Zeitungsausschnitt Platter gelb

Ohne Angabe der Interessenbindung: Marktbericht in der NZZ am Sonntag, 4. April, verfasst von Martin Platter. © Screenshot

In der NZZ schreibt der Velolobbyist übers Velogeschäft

Hanspeter Guggenbühl /  Journalismus und Kommerz sind in den Medien säuberlich getrennt. Schön wär's. Hier ein besonders krasser Fall von Interessen-Filz.

Nehmen wir an: Der Journalist Heini Muster schreibt für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) regelmässig über die Chemie- und Pharmaindustrie, kompetent und durchaus wohlwollend. Das fällt im Laufe der Zeit dem Verband Interpharma auf, dem Dachverband der grossen Schweizer Pharma-Unternehmen. Als der Platz des verbandsinternen Mediensprechers frei wird, stellt Interpharma Muster mit einem Teilzeitpensum an und befördert ihn einige Jahre später zum Geschäftsführer. Daneben schreibt Muster als freier Journalist weiterhin über die Zunft der Pillendreher, und die NZZ druckt seine Artikel ab, ohne Musters Doppelfunktion gegenüber der Leserschaft offen zu legen.

Geschichte erfunden, aber das Muster stimmt

Diese Geschichte ist erfunden, und wäre sie es nicht, hätte die Interessenverflechtung zwischen NZZ und mächtiger Pharmaindustrie in den Medien längst Schlagzeilen gemacht und in der Öffentlichkeit Protest ausgelöst. Das Weltblatt NZZ, das sich gerne als Hort von Freiheit und Unabhängigkeit darstellt, verlöre massiv an Glaubwürdigkeit. 

Das Beispiel ist also eine Fiktion, aber das Muster stimmt: Bei der Person geht es nicht um den irrealen Heini, sondern um den real existierenden Martin Platter. Platter arbeitet – neben vielen andern Tätigkeiten – seit rund 30 Jahren als freier Journalist. Seit Anfang 2020 ist er mit einem 60prozentigen Teilzeit-Mandat Geschäftsführer von Velosuisse, dem Dachverband der Veloproduzenten und Veloimporteure in der Schweiz.

Aufhängerbild Martin Platter rechts
Seit 2020 an der Spitze des Branchenverbandes Velosuisse: Präsident Marcel Boller und Geschäftsführer sowie NZZ-Mitarbeiter Martin Platter (rechts)

Daneben schreibt Platter weiterhin als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, insbesondere für die NZZ. Und worüber schreibt er dort? Richtig, über die Velobranche, genauer: Über Verkaufstrends, Technik und Produkte von muskel- und strombetriebenen Fahrrädern. Die NZZ hat diese Interessenverflechtung ihres Mitarbeiters gegenüber ihrer Leserschaft bis heute nie offengelegt.  

In zwölf Monaten sechs grosse NZZ-Artikel vom Velosuisse-Chef

Allein in den letzten zwölf Monaten hat die NZZ am Werktag vier grössere Artikel von Martin Platter zum Thema Velo auf der Seite «Mobil» abgedruckt, die NZZ am Sonntag (NZZaS) deren zwei auf der hintersten Seite des Sportteils. Dazu nur die zwei jüngsten Beispiele:

o In der NZZ vom 13. März 2021 erschien ein grosses Interview, das Velosuisse-Geschäftsführer Martin Platter als Journalist mit Scott-Chef Beat Zaugg führte. Dazu der Einleitungstext:  «Mit viel Fleiss, Beharrlichkeit und etwas Glück hat Beat Zaugg Scott Sports in dreissig Jahren zu einem der weltgrössten Sportartikelunternehmen geformt. Im Interview erklärt der Patron, was die Corona-Krise ausgelöst hat.» Interessenverflechtung: Scott gehört zu den Grossen im Schweizer Velogeschäft, ist Verbandsmitglied von Velosuisse und war früher mit Philippe Albertano auch im Vorstand von Velosuisse vertreten.  

o Unter dem Titel «Mit E-Rennrädern schwitzen, ohne sich total zu verausgaben» lieferte Platter in der NZZaS vom 4. April 2021 eine Markt- und Produkteübersicht zu Elektro-Rennvelos (siehe Ausschnitt Auftaktbild) . Dabei handle es sich um das «Feld der elektrifizierten Fahrradmobilität, das noch am wenigsten durchdrungen ist»; dies im Unterschied zu den Stadt- und Bergvelos mit elektrischen Hilfsmotoren, über die Platter schon in früheren NZZ- und NZZaS-Artikeln geschrieben hatte.

