Victoria Nuland mit Petro Poroschenko

Victoria Nuland mit dem damals frischgewählten Präsidenten der Ukraine Petro Poroschenko © Common

«Fuck the EU»: Wird Victoria Nuland politisch reaktiviert?

Christian Müller /  Nuland war vor und während dem Kiever Maidan 2014 die treibende Kraft für einen Putsch. Das wissen auch viele US-Amerikaner.

Victoria Nuland, sie war in der Präsidentschaftszeit von Barack Obama unter Aussenminister John Kerry die zuständige Unterstaatssekretärin für Europa. Da sie fliessend Russisch spricht – ihre Grosseltern waren als orthodoxe Juden aus Bessarabien in die USA ausgewandert –, war sie vor allem in der Ukraine im Einsatz und betrieb dort mit aktiver Unterstützung anderer prominenter US-Politiker – John McCain etwa stieg persönlich aufs Rednerpult und forderte die Menschenmenge auf dem Maidan auf, durchzuhalten – eine dezidiert anti-russische Politik, was schliesslich zum Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine Wiktor Janukowytsch führte. So richtig bekannt in Europa wurde Victoria Nuland aber wegen eines abgehörten Telefonats. «Fuck the EU» – Scheisse auf Europa! – war da zu hören …

Seit mehreren Tagen ist nun bekannt, dass der gewählte US-Präsident Joe Biden beabsichtigt, Victoria Nuland für den Posten des Unterstaatssekretärs für politische Angelegenheiten in sein Regierungsteam zu holen. Das kommt nicht überall gut an. Fünfundzwanzig zivilgesellschaftliche Organisationen (siehe Liste unten) haben eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie sich im Falle der formellen Nominierung Nulands gegen deren Bestätigung durch den Senat aussprechen. 

Die 25 Organisationen erinnern daran, welche Rolle Victoria Nuland damals zu Zeiten Barack Obamas und John Kerrys gespielt hat. Ihre Argumentation im Volltext: 

«Nuland spielte eine Schlüsselrolle bei der Ermöglichung eines Putsches in der Ukraine, der einen Bürgerkrieg auslöste, der bisher mehr als 10’000 Menschenleben kostete und über eine Million Menschen vertrieb. Sie spielte auch eine Schlüsselrolle bei der Bewaffnung der Ukraine. Sie befürwortet radikal erhöhte Militärausgaben, die Erweiterung der NATO, propagiert Feindseligkeit gegenüber Russland und Bemühungen, die russische Regierung zu stürzen.

Die Vereinigten Staaten investierten fünf Milliarden Dollar in die aktive Steuerung der ukrainischen Politik, einschliesslich des Sturzes des demokratisch gewählten Präsidenten, der sich geweigert hatte, der NATO beizutreten. Die damalige stellvertretende Aussenministerin Nuland ist auf einem Video zu sehen, wie sie über die US-Investitionen spricht, und auf einem Tonband, wie sie plant, den nächsten ukrainischen Führer, Arsenij Jazenjuk, zu installieren, der dann auch tatsächlich installiert wurde. Die Maidan-Proteste, bei denen Nuland Kekse an Demonstranten verteilte, wurden von Neonazis und Scharfschützen, die das Feuer auf die Polizei eröffneten, gewaltsam angefeuert. Als Polen, Deutschland und Frankreich zu den Forderungen des Maidans (mit dem damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, Red.) einen Deal und vorgezogene Neuwahlen aushandelten, griffen stattdessen Neonazis die Regierung an und übernahmen die Macht. Das US-Aussenministerium erkannte die Putschregierung sofort an, und Arsenij Jazenjuk wurde als Premierminister eingesetzt.»

Weiter wörtlich: «Nuland hat mit der offen pro-nazistischen Svoboda-Partei in der Ukraine zusammengearbeitet. Sie war lange eine führende Befürworterin der Bewaffnung der Ukraine. Sie war auch eine Befürworterin der Abberufung des Generalstaatsanwalts der Ukraine aus dem Amt, die der damalige US-Vizepräsident Joe Biden dem ukrainischen Präsidenten aufdrängte.

