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Vor allem beim Nachhaltigkeitsziel «Partnerschaft» fällt die Schweiz durch. © EDA

Die Schweiz fällt anderen zur Last

Markus Mugglin /  Die Schweiz behindert arme Länder stark an der Umsetzung nachhaltiger Entwicklungsziele.

Die Schweiz ist nicht mehr top wie noch vor zwei Jahren. Das ist, so paradox es  erscheinen mag, positiv zu werten. Nicht mehr top als Land, das die anderen Länder am stärksten daran hindert, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu erfüllen. Das war die Schweiz noch 2019 laut der damaligen Ausgabe von «Sustainable Development Report». Jetzt kommt diese wenig schmeichelhafte Ehrung Singapur zu, vor Guyana, Luxemburg und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Schweiz folgt auf Position fünf. Sie steht also weniger schlecht da, gehört aber noch immer zu den Ländern, die es anderen besonders schwer machen, Fortschritte auf dem Weg zu den 17 Zielen der UNO-Agenda 2030 zu erzielen.

Grenzüberschreitende Auswirkungen

Das Ranking mit der Schweiz in der Spitzengruppe läuft unter dem Namen «Spillover». Es misst und vergleicht mehr als 160 Länder an den grenzüberschreitenden Wirkungen ihres wirtschaftlichen und politischen Handelns. Welche ökologischen und sozialen Folgen lösen sie aus? Wie viel CO2-, Stickstoff- und Schwefeldioxid-Emissionen verursachen sie mit ihren Handelsbeziehungen, wie steht es um die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, wie sehr wird Steuerdumping auf Kosten anderer betrieben, wie verbreitet sind die Praktiken der Steuerverschiebung von den in einem Land niedergelassenen multinationalen Unternehmen, wieviel Intransparenz schützen Finanzmarkt-Regulierungen, werden über Waffenlieferungen kriegerische Konflikte geschürt oder wie stark sind reiche Länder in Entwicklungsfinanzierungen zur Bekämpfung der Armut in der Welt engagiert?

Dass bei diesen und weiteren Praktiken Länder mit hohem Einkommen tendenziell die größten negativen Spillover-Effekte auslösen, überrascht nicht. Denn je mehr Handel, desto grösser ist das Risiko für schädliche Nebenwirkungen, oder je grösser der wirtschaftliche Reichtum, desto grösser die Risiken für die Umwelt. Der «Sustainable Development Report» kommt denn auch zum Ergebnis, dass reiche Länder mehr als arme Länder die Bemühungen anderer Staaten «untergraben», die nachhaltigen Entwicklungsziele SDGs zu erreichen.

Und doch gilt es zu differenzieren. Denn – so stellen die Autoren des «Sustainable Development Report» auch fest – «kleine, reiche Länder – wie Luxemburg, Singapur und die Schweiz – erzeugen tendenziell größere Spillover pro Kopf», und sie folgern daraus: «Grosse Unterschiede bei den Spillover-Effekten zwischen Ländern mit ähnlichem Einkommensniveau deuten darauf hin, dass Länder negative Spillover-Effekte durch Gesetze und politische Massnahmen reduzieren können.»

Ungenügende Finanzplatz-Regeln

Ein Blick in die Details hinter dem Spillover-Ranking zeigt allerdings, dass die Differenz zwischen der Schweiz und beispielsweise den beiden skandinavischen Ländern Dänemark und Schweden nicht bei den ökologischen Auswirkungen auf andere Länder liegt, sondern vor allem beim Ziel Nummer 17 «Globale Partnerschaft». Hier geht es insbesondere um die Stärkung der finanziellen Situation der Entwicklungsländer – insbesondere der am wenigsten entwickelten Länder. Gewichtet werden der Umfang der Entwicklungszusammenarbeit und verschiedenste Arten illegitimer Finanzabflüsse aus armen in reiche Länder. Es geht um Regulierungen gegen Geldwäscherei, Korruption, Steuerhinterziehung und -umgehung sowie Tiefsteuerpolitik. In diesen Bereichen erhalten die skandinavischen Länder die gute Note «on track», die Schweiz hingegen nur ein «significant challenges remain», was mit ungenügend übersetzt werden darf.

Wie für die Schweiz urteilt der Nachhaltigkeits-Report für die Bereiche Steuern und Finanzplatz-Transparenz bzw. Intransparenz auch im Falle von Luxemburg. Das Grossherzogtum hebt sich aber bei der Entwicklungszusammenarbeit mit der Wertung «achieved» positiv von der Schweiz ab. Denn es unterstützt die armen Länder seit mehr als zehn Jahren regelmässig mit Beträgen, die rund 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmachen. Es übertrifft damit deutlich das international vorgegebene Ziel von 0,7 Prozent, während die Schweiz klar darunter liegt und deshalb mit der Note «significant challenges remain» ermahnt wird.

Die Schweiz hat offensichtlich Potenzial zur Besserung. Ob sie gewillt ist, dieses auszuschöpfen, um in den nächsten Berichten zum Stand der Umsetzung der Agenda 2030 wohlwollender beurteilt zu werden, erscheint aber wenig wahrscheinlich. Das Hilfswerk Helvetas hat soeben die neue Strategie des Bundesrates für nachhaltige Entwicklung bis 2030 analysiert. Sie stehe für «Bedächtigkeit und schöne Worte», die Strategie «umschifft heisse Eisen, wie etwa die Regelung des Finanzmarkts». Es sind folglich keine Anzeichen auszumachen, welche die Schweiz beim nächsten «Spillover-Ranking» auf Kosten der armen Länder in eine weniger exponierte und weniger anfechtbare Rangierung bringen könnte.   


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

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3 Meinungen

  • am 12.07.2021 um 12:10 Uhr
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    Entgegen dem Mythos, sie wäre ein Vorbild, haut die Schweiz immer wieder mächtig und nachhaltig daneben. Klein aber oho, leben wir in einem Schlaraffenland: wohlstandsverwahrlost auf Kosten von andern auf dieser Erde und auf Kosten unserer aller Umwelt. Dass dies der Bundesrat nicht ändern will, zeigt er beispielsweise damit, dass er den an sich schon schwachen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative weiter verwässern will. Was hier Frau Karin Keller-Sutter mit der Akzeptanz des Gesamtbundesrates und der Mehrheit des Parlaments tut, muss als total menschenunwürdig, wenn nicht gar als kriminell bezeichnet werden.

  • am 12.07.2021 um 12:40 Uhr
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    Ich behindere gar niemanden. Was mir so alles an Mitschuld abgedichtet wird.
    Die EU wollte uns mit dem Rahmenvertrag auch für dumm verkaufen. Wenn andere Länder sich von uns für dumm verkaufen lassen, dann unterstütze ich das nicht und bin auch nicht stolz darauf. Nur sind diese Länder für ihr Tun und Lassen selber verantwortlich.

  • am 12.07.2021 um 19:36 Uhr
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    Am besten kommt es, wenn die lokalen Regierungen weltweit diese «nachhaltigen Entwicklungsziele» zum Leitbild erheben und im Bereich des Möglichen umsetzen. Die lokalen Behörden kennen die Verhältnisse und Bedürfnisse am besten und haben neben der Verantwortung auch die nötigen Kompetenzen um etwas zu bewegen. – Wenn die halbe Welt mit ihren teils konfusen Ideen überall und jederzeit meint dreinreden zu müssen, drohen Interessenkonflikte und Durcheinander. Jeder hat mehr als genug vor der eigenen Haustüre zu tun, auch die Schweiz. Globaler Filz schafft kein Wohlstand.

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