Zusätzlich publizierte NZZ-online unter dem Namen Martin Platter auch kleinere Artikel, zum Beispiel am 12. März 2021 einen Marktbericht unter dem Titel «Der E-Bike-Markt wächst».  Drei Tage zuvor hatte Velosuisse den weitgehend identischen Text als Verbands- und PR-Artikel publiziert, dort unter dem Titel «Neuer Höchstwert bei den E-Bike-Verkäufen». Enger lässt sich der Filz zwischen Branchenverband und NZZ-Redaktion kaum mehr spinnen.  

Der Weg vom Journalisten zum Lobbyisten

Auf Anfrage von Infosperber informiert Martin Platter, gelernter Fahr- und Motorrad-Mechanikermeister, spontan und offen über seine verschiedenen Tätigkeiten: Er arbeite seit 1991 als freier Journalist mit Spezialgebiet Velo. Nachdem sich abzeichnete, dass die Splitausgabe des deutschen Bike-Magazins aufgehoben wird, die er als Teilzeit-Redaktor betreute, habe er 2017 das Mandat als Leiter der Fachstelle für Velo- und E-Bike von Velosuisse angenommen.

Ab Januar 2020 wurde Platter zusätzlich Geschäftsführer von Velosuisse, ab September 2020 zudem Chefredaktor von «easybiken», einem neuen Magazin des Etzelverlags, das sich laut Verlagswerbung ausschliesslich auf Elektrovelos ausrichtet, «welche bei der hiesigen Käuferschaft eine Rolle spielen». Daneben arbeite er «sporadisch» weiterhin als freier Journalist, unter anderem für die NZZ. In seiner Funktion als Journalist, so beteuert Platter, «schreibe ich kritisch über die Velobranche» (über diese Aussage mögen Leserinnen und Leser von Platters Artikel, von denen einige in diesem Artikel verlinkt sind, selber urteilen).

Aber weiss die Redaktion der NZZ Bescheid über seine Doppelrolle als Journalist und Lobbyist? «Ich machte nie ein Geheimnis um meine Verbandstätigkeit», antwortet Platter. Seine Mandate wurden kommuniziert und seien öffentlich einsehbar. Die Zeitungsredaktionen schätzten sein Fachwissen. «Einwände» gegen seine Verbandelung mit dem Verband Velosuisse, sagt Platter, «hat es bisher nicht gegeben».

NZZ: «Keinen Grund, Platters Interessenbindung anzugeben»

Vor allem die letzte Aussage erstaunt. Darum fragte Infosperber die Redaktionen von NZZ und NZZaS per Mail unter anderem: «Ist den zuständigen Redaktionen der NZZ und der NZZaS die Branchentätigkeit von Martin Platter bekannt? Wie rechtfertigt die NZZ diese Interessenkollision zwischen – scheinbar – unabhängigem Journalismus und wirtschaftlicher Interessenvertretung/PR?» Und: «Warum legt die NZZ diese Interessenbindung nicht offen, wie sie es zum Beispiel bei Gastartikeln tut?»

Zu diesen Fragen nahm Seta Thakur, Leiterin der NZZ-Unternehmenskommunikation, nach internen Abklärungen schriftlich Stellung. Wir geben die ganze Stellungnahme nachstehend im Wortlaut wieder:  

«Martin Platter schreibt in unregelmässigen Abständen für die NZZ. Herbie Schmidt (Redaktor des NZZ-Ressorts Mobil d.V.) ist die Branchentätigkeit von Herrn Platter bekannt, weshalb er streng auf eine unparteiische Berichterstattung achtet. Daher gab es bisher auch keinen Grund, Herrn Platters Interessensbindung anzugeben. Bei Kurzbeiträgen wird zudem grundsätzlich nur ein Kürzel (in diesem Fall: map.) verwendet. Für sämtliche Inhalte gilt, dass sie gemäss NZZ-Kriterien redigiert und bearbeitet werden.

Für das Sportressort der ‘NZZ am Sonntag’ schreibt Herr Platter sehr selten, und Elmar Wagner (Leiter Ressort Sport der NZZaS. d.V.) war Martin Platters Branchentätigkeit bisher nicht bekannt – ansonsten hätte er bei dem von Ihnen erwähnten Artikel zu Freizeitsport die Interessensbindung offengelegt. Die Themensetzung in unseren Medien folgt rein journalistischen Grundsätzen.»