Nuland schrieb im vergangenen Jahr: ‹Die Herausforderung für die Vereinigten Staaten im Jahr 2021 wird es sein, die Demokratien der Welt bei der Ausarbeitung eines effektiveren Ansatzes gegenüber Russland zu führen – einer, die auf ihren Stärken aufbaut und Putin dort unter Druck setzt, wo er verwundbar ist, einschliesslich bei seinen eigenen Bürgern.› Nuland fügte hinzu: ‹ … Moskau sollte auch sehen, dass Washington und seine Verbündeten konkrete Schritte unternehmen, um ihre Sicherheit zu stärken und die Kosten der russischen Konfrontation und Militarisierung zu erhöhen. Dazu gehören die Beibehaltung robuster Verteidigungsbudgets, die weitere Modernisierung der Nuklearwaffensysteme der USA und ihrer Verbündeten, die Stationierung neuer konventioneller Raketen und Raketenabwehrsysteme, die Einrichtung ständiger Stützpunkte entlang der Ostgrenze der NATO und die Erhöhung des Tempos und der Sichtbarkeit gemeinsamer Übungen.›

Die USA traten aus dem ABM-Vertrag (Vertrag über die Begrenzung von antiballistischen Raketenabwehrsystemen von 1972, Red.und später aus dem INF-Vertrag aus, sie begannen, Raketen in Rumänien und Polen zu stationieren, dehnten die NATO bis an die Grenze Russlands aus, erleichterten einen Putsch in der Ukraine, begannen, die Ukraine aufzurüsten, und begannen, massive Kriegsmanöver in Osteuropa abzuhalten. Aber wenn man Victoria Nulands Darstellung liest, ist Russland einfach eine irrational böse und aggressive Macht, der mit noch mehr Militärausgaben, Stützpunkten und Feindseligkeit begegnet werden muss. Einige US-Militärs sagen, dass es bei dieser Dämonisierung Russlands nur um Rüstungsgewinne und bürokratische Macht geht, nicht mehr faktenbasiert als das Steele-Dossier (das sogenannte Trump-Russland-Dossier, Red.), das von Victoria Nuland dem FBI übergeben wurde.»

Zum Originaltext in englischer Sprache hier.

Der Protest der zivilgesellschaftlichen Organisationen in den USA ist in doppelter Hinsicht erfreulich. Erstens zeigt er, dass es auch in den USA zahlreiche Leute gibt, die sich nicht nur einseitig aus den USA- und NATO-freundlichen Medien informieren, sondern bereit sind, auch hinter die Kulissen der US-amerikanischen Machtpolitik zu schauen. Und zum Zweiten zeigt er, dass auch in den USA die Befürchtung, Biden werde zu einer aggressiven Aussenpolitik zurückkehren, präsent ist. Bisher am wenigsten begriffen scheinen das die Europäer zu haben, deren Freude über Trumps Abwahl alle anderen Gesichtspunkte übertönt. 

Unterzeichnet wurde dieses offene Schreiben von den folgenden 25 Organisationen:

Alaska Peace Center
Center for Encounter and Active Non-Violence
CODEPINK
Global Network Against Weapons & Nuclear Power in Space
Greater Brunswick PeaceWorks
Jemez Peacemakers
Knowdrones.com
Maine Voices for Palestinian Rights
Nuclear Age Peace Foundation
Nukewatch
Peace Action Maine
PEACEWORKERS
Physicians for Social Responsibility – Kansas City
Progressive Democrats of America
Peace Fresno
Peace, Justice, Sustainability NOW!
The Resistance Center for Peace and Justice
RootsAction.org
Veterans For Peace Chapter 001
Veterans For Peace Chapter 63
Veterans For Peace Chapter 113
Veterans For Peace Chapter 115
Veterans For Peace Chapter 132
Wage Peace
World BEYOND War

Eine exzellente Begründung, warum Victoria Nuland unter keinen Umständen ins US-Aussenministerium zurückkehren darf, liefern in einem separaten Artikel Medea Benjamin, Nicolas J.S.Davies und Marcy Winograd auf «Information Clearing House».


Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine.  Zum Autor deutsch und englisch.

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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7 Meinungen

  • am 18.01.2021 um 11:52 Uhr
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    Seit 1823 der damalige Präsident, James Monroe, die amerikanische Aussenpolitik formulierte und deren ursprünglich isolationistische Denkweise durch Harry Truman nach dem Zweiten Weltkrieg in eine weltumspannende Einmischungspolitik verwandelt wurde, hat sich an der Leitlinie der berüchtigten Monroe-Doktrin nichts geändert. Die USA bestimmen, welche Länder und Völker als frei zu bezeichnen sind und wo die für amerikanische Interessen lukrativsten Investitionssgebiete – sprich Interventionszonen – liegen. Die Konstante seit dem amerikanisch-mexikanischen Krieg 1846/48 ist dieselbe geblieben. Ueberall dort, wo die USA – aus was für Gründen auch immer – intervenieren, resultiert ein nachhaltiges Chaos, die Entwicklung von Ländern und Regionen war, ist und wird auf Generationen hinaus verhindert oder stark beeinträchtigt. Die nach dem trumpschen Albtraum in Europa herrschende Euphorie über Joe Biden lässt nicht die geringste Hoffnung zu, wonach die EU eine korrigierende Rolle in der überfälligen Eindämmung der seit 200 Jahren dominierenden US-Aussenpolitik spielen würde. Dabei sollte man – im Sinne eines Anfanges – eigentlich Leuten wie Nuland die Einreise nach Europa verweigern. Wegen der Gefahr terroristischer Umtriebe. Wer im übrigen etwas über den persönlichen Antrieb Joe Bidens erfahren möchte, dem sei «Die Abwicklung» von George Packer empfohlen. http://www.freystefan.ch

    • am 19.01.2021 um 17:14 Uhr
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      Eine kleine Ergänzung zum Kommentar von Stefan Frey:

      Geschichtsbücher werden von den Siegern geschrieben, das Wichtigste steht selten drinn. Den USA geht es vor allem darum um jeden Preis zu verhindern, dass es zwischen Russland und Deutschland (bzw. EU) zu wirtschaftlichen oder kulturellen Kontakten kommt. Der Senator Harry S. Truman erklärte im Juli 1941:»Wenn wir sehen, dass Deutschland den Krieg gewinnt, sollten wir Russland helfen, und wenn Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen und die Deutschen auf diese Weise so viele wie möglich umbringen lassen…» (www.us-politik.ch). Später wurde Truman Präsident.

  • am 18.01.2021 um 16:27 Uhr
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    Verstehe nicht, weshalb der Autor die Unterstützung des Maidan 2013/2014 als «antirussische Politik» bezeichnet. Die Maidan-Proteste richteten sich gegen die ukrainische Regierung von Wiktor Janukowytsch. Jene Regierung wollte plötzlich und unerwartet ein vorbereitetes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen. Der Inhalt jenes Abkommens war ebenfalls nicht «antirussisch».

    • Christian Müller farbig x
      am 18.01.2021 um 19:08 Uhr
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      Am 25. Februar 2013 hat der damalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel – leider! – festgehalten, dass die Ukraine sich zwischen der EU und der von Russland geführten Zollunion entscheiden müsse, es ging also klar um ein Entweder-oder. Dadurch wurden die Demonstrationen in Kiev pro EU zu Demonstrationen gegen Russland, zumal Janukowitsch vor allem von der Partei der Regionen gestützt wurde, die ihrerseits in hohem Masse von der Bevölkerung in der tendenziell russlandfreundlichen Ostukraine mitgetragen wurde. Die Reden der westlichen Politiker auf der Rednerbühne in Kiev machten die antirussische Tendenz deutlich. (Der Autor des Artikels, Christian Müller, war im Januar 2014 selber in der Ukraine.)

