Kommentar

Sprachlust: Die liebe Mühe mit dem Lieblingskomma

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Der Vater sagt der Lehrer sei ein Esel. Die Richtung der Beleidigung hängt von der Kommasetzung ab. Da ist’s lustig, oft ärgerlich.

Lieblingsblume, -tier, -ort: Das haben viele. Aber ein Lieblingskomma? Ich bin damit gesegnet, oder eher geschlagen. Denn mein Lieblingskomma fällt mir auf, wenn es fehlt und das tut es oft. Soeben wieder: Nach «fehlt» hätte es stehen müssen, und das heisst hier auch: vor «und». Genau das könnte ein Grund sein, warum wir so oft Sätze lesen wie «Wir hoffen, Ihnen mit diesen Angaben zu dienen und grüssen Sie freundlich.» Wer das schreibt, hat vielleicht aus der Schule die Regel im Kopf: «vor ‹und› kein Komma». Das stimmt aber nur für Aufzählungen: «Äpfel, Birnen und Pflaumen». Im Englischen dagegen stünde vor «and plums» ein Komma, und wir haben es (noch) nicht importiert.
Das Komma im letzten Satz ist fakultativ, denn es trennt zwei «gleichrangige Teilsätze». Mein Lieblingskomma dagegen steht dort, wo nach einem Einschub der gleiche Hauptsatz weitergeht. Ist der Einschub ein Nebensatz wie oben «wenn es fehlt», so ist der Fall klar: Vorher und nachher muss ein Komma stehen. Daran hat die Reform der Rechtschreibung nichts geändert. Komplizierter wird es, wenn der Einschub kein Nebensatz ist, sondern nur eine Infinitivgruppe, also die Grundform eines Verbs mit «zu» und eventuell weiteren Ergänzungen: «Sie empfiehlt, mit Freunden zu wandern, und tut es oft.»
Verlangt, erlaubt, verboten
In diesem einfachen Fall können die Kommas auch weggelassen werden. Regelwidrig dagegen wären Kommas in folgendem Satz: «Sie beliebt zu scherzen und verzieht dabei keine Miene.» Denn «belieben» ist ein Modalverb; es gibt an, wie das Scherzen stattfindet: aus einer Laune heraus. «Sie pflegt zu scherzen» gäbe an, dass es eine Gewohnheit ist. «Pflegen» kann jedoch auch als Vollverb verwendet werden: «Er pflegt die Kunst, Blumen zu sticken, und schwärmt davon.» In diesem Satz sind die Kommas wieder obligatorisch, weil die Infinitivgruppe von einem Substantiv (hier «die Kunst») abhängt.
Das Obligatorium gilt noch für zwei weitere Fälle, die in Paragraph 75 der amtlichen Rechtschreibung (und in der Regel K 117 vorne im aktuellen Duden) festgehalten sind. Wird der Infinitiv indessen allein von «zu» begleitet, so sind die Kommas auch bei Substantiv-Abhängigkeit (und in einem der beiden andern Fälle) wieder fakultativ: «Er pflegt die Kunst zu sticken …». Da die Fakultativ-Regel aber nur gilt, «sofern keine Missverständnisse entstehen können», sollte man hier doch Kommas setzen. Andernfalls könnte jemand «pflegen» als Modalverb verstehen und meinen, da habe einer die Gewohnheit, «die Kunst zu sticken», also etwa Gemälde als Stickerei zu kopieren.
Fehlt es, droht Unsinn
Wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind, sind Sie jetzt reif für die letzte Komplikation bei meinem Lieblingskomma. Bei der Reform der Rechtschreibung, die 1996 in Kraft trat, wurden die Kommaregeln neu gefasst, wenn auch in der Substanz kaum geändert. Bei Einschüben, so hielt das neue Regelwerk (zwischen Klammern) fest, seien Kommas «gegebenenfalls paarig» zu setzen. In der überarbeiteten Fassung von 2004 wurde dummerweise die Klammer mit «paarig» weggelassen. Daraus dürfen aber Schlaumeier nicht ableiten, dann könne man ja auch bloss das zweite Komma streichen. Vielmehr steht bei den Regeln für die Ausnahmen: «… können die Kommas weggelassen werden.»
Fehlt ein Komma, wo es deren zwei braucht, so kann es herauskommen wie in einer Rezension des Romans «Atemschaukel» von Herta Müller: «Wir lernen Auberg kennen, als er bereits weiss, dass er auf der Liste der Russen steht und den Koffer packt.» Er weiss also, dass er den Koffer packt! Wer sich die Regeln für Ausnahmen nicht merken will, kann es so machen wie ich: bei Infinitivgruppen die fakultativen Kommas immer setzen; bei Partizipgruppen wie «über den Daumen gepeilt» und Ähnlichem sowieso immer, denn da sind Kommas nie regelwidrig. Dann brauchen Sie die Regeln nur nachzuschauen, wenn Sie etwas darüber schreiben wollen – und wer will das schon?
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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