Die leicht spöttische Zusatzfrage von Infosperber, «Wo zieht die NZZ bei solchen Interessenkonflikten die Grenze – könnte zum Beispiel ein Angestellter der chinesischen Botschaft in der Schweiz über touristische oder politische Themen in China berichten?», diese Frage beantwortete die NZZ nicht.

Immerhin eine Zwei-Milliarden-Branche

Gewiss, die von grüner Sympathie umwehte Velobranche lässt sich nicht eins zu eins vergleichen mit dem Polit-Giganten China oder der mächtigen Chemie- und Pharmabranche. Und der Branchenverband Interpharma mit seiner vielköpfigen Belegschaft ist weit mächtiger als der Verband Velosuisse, der seine Verbands- und Lobbytätigkeit mit einem Teilzeit-Geschäftsführer abwickelt. Immerhin, auch im Velogeschäft fliesst, wie folgende Zahlen zeigen, ziemlich viel Geld:

Unter dem Titel «Der Velohandel überholt den Sportmarkt» bezifferte die NZZ am 10. Mai 2019 den Jahresumsatz der Schweizer Velobranche im Jahr 2018 auf total 1,77 Milliarden Franken. Davon entfielen allein 1,08 Milliarden auf den Verkauf von Velos, der Rest auf Zubehör und Reparaturen. Autor des damaligen NZZ-Artikels: wiederum Martin Platter.

Allerdings war Platter 2019 noch nicht Geschäftsführer, sondern erst Informationsbeauftragter von Velosuisse. Mit der Nennung der Umsatz-Summe von 1,77 stützte er sich nicht auf die – offenbar unvollständigen – Daten seines Verbandes, sondern auf jene von Urs Rosenbaum, der als Inhaber der Kommunikationsagentur «dynaMot» einen unabhängigen «Marktreport» veröffentlichte und diesen jährlich aktualisiert. Fürs Corona-Jahr 2020, in dem der Velomarkt besonders stark wuchs, beziffert Rosenbaum den Umsatz der Schweizer Velobranche auf «rund 2,3 Milliarden Franken».  

Auch Rosenbaum war einst Journalist. Doch heute beschränkt er sich konsequent auf seine PR-Tätigkeit. Im Unterschied zu Platter schreibt er nicht mehr für Schweizer Medien, aber wird von diesen zuweilen als Experte oder unabhängiger Marktbeobachter zitiert.  

Ein Extrem-, aber kein Einzelfall

Die hier geschilderte Verbindung zwischen NZZ-Redaktion und Branchenverband Velosuisse über die Person von Martin Platter ist ein extremer Fall von Interessenverflechtung, aber kein Einzelfall. Die geforderte Trennung von Journalismus und Kommerz, von PR und redaktionellem Inhalt wird, wie Infosperber immer mal wieder berichtete, oft und auf verschiedene Arten durchlöchert. Ein weiteres Beispiel dazu aus der Velobranche ist Marius Graber. Graber arbeitet seit zwanzig Jahren als Technikredaktor beim «Velojournal». Das Velojournal ist nach eigenem Bekunden «die unabhängige und meistverbreitete Schweizer Zweiradfachzeitschrift» und obendrein das Verbandsorgan der politischen Lobbyorganisation Pro Velo.

Gleichzeitig ist Marius Graber Geschäftsleitungsmitglied und Mitinhaber der Firma «Velociped», einem Velogeschäft mit rund 30 Angestellten mit Sitz in Kriens bei Luzern, das Velos verkauft und repariert. Immerhin legt das Velojournal auf seiner Homepage unter der Rubrik «das Team» die Doppelrolle Grabers halbwegs offen mit den Worten: «Neben seiner Tätigkeit für Velojournal und Cyclinfo arbeitet er in der Krienser Velowerkstatt ’Velociped’»

In der gedruckten Zeitschrift aber wird die Leserschaft nur sporadisch über Grabers Doppelrolle als Redaktor und «Velociped»-Aktionär informiert. Darauf angesprochen antwortet Pete Mijnssen, Gründer und Herausgeber des «Velojournals»: «Es stimmt, bei der Deklaration von Interessenbindungen sind wir nicht so stringent wie Infosperber.»  