    • am 18.01.2021 um 21:04 Uhr
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      Ich frage mich, ob Sie den Artikel gelesen haben, bevor Sie ihn kommentierten: „Nuland spielte eine Schlüsselrolle bei der Ermöglichung eines Putsches in der Ukraine, der einen Bürgerkrieg auslöste, der bisher mehr als 10’000 Menschenleben kostete und über eine Million Menschen vertrieb. Sie spielte auch eine Schlüsselrolle bei der Bewaffnung der Ukraine. Sie befürwortet radikal erhöhte Militärausgaben, die Erweiterung der NATO, propagiert Feindseligkeit gegenüber Russland und Bemühungen, die russische Regierung zu stürzen.“ Ist das nicht antirussisch? Nicht nur, dass Janukovitsch der rechtmäßig gewählte Präsident war, was von internationalen Wahlbeobachtern nie bezweifelt wurde. Ein vielfach genanntes Ziel des Maidan war die Beseitigung der Oligarchen, war Poroschenko etwa kein Oligarch? Die NATO hat sich seit dem Ende des kalten Krieges und der Auflösung des Warschauer Vertrags 1991 von 16 auf heute 30 Mitgliedstaaten erweitert, sie kreist Russland mehr und mehr ein und führt hemmungslos gegen Russland gerichtete Manöver durch. Gegen die UNO-Charta führte sie einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien, um im Ko-sovo den zweitgrößten US-Stützpunkt in Europa einzurichten. Entgegen dem eigenen Statut ermächtigte sie sich damit selbst, Interventionskriege zu führen. Ein Kind begreift, dass es in der Ukraine vor allem darum ging, Russlands Schwarzmeerflotte in Sevastopol zu vertreiben und an deren Stelle zu treten.

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  • am 21.01.2021 um 21:11 Uhr
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    Ja, der Protest gegen die Rückkehr einer radikalen Vertreterin aggressiver US-Politik ist erfreulich. Schade, dass der Protest sich unglaubwürdig macht durch die Darstellung der Vorgänge in der Ukraine – in Übereinstimmung mit Chr. Müller, der dem Leser als Wissen über Janukowisch nichts anderes vermitteln will, als dass er demokratisch gewählt war und sich gegen den Beitritt zur NATO aussprach – offenbar ein Ehrenmann. Dadurch bleibt völlig unverständlich, dass es beste Gründe gab für einen grossen Teil der Bevölkerung, gegen ihn auf die Strasse zu gehen, weil er offensichtlich keiner Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit genügen konnte, nachdem er, im mafiösen Geflecht der demokratiefernen Donezker Machtstrukturen grossgeworden, die Staatsmacht – ja, durch demokratische Wahl errungen – schamlos zur eigenen Bereicherung nutzte und Sonderpolizei brutal gegen friedliche Proteste (30.11.2013) vorgehen liess. Dass US-Imperialisten und Rechtsextremisten diesen Bürgerprotest nutzten, ist folgenschwerer Teil des Geschehens, nicht Ursache. Dass «Neonazis .. die Macht übernahmen «, ist eine offensichtliche Lüge. Bei den Präsidentenwahlen Mai 2014 erhielten der Rechtspopulist Ljaschko 8%, die beiden Rechtsextremisten 1,16 bzw. 0,7%. Bei den Parlamentswahlen im November 2014 erhielten alle 3 Parteien am rechten Rand zusammen 14%. Ein Jude ist bekanntlich gegenwärtiger Präsident. Wie lange noch wird «prorussisch» verwechselt mit «pro-Putin», «proamerikanisch» mit «pro-US-Imperialismus»?

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