kindern geführt hat. Ai Weiwei konzipierte zusammen mit den Basler Architekten Herzog & Demeuron das «Vogelnest»-Olympiastadion, bezeichnete dennoch aber kurz vor den Spielen Olympia 2008 als Propaganda-Show der Partei und als «Maskerade»; er beklagte auch öffentlich die zwölf Wanderarbeiter, die beim Bau des Vogelnests ums Leben kamen, während seine Schweizer Freunde vornehm schwiegen. Dies gilt für Herzog, Demeuron und vor allem den ehemalige Schweizer Botschafter in China, Ueli Sigg, der mit seinem Kunstnetzwerk Ai Weiwei zusammen mit seinem Luzerner Bekannten, dem Galleristen Urs Meili, zum internationalen Durchbruch verhalf. Kurz, Ai Weiwei meldete sich unbequem zu Wort, öfter als es den Behörden lieb war. Er wurde nicht nur gewarnt, sondern vor zwei Jahren von Unbekannten derart verprügelt, dass er wenige Tage später während einer Kunstausstellung in München zusammenbrach und ins Spital transportiert wurde. Dort wurden ihm Blutgerinsel aus dem Hirn operiert. Auch sein neu erstelltes, mit behördlichem Segen gebautes Atelier in Shanghai wurde dem Erdboden gleichgemacht. Dem von ihm organisierten Abriss-Fest in Shanghai konnte er nicht beiwohnen, weil Polizisten ihn in Peking unter Hausarrest hielten.
Repression hat schon vor den arabischen Aufständen begonnen
In den letzten Monaten wurden Dutzende von Künstlern, Schriftstellern, Intellektüllen und Anwälten entweder verhaftet oder unter Hausarrest gestellt. In ausländischen Medien wird das mit den Ereignissen im Nahen Osten in direkten Zusammenhang gebracht. Das allerdings ist – trotz eines Internetaufrufs zu «friedlichen Jasmin-Spaziergängen» in den städtischen Zentren – eine optische Täuschung.
Die neuste Repressionswelle hat schon lange vor der Jasmin-Revolution in Tunesien angefangen, nämlich vor ungefähr sechs Monaten. Und sie hat Methode. Getreu der seit dem Parteikongress 2007 geltenden konfuzianischen Parteilinie einer «harmonischen Gesellschaft» hat «soziale Stabilität» oberste Priorität. Die heute regierenden roten Mandarine nämlich fürchten wie einst die Kaiser Luan, d.h. Chaos; nicht selten verloren durch Chaos die Kaiser das «Mandat des Himmels», also die Macht. Auch der grosse Revolutionär und Übervater der 1978 initiierten Wirtschaftsreform, Deng Xiaoping, liess 1989 bei den Demonstrationen auf dem Platz vor dem Himmlischen Frieden Tiananmen in Peking die Armee auffahren und schiessen. Chaos, so der Chefreformer, bringe die Wirtschaftsentwicklung in tödliche Gefahr, und deshalb sei soziale Stabilität das übergeordnete, allerwichtigste Ziel.
300 Millionen wollen materiellen Wohlstand bewahren und keine politischen Wirren
Obwohl es in China eine kleine Gruppe von aufbegehrenden Intellektuellen und Künstlern gibt, ist die Situation nicht vergleichbar mit der Dissidenten-Szene der ehemaligen Sowjetunion, also den Sacharows, Solschenyzins und vielen andern. Der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, der für elf Jahre im Gefängnis sitzt, ist beim Laobaixing, dem Durchschnitts-Chinesen völlig unbekannt. Die vor allem im reichen Küstengürtel und den Grosstädten im Innern ansässige neue Mittelklasse – rund 200 bis 300 Millionen Menschen – setzt offensichtlich die gleichen Prioritäten wie die Partei, soziale Stabilität nämlich. Durchgesetzt wird dieses Prinzip seit langem mit Zuckerbrot und Peitsche. Das Zuckerbrot besteht in kontinuierlich mehr Wohlstand, die Peitsche in der Unterdrückung auch des allerkleinsten Widerstands. Nichts anbrennen lassen, im Keim ersticken – das ist die Parole der Staatssicherheit. Davon betroffen sind nicht nur Ai Weiwei, Künstler und Intellektülle, sondern auch demonstrierende Bauern, die von lokalen Kadern übers Ohr gehauen werden, aufmüpfige Städter, die für das Niederreissen ihrer alten Wohnblöcke zu wenig Kompensation erhielten oder «freche» Wanderarbeiter, die ultimativ ihre ausstehenden Löhne fordern.
Kein Gesetz kann Ai Weiwei beschützen
Ai Weiweis Schicksal ist – nach allen Erfahrungen – besiegelt. Wie viele Reiche kann er wegen Steuerhinterziehung belangt werden. Völlig legal. Ai Weiwei wird so für Jahre im Gefängnis verschwinden. Oder täusche ich mich? Wird er doch noch, wie offiziell versprochen, «nach geltendem chinesischen Recht» behandelt? Wohl nicht. Die Sprecherin des Aussenministeriums, Jiang Yu, machte klar, dass das Gesetz für «Störenfriede nicht als Schutzschild» dienen könne, im Gegenteil: «Kein Gesetz kann sie beschützen».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Flagge_China

Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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