Soweit die dokumentierten (siehe Links im Text) Fakten zur Verflechtung zwischen Velobranche, Journalismus und Medien. Wie aber lassen sich diese Interessenkonflikte ökonomisch und medienethisch einordnen? Lesen Sie dazu morgen Freitag auf Infosperber den Kommentar «Wirtschaftlicher Druck höhlt journalistische Prinzipien aus.»  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

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3 Meinungen

  • am 22.04.2021 um 14:11 Uhr
    Permalink

    Danke, ein treffender Bericht. Wie im kleinen, so auch in der grossen Weltpolitik und Grossindustrie. Was die Grossen dürfen, dürfen die Kleinen auch. Wenn die Lügen dürfen, in ihr eigenes Nähkästlein plaudern dürfen, ohne ihre Mitgliedschaften und Interessenbindungen offen zu legen, dann dürfen wir dies auch. Siehe Frau MaiLab auf Youtube, die Ehefrau eines Pharmamanagers, welche sich als beratende, nette Nachbarin ausgibt, welche gerne ihren Mit-Frauen erklärt, was giftig sei, und was nicht. Sobald es um Profit geht, kommt die Moral, die Ethik, erst an letzter Stelle, es sei den, die Moral würde mehr Profit einbringen als die Täuschung, die Lüge, das Fabulieren. Es braucht neue Gesetze, strenge Gesetze, der Lobbyismus, und das was Marketingbüros machen dürfen, muss gesetzlich reguliert werden. Ein Produkt lancieren? Kaufen sie in Indien 300 Fake GMail Adressen welche mit einer Telefonnummer verifiziert wurden und noch mindestens 3 Monate Gültigkeit haben. Das bekommen sie für 300 Usd. Bei Schweizer Firmen, falls sie nicht versiert sind diese selber im Internet zu erwerben. Dann können Sie die Rezensionen über ihr neues Buch oder Produkt bei Google oder Amazon, bei Ebay, usw. 300x selber schreiben und überall 4 bis 5 Sternchen unter ihr Produkt setzen. Bei der letzten Überprüfung einer grösseren Firma, die wir alle kennen, waren 30% aller Rezensionen so gefälscht. Der Zeitungsartikel darüber war so klein, das man ihn kaum finden konnte. Manche erlauben sich alles.

  • am 23.04.2021 um 12:09 Uhr
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    Der verlinkte Artikel über E-Rennvelos fand ich interessant und harmlos, aber die zusätzliche Funktion von Herrn Platter gehört erwähnt.

    Als Pro Velo Mitglied hatte ich früher die ausgezeichnete Zeitschrift Velojournal bekommen, auch wegen den interessanten Artikeln von Marius Graber. Seine Doppelfunktion störte mich nicht. Viele Veloautoren haben eine verwandte geschäftliche Tätigkeit schon nur um genügend zu verdienen aber dies nützt auch, um zu spezifischem Wissen zu kommen. Ich bin Co-Autor des technischen Buchs «Bicycling Science 4rth Edition» und hatte während 4 Jahren daran gearbeitet, bisher ohne jeden Verdienst! Ich bin auch in HPV (Human-Powered Vehicle)-Organisationen tätig und habe dies im Buch geschrieben. Ohne diese Tätigkeit wäre ich wahrscheinlich nicht als Autor für dieses Spezialbuch in Frage gekommen.

    Das Velojournal habe ich leider abbestellt, aber aus einem anderen Grund: Es gab ständig Veloreiseberichte, oft in fernen Kontinenten. Pro Velo ist auch eine Umweltorganisation und diese Propagierung von Flugreisen passte mir nicht.

  • am 26.04.2021 um 18:07 Uhr
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    Kleine Randbemerkung zu den E-Rennvelos:
    Die sind in meinen Augen schlicht und ergreifend lächerlich.
    Rennvelofahren ist Ausdauersport in Reinstform. Und dann kommt einer, und nimmt dieses zentrale Element raus, damit es nicht mehr ganz so anstrengend ist. Das ist ein bisschen wie Gewichtheben mit Olympia-Dress, Profi-Gewichtheberstiefeln und Styroporhanteln.

    P.S.: Ich habe gar nichts gegen Leute, die eine hübsche Rundfahrt machen wollen, ohne sich zu stark anzustrengen. Aber warum dann gebeugt über einen Rennlenker? Warum auf einem schmalen, harten Rennsattel? Warum mit superschmalen Pneus, die jeden Schlag ungefiltert duchgeben? Warum nicht einfach auf einem gewöhnlichen Alltags-E-Bike, wenn gewünscht sogar eins der schnellen Sorte?

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